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Anmerkungen zur Transkription

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Holzschnitt und Druck von Eduard Kretzschmar in Leipzig.

Ein Dajakischer Rajah.

Meine
Zweite Weltreise.


Von

Ida Pfeiffer,

Verfasserin der „Reise in das heilige Land“, der „Reise nach Island“ und der „Frauenfahrt um die Welt.“


Erster Theil.

London. Das Cap der guten Hoffnung. Singapore. Borneo. Java.


Wien.

Carl Gerold’s Sohn.
1856.

Das Recht der Uebersetzung in fremde Sprachen behält sich die Verfasserin vor.

Druck von Carl Gerold’s Sohn.

Den Holländern in Indien,

namentlich den

Holländischen Beamten und Offizieren

daselbst

aus tiefster Erkenntlichkeit

gewidmet von der

Verfasserin.


[S. v]

Widmung und Vorrede.

Ich weiß, daß es das gewöhnliche Schicksal der Widmungen und Vorreden ist, von Niemandem gelesen zu werden. Ich kann aber unmöglich das Tagebuch meiner Wanderungen veröffentlichen, ohne der eigentlichen Urheber derselben zu gedenken, und als solche muß ich die in den Holländisch-Indischen Colonieen ansässigen Holländer, vorzugsweise die daselbst angestellten öffentlichen Beamten und Offiziere betrachten.

Ich hatte nämlich, als ich meine Heimath verließ, nichts weniger im Sinne als eine zweite Reise um die Welt zu machen. Der Betrag aus meinem kleinen Vermögen, über den ich gebieten konnte, war sehr unbedeutend; die Oesterreichische Regierung vermehrte ihn zwar mit einem Zuschuß von 150 Pfund St.; doch würde[S. vi] die ganze Summe dessen ungeachtet zu einer so großen Reise nicht ausgereicht haben.

Ich ging nach London mit dem Vorhaben, mich nach Australien einzuschiffen. Diesem Vorhaben mußte ich entsagen, denn meine Reise wäre gerade in die Zeit gefallen, als man in Australien die reichen Goldlager entdeckte, als die Auswanderer von allen Seiten dahin strömten und in Folge dessen Leben und Aufenthalt über alle Maßen theuer wurden.

Nach einigen Zweifeln, wohin ich nun mich wenden sollte, reiste ich glücklicher Weise nach Holländisch-Indien. Wider mein Erwarten wurde ich von den Holländischen Beamten und Offizieren jedes Ranges und jeder Stellung so zuvorkommend aufgenommen, so thatkräftig unterstützt, daß ich Reisen ausführen konnte, wie[S. vii] es mir bisher noch in keinem Lande der Welt möglich gewesen war, und daß ich, wie gesagt, jene Männer als die Schöpfer dieser meiner zweiten Reise um die Welt betrachten muß.

Aber nicht nur die Beamten und Offiziere der Holländischen Regierung unterstützten mich, auch viele Privatpersonen und meine Deutschen Landsleute trugen das ihrige redlich bei. Letztere machten mir eine Karte zur Reise auf dem Dampfer nach Batavia und zurück zum Geschenke, und die Direktoren der beiden Dampfschiffahrts-Gesellschaften, die Herren Cores de Vries und Fraser gaben mir später auf ihren Schiffen überall hin freie Passage.

Nachdem ich keine andere Gelegenheit habe, allen diesen Herren meine Dankbarkeit auszudrücken, so ersuche[S. viii] ich sie, die Widmung des vorliegenden Werkes anzunehmen, nebst der Versicherung, daß ich ihre Güte und Gefälligkeit in ihrer ganzen Größe gewiß zu schätzen weiß, und derselben stets mit der wahrsten Erkenntlichkeit gedenken werde.

Endlich darf ich der Nord-Amerikaner nicht vergessen, da ich ihnen ebenfalls einen großen Theil meiner Reise verdanke. Sie gestatteten mir viele freie Fahrten auf Segelschiffen sowohl, wie auf ihren großen, prachtvollen Dampfern, und in keinem Lande der Welt, Holländisch-Indien ausgenommen, nahm man mich mit mehr Auszeichnung auf, als in den Vereinigten Staaten. Aus vollen Herzen sage ich daher den Amerikanern meinen innigsten Dank.

Die Verfasserin.

[S. ix]

Inhalt des ersten Bandes.

Erstes Kapitel.
Ankunft in London. — Comfort. — Die Sonntagsfeier. — Lebensweise und Eigenthümlichkeiten der Engländer. — Besuch der Kirche. — Merkwürdigkeiten der Stadt. — Umgebungen. — Die große Industrie-Ausstellung
Zweites Kapitel.
Die Kapstadt. — Gefährliches Zusammentreffen mit zwei Negerinnen. — Malaischer Gottesdienst. — Singapore. — Fünf Tage im Jungle. — Sarawak. — Rajah Brooke. — Malaien und Chinesen. — Ihre Wohnungen und kostbare Vasen. — Ausflug zu den Dayakern und den Antimonium-Minen
Drittes Kapitel.
Abreise von Sarawak. — Gezwungene Rückkehr. — Ankunft in Sacarau. — Die unabhängigen Dayaker. — Der Schwert-Tanz. — Die eroberten Menschenköpfe. — Fahrt auf dem Luppar. — Angstvolle Nacht. — Begegnung eines kriegführenden Stammes. — Uebergang des Gebirges Sekamil. — Feierlicher Empfang bei dem Sultan von Sintang
Viertes Kapitel.
Pontianak. — Ausflug nach Landak. — Ein Chinesischer Kapthay. — Ein Bad im Sumpfe. — Die Bambus-Brücke. — Zeichensprache. — Ankunft in Landak. — Souper bei dem Banam. — Rato. — Die Diamanten-Gruben. — Rückkehr nach Pontianak
Fünftes Kapitel.
Pontianak. — Das Pfandrecht. — Der Opiumpacht. — Die Opiumraucher. — Amok. — Reise nach Sambas. — Der Pangerong-Rato. — Zuvorkommenheit der Holländischen Offiziere. — Rückkehr nach Pontianak. — Die Boa. — Einiges über die Völker Borneo’s
Sechstes Kapitel.
Batavia. — Sehenswürdigkeiten. — Chinesisches Schauspiel. — Buitenzorg. — Vorstellung bei dem General-Gouverneur Typanas. — Besteigung des Pangerangs. — Bandong. — Die Theepflanzung. — Die Kaffeemühle. — Der Schwefelkrater. — Rückkehr nach Batavia. — Ausflug nach Tangerang. — Volksbelustigungen

[S. 1]

Erstes Kapitel.

Ankunft in London. — Comfort. — Die Sonntagsfeier. — Lebensweise und Eigenthümlichkeiten der Engländer. — Besuch der Kirche. — Merkwürdigkeiten der Stadt. — Umgebungen. — Die große Industrie-Ausstellung.

Die Reise von Wien nach London ist heutigen Tages eine Spazierfahrt, die man bequem in vier Tagen machen kann; ich benöthigte jedoch dazu beinahe einen Monat, da ich bei meinen Freunden und Verwandten in Prag und Hamburg einige Zeit zu Besuch blieb. Am 18. März 1851 verließ ich Wien, und erst am 10. April gelangte ich nach London.

Es war früh Morgens, als sich unser Dampfer dem Hafen der Weltstadt näherte. Der von ferne undurchdringlich scheinende Mastenwald tauchte vor unsern Blicken auf, und die unzähligen Schiffe, vom großen Ostindienfahrer bis zur kleinen Jacht, theils vor Anker liegend, theils die Segel entfaltend oder von brausenden Dampfern in’s Schlepptau genommen, gewährten ein reiches, wahrhaft großartiges Bild. Weniger zog mich das Gewühl im Hafen selbst an. Ich dachte hier ein Gemenge aller Nationen der Welt zu finden,[S. 2] und sah nichts als Europäische Matrosen und Englische Arbeitsleute. In dieser Hinsicht ist jeder Ostindische Hafen, und besonders jener von Bombay ungleich interessanter, weil man dort Menschen von allen Ländern und Farben, und Trachten von den verschiedenartigsten und seltsamsten Formen sieht.

Wir landeten an dem Zollamte, welches ich mit ziemlicher Angst betrat, da man mir gesagt hatte, daß sehr strenge untersucht würde, daß jede Kleinigkeit, sobald sie neu sei, versteuert werden müsse, und daß selbst die Taschen vor den Händen der gierigen Zollbeamten nicht geschlossen seien; doch dem war nicht so: sämmtliche Effekten wurden ziemlich oberflächlich besehen. Man verlangte auch die Pässe, stellte sie aber, nachdem man die Namen in ein Buch eingetragen, sogleich wieder zurück. Ich erhielt weder eine Aufenthalts-Karte, noch frug man in der Folge nach meinem Passe, — ja, ich schiffte mich nach Afrika ein, ohne daß ich mit der Polizei oder einer andern Behörde das Geringste mehr zu thun hatte.

Der Eindruck, den das Leben auf den Straßen auf mich machte, war kein angenehmer. Dieses Pressen und Drängen der Menschen, das Gewirre der zahllosen Wagen, die das Ueberschreiten einer Straße wahrhaft lebensgefährlich machen, ließen mich die Minute segnen, in der ich mein Zimmer erreichte.

[S. 3]

Das größte Gewühl herrschte in den Straßen der City; hier sind die Komptoirs der Kaufleute, die Börse, die Bank, Mansion-house (Residenz des Lord-Mayor) u. s. w. Die Kaufleute selbst wohnen nicht in der City; sie kommen selten vor 11 Uhr auf ihre Komptoirs und verweilen nur bis vier oder fünf Uhr. Die vielen Verbindungsmittel, Eisenbahnen, Dampfschiffe, Omnibusse machen es ihnen leicht möglich, in entfernten Orten der Stadt, ja oft acht bis zehn Englische Meilen weit auf dem Lande zu leben. Die Züge auf den Eisenbahnen verkehren jede Viertelstunde, die Dampfer fahren von der ersten Brücke London’s bis zur letzten alle fünf Minuten, und die Omnibusse sind in steter Bewegung; letztere erscheinen jedoch für den Fremden anfänglich beinahe unbrauchbar, und er muß erst ein kleines Studium machen, um zu wissen, in welchen er einzusteigen hat. Die Hauptstationen sind zwar auf der Aussenseite des Wagens angeschrieben; aber der eine Omnibus nimmt den Weg durch diesen, der andere durch jenen Theil der Stadt; sich an die Kondukteurs zu wenden ist eben nicht sehr anzurathen, denn auf die Frage, ob man hier oder dort vorüberfahre, antworten sie nicht selten mit vollkommener Ruhe „Yes“ — und setzen dann den armen Fremden an irgend einem Orte ab, wo er von seinem Ziele vielleicht weiter entfernt ist als vorher.

[S. 4]

Ueberhaupt gehört eine Fahrt in einem Omnibus gerade nicht zu den Annehmlichkeiten des Londoner Lebens. Die Wagen sind weder sehr breit noch sehr lang und enthalten 25 Plätze (13 im Innern, 12 außen[1]). Es kann daher von einem nur einigermaßen bequemen Sitze natürlich keine Rede sein. Hiezu kommt das ewige Anhalten, Ein- und Aussteigen, alles in der größten Eile, und nun gar wenn Regenwetter ist — die triefenden Schirme, die nassen Kleider, die beschmutzten Schuhe — wahrlich ein Comfort ohne Gleichen!

Comfort, Comfort, Comfort — führt doch jeder Engländer dieß Wort unaufhörlich im Munde, und gerade in England habe ich weniger Comfort genossen als irgendwo. So litt ich z. B. von der Zimmerkälte nirgends so viel wie hier. Die Kaminfeuer erwärmen wohl den, der ganz nahe am Kamine sitzt, und der nichts anderes zu thun hat als sich zu wärmen, aber nicht den, der entfernter ist und sich mit Schreiben oder Nähwerk beschäftigen will, — Feder, Nadel entfallen alsbald der steif gewordenen Hand. Das nenne ich Comfort in einem Lande, in welchem man sechs bis sieben Monate des Jahres mit Kälte zu kämpfen hat! — Die Engländer lieben den Anblick[S. 5] des Feuers so über alle Maßen, daß sie die daraus entspringenden Unannehmlichkeiten übersehen oder gerne ertragen. Eben so absonderlich sind sie hinsichtlich der Wohnung. Jede Familie, wenn noch so beschränkt, will ihr eigenes Haus haben, ein Haus natürlich oft nur mit zwei Fenstern in der Fronte und einem Stockwerke; haben ja selbst die Häuser der ziemlich Bemittelten selten mehr als drei Fenster und zwei bis drei Stockwerke. Ist das vielleicht Comfort, jeden Augenblick von einem Stock zum andern zu steigen? — Es versteht sich von selbst, daß ich hier nicht von den Häusern der Reichen und überhaupt nicht von den Reichen spreche — diese können sich natürlich in England alle Bequemlichkeiten verschaffen, sie können es aber auch in allen andern Ländern, und in den meisten mit ungleich geringeren Kosten. Meine Bemerkungen betreffen nur die Mittelklasse.

Eine weitere Unbequemlichkeit liegt in der ungemeinen Größe der Stadt. Jeder Besuch, jedes Geschäft, jede Unterhaltung kostet viel Zeit und viel Geld, weil man häufig fahren muß. Sind es Geschäfte, so kann man wohl Omnibus und Eisenbahn benützen; sind es aber Unterhaltungen, Einladungen zu Tische, zum Thee, bei welchen man im Putz erscheinen muß, so ist man gezwungen einen Cab (einspännigen Wagen) zu miethen, welcher pr. englische Meile einen[S. 6] Schilling kostet[2], — keine kleine Ausgabe, wenn man, wie es leicht der Fall sein kann, hin und zurück einen Weg von zehn oder noch mehr Meilen zu machen hat. Ein Besuch der Italienischen Oper ist schon gar nur reichen Leuten möglich, da die Loge allein drei bis vier Pfund St. kostet und man darin nicht anders als in großem Putze erscheinen darf.

Die Kosten und Schwierigkeiten des Zusammenkommens mögen die Hauptursache sein, daß in den Englischen Häusern das angenehme gesellige Leben nicht herrscht, an das wir Süddeutsche so sehr gewöhnt sind. Hier gibt es Gesellschaften und sogenannte Aufwartungen, aber selten freundliche, gemüthliche Besuche.

Das Leben der Frauen aus dem Mittelstande ist höchst einförmig; den Tag über sind sie an ihr Haus gewiesen, Abends an die Gesellschaft des Gemahls, der vom Geschäftsleben ermüdet heim kommt, sich nach Ruhe und Bequemlichkeit sehnt und selten gelaunt ist, seine Frau durch Gespräche zu unterhalten, oder durch Besuche sich stören zu lassen; gewöhnlich setzt er sich in den Lehnstuhl nahe am Kamine, nimmt Zeitungsblätter zur Hand und schlummert mitunter dabei ein.

Die Sonntage, bei andern Völkern ebenfalls Tage der Weihe und des Gebetes, aber auch der Heiterkeit[S. 7] und Fröhlichkeit, sind in England so langweilig, daß der aufgeweckteste Südländer davon den Spleen bekommen könnte. In echten altenglischen Familien geht das so weit, daß die Kinder an diesem Tage nicht einmal Ball schlagen oder irgend ein unschuldiges Spiel treiben dürfen; ja man läßt sogar die meisten Gerichte Tags zuvor bereiten, damit die Köchin hinlänglich Zeit findet, die Kirchen zu besuchen. Vor- und Nachmittags werden mehrere Stunden in der Kirche zugebracht, und den ganzen Tag über darf kein anderes Werk als ein Andachtsbuch zur Hand genommen werden! So lobenswerth ich es finde, daß man in Familien die ganze Dienerschaft Morgens und Abends um sich versammelt, um mit ihr vereint ein kurzes Gebet zu halten, so unpassend finde ich es, einen ganzen Tag mit Gebeten hinzubringen. Ich zähle mich nicht im entferntesten zu den Freigeistern; aber den ganzen Tag vermag ich nicht zu beten. Gebete sollen mit dem Geiste gehalten werden, mit Bewußtsein dessen, was man betet, mit Aufmerksamkeit und Andacht; durch Uebertreibung arten sie zu Lippengebeten aus, und diese sind meiner Meinung nach zwecklos und ohne Verdienst.

In keinem Lande der Welt, vielleicht China und Persien ausgenommen, verstößt man so leicht gegen die sogenannte „feine Lebensart“ als hier. Wer z. B.[S. 8] die Gabel in die rechte statt in die linke Hand nimmt, wer das vorgelegte Gericht in kleine Stückchen theilt, anstatt jedes Stückchen einzeln herabzuschneiden, wer einer Dame vom Geflügel einen anderen Theil als ein Bruststück vorlegt, wer Jemanden in sein Schlafzimmer führt (dieß wird gar als ein halbes Verbrechen betrachtet) und dergleichen mehr, der macht sich lächerlich und wird zu der Klasse jener gezählt, die auf feine Erziehung keinen Anspruch machen können. — Bei den unbedeutendsten Sachen findet man hier Verstöße gegen die Sittlichkeit, und andere weit größere, die wir Nicht-Engländer als unsittlich bezeichnen würden, finden die Engländer ganz in der Ordnung. So die Sitte, daß zwei Schwestern oder zwei Dienstmädchen mit einem Lager vorlieb nehmen. Ja dieser Gebrauch geht so weit, daß bei Besuchen, die über Nacht bleiben, sehr häufig zwei Freundinnen oder überhaupt zwei weibliche Wesen eine und dieselbe Bettstelle theilen[3]. Kann es etwas Unsittlicheres, Ungesünderes geben?! Ich weiß, wenn diese Bemerkung einer Englischen Dame zu Gesicht kommen sollte, daß sie Zeter und Wehe über mich schreien wird, — doch deßhalb ist sie nicht minder wahr, und ich sehe mich für meine Aufrichtigkeit reich belohnt, wenn durch diesen Anlaß auch nur eine Familie[S. 9] dahin gebracht würde, jener abscheulichen Sitte zu entsagen.

Nicht minder anstößig kommt mir der Gebrauch vor, daß ein neuvermähltes Ehepaar einen Wagen besteigt, dessen Bespannung, Kutscher und Diener mit Blumensträußen geziert sind; so beginnen sie ihre Hochzeitsreise, so kehren sie im Gasthof ein ... sonderbares Sittlichkeitsgefühl!

Stolz und Hochmuth der Aristokratie und der Reichen haben in England unbestreitbar den Kulminationspunkt erreicht. Um in die Gesellschaft (Rout) eines Englischen Aristokraten zu gelangen, muß man von hoher Geburt sein, oder ausgezeichnete Verdienste aufweisen, oder durch irgend ein besonderes Mittel sich eindrängen. Eitelkeit ist natürlich hier wie überall der Sporn, der die Leute antreibt, nöthigenfalls alle Minen der Intrigue spielen zu lassen, um sich in hoher Gesellschaft einige Stunden zu langweilen; denn steif, kalt und trocken sind diese Routs über alle Beschreibung. Der Hausherr setzt seinen Stolz darein, die Säle so gefüllt zu sehen, daß Niemand sich bewegen kann; er zwängt sich mühsam durch die Räume, richtet an diesen und jenen einige nichtssagende Worte und — der Spaß hat ein Ende. Am folgenden Morgen aber füllt die Beschreibung des herrlichen Festes eine Viertelspalte[S. 10] in der Zeitung, und die Namen der Auserwählten glänzen in dem beigedruckten Register.

Man sollte meinen, daß in einem so alt-konstitutionellen Lande wie England, Hof und Adel weniger hoch angesehen wären, als in einem rein-monarchischen; dem ist nicht so. Es wird hier von dem Hofe mit weit mehr, ich möchte sagen kleinlicher Ehrfurcht gesprochen, als es selbst in Deutschen Staaten der Fall ist. Ich mußte oft lächeln über das Gewicht, das man auf die Frage legte: „Haben Sie die Königin gesehen? und Prinz Albert? und den Prinzen von Wales?“ — Viele der Straßen und Plätze Londons führen die Namen von Regenten, Prinzen, Fürsten und andern hochgestellten Personen.

Ich kann bei dieser Gelegenheit nicht umhin, der Hamburger zu erwähnen, die sich gerne Republikaner nennen, eigentlich aber, wenigstens was Ehrfurcht und Verehrung des Adels und der Titel anbelangt, die entschiedensten Legitimisten Europa’s sind. Ich will hier nur ein kleines Beispiel anführen. Während meines Aufenthaltes in Hamburg, im Winter vom Jahre 1848 auf 1849, kam ein zweit- oder drittgeborner Prinz von Leiningen in Begleitung seines Hofmeisters dahin auf Besuch; da hätte man sehen sollen, was diese Republikaner thaten, um den prinzlichen Jüngling in ihre Gesellschaften zu ziehen. Bälle, Diners,[S. 11] Soireen wurden ihm zu Ehren gegeben, ja sogar eine Schlittenfahrt, die aber leider das rücksichtslose Thauwetter zu Wasser machte. In allen Zirkeln sprach man nur von ihm, jedes Wort, das seinen Lippen entfiel, fand man geistreich, witzig und verständig, und jede Mutter, mit deren Töchterchen er tanzte, fühlte sich hochgeehrt und beglückt.

Da die armen Hamburger so unglücklich sind, keinen Adel zu besitzen, so suchen sie sich mit Titeln zu entschädigen, welche natürlich, wie in Oesterreich und Preußen, auch den Frauen beigelegt werden; die Frau eines Senators ist eine Senatorin, eines Konsuls eine Konsulin, eines Doktors eine Doktorin. Hat aber Jemand das Glück, adelige Verwandte im Auslande zu haben, so wird er von diesen nie sprechen, ohne den Titel beizusetzen. Da heißt es: Haben Sie Tante von A. gesehen? Schwager Baron B. gesprochen? u. s. w. Wie lästig und beschwerlich dieses Titelwesen den geselligen Umgang macht, vermag nur ein Fremder zu ermessen. Ich wagte kaum in einer Gesellschaft zu Wien, Berlin oder Hamburg meine Nachbarin anzusprechen, denn ich hatte vergessen, ob sie mir als Feldmarschall-Lieutenantin, Vize-Präsidentin, Senatorin oder Baronin vorgestellt worden war. Ich saß stumm und dachte daß am Ende die vielverlachten Chinesen vernünftiger seien, die auf der Brust ein Täfelchen hängen haben,[S. 12] worauf ihre Namen und Titel verzeichnet sind. — Bei solchen Gelegenheiten fiel mir stets folgende Anekdote unseres unvergeßlichen Kaisers Josef ein: „Die Witwe eines Beamten kam einst mit der Bitte zu Kaiser Josef, ihre Pension zu erhöhen, da ihre heranwachsenden Kinder einer Erziehung bedürften. Der Kaiser frug: „Wie heißen Sie?“ Sie antwortete: „Ich bin die Hofräthin N. N.“ — „Wenn Sie die Hofräthin N. N. sind,“ sagte der Kaiser, „habe ich mit Ihrer Bitte nichts zu thun, Sie müssen sich an Ihren Monarchen wenden.“ Die Frau, über diese Antwort verblüfft, konnte stammelnd kaum hervorbringen, daß sie ja vor ihrem Monarchen stehe. „Da irren Sie sehr,“ erhielt sie zur Antwort, „ich habe wohl Hofräthe, aber keine Hofräthinnen.“ Und — er schlug ihr die Bitte ab.“

Man verzeihe mir diese kurze Reise nach Hamburg, Wien und Berlin, — ich kehre wieder nach London zurück, zu den Engländern, bei welchen diese Unsitte nicht stattfindet. Man macht nicht den geringsten Verstoß, wenn man die Gattin eines Ministers gleich der Frau eines einfachen Handwerkers mit „Madame“ oder „Mistreß“ so und so anredet.

Einen sehr unangenehmen Eindruck machte mir in London der Besuch der Kirchen; es kam mir jedesmal vor, als träte ich in ein Theater. Der ganze[S. 13] Raum, wenige Bänke an den Seitenwänden ausgenommen, ist in Logen und Sperrsitze getheilt, die Logen sind mit Teppichen, gepolsterten Bänken und Fußschemeln versehen, und geschmackvoll gebundene Bibeln und Andachtsbücher liegen vor den durchgehends im Putze erscheinenden Personen.

Auf meine Frage, woher es käme, daß man in den Kirchen gar keine dürftig gekleideten Leute sähe, gab man mir die vernünftige Antwort: „Wer sich nicht anständig kleiden kann, geht nicht in die Kirche[4].“ Also nur die Reichen, die Wohlhabenden sind Gott gefällig? — Leider äffen die Katholiken in vielen Ländern diese entwürdigende Sitte nach, — Gott und die Vernunft möge sie und die Protestanten von diesem Hochmuthe heilen.

Eben so unpassend ist es, für den Besuch der St. Pauls-Kirche und der Westminster-Abtei in den Stunden, in welchen kein Gottesdienst stattfindet, Eintrittsgeld zu verlangen. Gerade als ich die letztere besuchte, wollten auch drei Matrosen mit eintreten; sie[S. 14] wurden zurückgewiesen, weil sie nicht bezahlen wollten oder konnten. Man sagte mir, daß dieser Mißbrauch abgeschafft werde. Ich erwiderte darauf, daß ich nicht begreife, wie man ihn je habe einführen können.

Ein anderer Mißbrauch ist auch der, daß der Viehmarkt in der Mitte von West-End liegt und daher alle Arten Vieh, Ochsen, Kühe, Schafe u. dgl. m. durch die belebtesten Straßen der Stadt getrieben werden, was natürlich häufig Unordnungen und nicht selten Unglücksfälle veranlaßt[5].


Eine ausführliche Beschreibung der Merkwürdigkeiten Londons zu machen, liegt nicht in meiner Absicht. Es gibt der ausführlichen und vortrefflichen Werke dieser Art so viele, daß meiner schwachen Feder nichts anderes übrig bliebe, als oft und gut Gesagtes unvollkommen wiederzugeben. Ich beschränke mich darauf, mit kurzen Worten des Gesehenen zu erwähnen.

Um von dem Umfange der Stadt eine gute Ansicht zu haben, besteige man die Spitze der St. Paulskirche oder jene der Waterloo- oder Brand-Säule. Ich bestieg die letztere, muß aber aufrichtig gestehen, daß der Anblick dieser ungeheuren Häusermasse keinen[S. 15] angenehmen Eindruck auf mich machte. Die einzelnen Schönheiten gehen zu sehr verloren, die kleineren Squares (Plätze) verschwinden ganz und gar, und nur die schönen zierlichen Brücken über die Themse ziehen die Aufmerksamkeit einigermaßen auf sich. Die Umgebung ist eine weite Ebene, deren Grenzen in der beständig neblichten Atmosphäre verschwimmen.

Von dem Gewühle in den Straßen Londons, vorzüglich in den Geschäftsstunden, kann sich nur derjenige einen Begriff machen, der die Neapolitanischen und Sicilianischen Städte besucht hat, in deren Straßen zur Abendzeit die ganze Bevölkerung, Kranke und Misanthropen ausgenommen, auf- und niederwogt. Der Unterschied besteht nur darin, daß in Italien die Leute fröhlich und heiter lustwandeln und der schönen Abende sich erfreuen, während in London Alles ernst und tiefsinnig nur dem Gelde und den Geschäften nachläuft. Als ich mich das erste Mal allein in dieses Gewühl begab, ward mir ordentlich bange, und ich wagte kaum einen der vielen, wie mit Dampf an mir vorüber getriebenen Geschäftsleute anzuhalten und um Auskunft über einen Weg zu ersuchen; aber zu ihrem Lobe muß ich sagen, daß sie im eiligsten Laufe einhielten und meine Frage sehr höflich beantworteten, Mancher ging sogar ein Stückchen Weg mit mir zurück, um mich auf die richtige Bahn zu weisen.

[S. 16]

Der schönste Theil Londons ist das West-End; hier sind die großen Straßen, Plätze (Squares), Clubs und Privatpaläste, die Parks und die reichen Gewölbsauslagen. Von den Straßen zeichnen sich Oxford und Regentstreet (jede mehrere Meilen lang)[6], von den Plätzen der Regent-Cirkus, Waterloo-Place, Charlestown-Terrace, Longham-, Portland, Trafalgar-Square u. s. f. besonders aus. Schade ist es, daß alle diese Plätze belebender Zierden, wie Springbrunnen, gänzlich entbehren; nur Trafalgar-Square besitzt zwei Kaskaden.

Das hervorragendste öffentliche Gebäude ist Westminster-Hall, ein im reinsten gothischen Style ausgeführter Palast, unübertrefflich an Geschmack, Leichtigkeit und Zierlichkeit. Der Krönungs- und zugleich Sitzungssaal ist leider klein und so sehr mit Vergoldungen und Verzierungen überladen, daß er schwerfällig und ungeschmackvoll erscheint.

Somerset-House am Strande, mit der Hauptfronte gegen die Themse, nimmt sich imposant und großartig aus; es ist aus Quadersteinen erbaut und mit den geschmackvollsten Façaden und Arkaden versehen. Der Buckingham-Palast, Residenz des Hofes,[S. 17] ist zwar größer als Somerset-House, aber nicht so geschmackvoll. Die Theater Drurylane, Haymarket, das Italienische Opernhaus u. s. w. sind gewöhnliche Gebäude, die bloß durch ihre Größe auffallen. Das Kolosseum am Regentpark ist eine von Säulen umgebene Rotunde. Wie dieses kleine Gebäude zu dem anspruchsvollen Namen „Kolosseum“ kommt, vermag ich mir nicht zu erklären; — es mit jenem in Rom vergleichen zu wollen, kann doch unmöglich Jemanden in den Sinn kommen?! Das Schönste an diesem Gebäude ist im Innern ein Rundgemälde von London, welches zu besuchen ich allen Jenen anrathe, die nicht so glücklich sind, einen nebelfreien Tag zu erhaschen, um die Stadt selbst von einem ihrer hohen Punkte übersehen zu können. — Bemerkenswerte Gebäude sind ferner die Admiralität, der Schatzkammer-Palast, Whitehall, mehrere Clubs und Privat-Paläste.

Unter den Brücken, die alle schön sind, zeichnet sich besonders die Waterloobrücke durch ihre ungemeine Zierlichkeit und vollkommen gerade Richtung ohne alle Steigung, aus. Die Hungerfordbrücke, ein prachtvolles, kühngespanntes Kettenwerk, ist nur für Fußgänger bestimmt.

Kirchen gibt es in London zwar viele, jedoch sind außer der St. Paulskirche in der City und der Westminster-Abtei im West-End, wenige des Besehens[S. 18] werth. Erstere ist ein Tempel im Neu-römischen Style mit einer hochgewölbten, majestätischen Kuppel und mit zwei Reihen von Säulen, deren eine den äußeren, die andere den inneren Theil des Gebäudes trägt. Im Innern stehen an den Wänden schöne Denkmäler zur Erinnerung an ausgezeichnete Admirale und Seeoffiziere. Die Westminster-Abtei, ein prächtiges Denkmal Gothischer Baukunst, hat die Gestalt eines länglichen Kreuzes. Auch hier stehen viele Statuen zur Erinnerung an berühmte Männer, an große Schriftsteller und Musiker, wie Milton, Shakespeare, Händel u. s. w. Man könnte diese Abtei füglich das Englische Pantheon nennen, hätten sich nicht auch Denkmäler für Leute eingeschlichen, deren einziges Verdienst war, mit hochklingendem Namen zur Welt gekommen zu sein.

Das Narrenhospital, Bedlam ist ein großartiges Gebäude mit einfacher, zweckmäßiger Einrichtung im Innern und von Gärten umgeben. Die Schlafsäle sind der Länge nach durch Bretterwände in drei Theile gesondert, deren mittlerer den Kranken zum Auf- und Abgehen und den Aufsehern zum Aufenthalte dient. Die beiden Seitentheile des Saales sind in Kämmerchen abgetheilt, gerade groß genug für ein Bett und ein befestigtes Bänkchen. Die Thürme haben kleine Oeffnungen, durch welche die Wärter die Kranken[S. 19] beaufsichtigen können. Außerdem besitzt jede Abtheilung ihre Wasch-, Bade-, Gesellschafts- und Speise-Zimmer. Der Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Narren erschien mir ausnehmend grell. Man sah es den Männern beinahe durchgehends auf der Stirne geschrieben, daß ihre Narrheit Folge des abscheulichsten Lebenswandels sein mochte. Der Wärter führte mich durch einen Theil des Gartens, in welchem sich gerade mehrere dieser Unglücklichen aufhielten; ich kann nur sagen, daß ich froh war, ohne thätliche Beleidigung hindurch gekommen zu sein, und daß ich diesen Gang gewiß kein zweites Mal mehr unternehmen würde. Stets flößte mir der Anblick von Narren Mitleid und Wehmuth, hier — zwar ebenfalls Mitleid, doch auch Ekel, Abscheu und Furcht ein. Ganz anders war es bei dem weiblichen Geschlechte. Manche dieser armen Geschöpfe saßen in Winkelchen und weinten, andere starrten unbeweglich vor sich hin; eine trug, hätschelte und küßte eine große Puppe, als wäre sie ein lebendes Wesen. Was mögen diese Unglücklichen erduldet haben, bis sie hieher kamen, welch’ traurige Geschichten voll Noth, Kummer und Verzweifelung mögen da begraben liegen! —

In Bedlam sind nur Leute der armen, unbemittelten Klasse; für Reiche gibt es der Privatanstalten genug.

[S. 20]

Ein herrliches Gebäude ist das Brittische Museum. Es enthält viele reich ausgestattete Säle und ist gewiß in seiner Art das großartigste Institut der Welt. Hätte ich nicht kurz zuvor jenes in Berlin mit Muße und Aufmerksamkeit besehen, so würde es mich noch mehr überrascht haben. Einzig in ihrer Art dürfte die Sammlung der Alterthümer Ninive’s sein, deren Ausgrabungen das Museum selbst veranlaßt hat. Viele von diesen Schätzen sind bereits aufgestellt, und beinahe eben so viele sollen noch eingepackt liegen, da es an Raum zur Aufstellung fehlt.

Das College of Surgeons enthält abnorme Skelette von Menschen und Thieren, Todtenschädel aller Völker der Welt, eine große Sammlung der seltensten Mißgeburten, nebst vielen andern höchst interessanten Gegenständen. Herr Professor Owens, einer der ausgezeichnetsten Männer Englands im Fache der Anatomie, ist Direktor dieses Kollegiums, welches unter seiner Leitung den jetzigen Punkt der Vollkommenheit erreicht hat. Ich war so glücklich, die nähere Bekanntschaft dieses gelehrten Mannes zu machen. Er gestattete mir, zu jeder Zeit die Säle zu besuchen und machte mich auf gar Vieles aufmerksam. Nicht minder dankbar bin ich dem Professor Wateshouse im Brittischen Museum, welcher mir ebenfalls viele Stunden schenkte und mich besonders über die Art des Sammelns[S. 21] belehrte. Bei dieser Gelegenheit rechne ich es mir zur Ehre und Freude, des ausgezeichneten Geheimrathes Lichtenstein, Direktor des Museums zu Berlin, zu gedenken, der mir gleichfalls erlaubte, zu jeder Zeit das Museum zu besuchen, und mich selbst einigemale durch die Säle geleitete. Ihm, wie den beiden vorerwähnten Herren sage ich meinen innigen Dank für die Güte und Freundschaft, die sie mir bewiesen.

Außer dem Brittischen Museum, dem College of Surgeons gibt es noch mehrere Museen, unter welchen East-India-House, das ausschließend Gegenstände aus Indien enthält, das bedeutendste ist.

Die National-Bildergallerie hat keinen großen Reichthum an Meisterwerken. Drei Gemälde von Murillo gefielen mir am besten. Viele ausgezeichnete Gemälde sollen in den Gallerien reicher Privatleute zu finden sein.

Von den Parks liegen die beiden größten und besuchtesten, der Regent- und Hydepark in West-End. Hieher muß man kommen, um die reiche, elegante Welt zu sehen; da gibt es Equipagen in Hülle und Fülle, und Herren, Damen und Kinder auf Pferden aller Gattungen, von dem edlen Araber und dem langgestreckten Engländer herab bis zu dem Pony von der wunderbarsten Kleinheit und Zierlichkeit. Man sieht[S. 22] Frauen das Wagengespann leiten, ohne daß es Jemanden einfallen würde, darin irgend einen Anstoß zu finden. Eben so wenig ist es gegen die Sitte, wenn eine Frau oder ein Mädchen allein in Gesellschaft eines ihr nicht anverwandten Herrn spazieren reitet.

In Regentpark befindet sich der zoologische Garten, dessen Reichthum an exotischen Thieren ganz vorzüglich ist. Er enthält Löwen, Tiger, Leoparden, Giraffen von vollendeter Pracht und Größe. Ein Exemplar eines herrlichen Hippopotamus war dieser Menagerie erst ganz kürzlich zugewachsen, — ausgezeichnet fand ich die Abtheilung der Reptilien, unter welcher Schlangen und Boa’s der seltensten und größten Arten.

Dem Hydepark schließt sich der ebenfalls ziemlich große, viel besuchte Kensingtonpark an. Er zeichnet sich besonders durch seine alten, ehrwürdigen und umfangreichen Bäume aus.

Der St. James- und der Green-Park gehören in dieselbe Kategorie.

Alle diese Parks, und nicht allein die öffentlichen, sondern auch jene der Privatleute sind ziemlich in derselben Art angelegt, — weite Rasenplätze, große prachtvolle Bäume, besonders Eichen- und Ulmbäume, Alleen und kleine Gruppen von Gesträuchen. Blumenboskette oder überhaupt Blumen findet man gewöhnlich nur in den Glashäusern.

[S. 23]

Interessant ist noch ein Morgenbesuch des Coventgarden an Markttagen, besonders Sonnabends. Man findet hier zwar keinen Garten, wie der Name zu versprechen scheint, sondern bloß einen großen Platz mit Hallen und Gängen; allein der Anblick der in ungeheuerer Menge für den Bedarf von beinahe ganz London aufgestellten Vorräthe an Gemüsen, Früchten und Blumen lohnt die Mühe des Ganges.


In der City gibt es zwar weniger zu sehen, als in dem aristokratischen West-End; doch findet man auch hier höchst interessante Gegenstände. Vor allem merkwürdig ist der Tower, das älteste Gebäude Londons, ein großartig einfaches, ehrwürdiges Denkmal Gothischer Baukunst, — ferner die Bank, die Börse, Guildhall, letztere durch einen ungeheuren Saal ausgezeichnet, der zu Festessen u. dgl. benützt wird. Mansion-House, Residenz des Lord Mayor’s, erscheint etwas schwerfällig. Die Dock’s, für sich allein eine kleine Welt, bestehen aus sehr tiefen, breiten und großen durchgehend von Quadersteinen gebauten Kanälen und Becken, in welchen die größten Ostindienfahrer bis knapp an die Magazine gelangen und an Ort und Stelle ausladen können. Die Magazine sind[S. 24] vier bis sechs Stockwerke hoch; ihre Keller bergen die reichhaltigsten Weinlager der Welt. Die Docks sind von hohen, festen Mauern umgeben und des Abends geschlossen.

In der Nähe der City liegt das achte Wunder der Welt, der viel besprochene Tunnel unter der Themse. Dieses staunenswerte Werk machte auf mich weit geringeren Eindruck, als ich davon erwartet hätte. Der unansehnliche Eingang schadet dem Ganzen. Ein kleines, beinahe ärmlich aussehendes Häuschen ist nämlich über eine weite, runde Oeffnung gebaut, und erst nachdem man über viele Stufen in die etwas schauerliche Tiefe hinabgestiegen ist, gelangt man in den hochgewölbten Gang oder Tunnel. Ein ähnliches Stiegenhaus führt auf der andern Seite wieder in die Höhe. Der Gang selbst ist durch zwei Reihen von Säulen, welche die Decke unterstützen, in drei Theile getheilt, von welchen zwei den Fußgängern zur Benützung stehen, während der mittlere zu Verkaufs-Läden eingerichtet ist. Er ist reich mit Gas erleuchtet und gewährt einen überraschenden Anblick, der wahrhaft ergreifend wird, wenn man bedenkt, welch ein Strom darüber rollt, wie die Schiffe über den Häuptern der Menschen segeln. Unendliche Summen und mehrere Menschenleben hat dieses Werk gekostet; allein Nutzen bringt es gar nicht. Die Aktionäre[S. 25] haben ihr Geld gänzlich dabei eingebüßt, denn die Einnahme für den Durchgang und für die Verkaufs-Gewölbe, deren nur wenige vermiethet sind, deckt kaum die laufenden Ausgaben, und sollten, was mit der Zeit unvermeidlich ist, kostspielige Hauptverbesserungen vorzunehmen sein, so dürfte das Ganze dem Verfalle überlassen werden. Die Hauptursache der geringen Benützung des Tunnels ist seine Abgelegenheit und der beschwerliche Zugang über die vielen Treppen.

Den Beschluß meiner Wanderungen in der City machte ein Besuch der Barkley’schen Bierbrauerei, der öffentlichen Wohn-, Wasch- und Badehäuser für die ärmeren Klassen, und ein Gang nach dem Postoffice. In der Bierbrauerei der Herren Barkley und Comp. werden täglich 1000 bis 1500 Säcke Malz verarbeitet. Unter den Tonnen, die das fertige Bier enthalten, gibt es viele die an 3000 Eimer fassen. Die Zahl der Arbeitsleute beträgt 400, jene der Pferde 160. Bei dieser Gelegenheit muß ich bemerken, daß ich nirgends so prachtvolle Arbeitspferde gesehen habe, als in London; sie sind von ungewöhnlicher Größe und Kraft und durchgehend wohl genährt und gehalten.

In den öffentlichen Wohn-, Wasch- und Badehäusern fand ich sehr zweckmäßige Einrichtungen, die in allen großen Städten Europa’s nachgeahmt zu[S. 26] werden verdienten. Die Wohnhäuser für unverheiratete Männer, bestehen aus großen Sälen, gleich jenen in Bedlam durch Bretter in kleine Gemächer abgetheilt, wovon jedes hinlänglich Licht, bei Tag von außen, des Nachts von großen Gasflammen empfängt, die an der Decke des Saales angebracht sind. Die Beleuchtung währt bis Mitternacht. Jedes Wohnhaus besitzt außerdem einen Lese- und Speisesaal und eine geräumige Küche, in welcher stets Feuer und kochendes Wasser unterhalten wird, so daß sich die Leute selbst ihre Mahlzeiten bereiten können. Der Preis ist für eine Person für die Woche drei Schillinge. Demnächst sollen auch für Frauenspersonen ähnliche Häuser errichtet werden. Für Familien gibt es deren bereits. Die Wohnungen bestehen aus drei Kämmerchen, nebst Küche und einem Behältnisse für den Kohlenvorrath. In jede Küche ist Wasser geleitet. Der Preis beträgt für die Woche fünf bis sechs Schillinge.

In den Waschhäusern hat jede Partei ihr abgesondertes Plätzchen, wo sie ungesehen von den Nachbarinnen ihre dürftige Wäsche reinigen kann. Der Wasserbedarf, kalt und warm, wird durch Röhren in die Tröge geleitet. Das Trocknen der Wäsche geschieht sehr schnell durch unterirdische Wärme in kleinen abgeschlossenen Räumen, die mit über einander laufenden Stangen versehen sind; eine Maschine windet das[S. 27] Wasser aus großen Gegenständen, wie Decken, Bettüchern u. d. gl. Der Preis per Stunde ist ein Penny. — Die Badehäuser sind mit den Waschhäusern stets vereint. Jedes Kämmerchen hat eine große Badewanne entweder von Metall oder mit weißer Glasur überzogen, sehr rein und nett gehalten. Ein Bad erster Klasse kostet warm sechs, kalt drei Pence, — zweiter Klasse warm zwei Pence, kalt einen Penny.

Das Postoffice besuche man Sonnabends nach fünf ein halb Uhr und verweile bis zum Schlusse, der mit dem Schlage sechs erfolgt. Um das Gedränge der Aufgeber, deren Zahl sich mit jeder Minute vermehrt, recht beobachten zu können, stelle man sich in der großen Halle auf, jedoch an einem sicheren Platze, denn nicht selten sind Verwundungen und Quetschungen die Folge des unauflösbar gewordenen Gewirres. Jedermann will sein Päckchen Briefe vor dem Schlage sechs abgeben. Die Briefe werden zwar noch bis neun Uhr angenommen; allein mit jeder Viertelstunde steigt das Porto.

Von den Umgebungen Londons habe ich ziemlich viel gesehen. Theils machte ich Ausflüge nach den merkwürdigsten Orten, wie Windsor, Woolwich, Kew, Chiswick, Greenwich, theils führten mich Besuche oft zehn bis zwölf Meilen weit in das Land hinein. In Hinsicht des einzig schönen Grün’s der Wiesen, der[S. 28] frühzeitigen, reichen Vegetation fand ich alles bestätigt, was ich darüber gehört und gelesen hatte. Es war zu Anfang des Monats April, und schon blühten die Hecken, die Gebüsche waren belaubt, und die niedlichsten Blumen sproßten auf den smaragdgrünen, üppigen Wiesen. Die Stecheiche, der Portugiesische Lorbeer und noch andere Gesträuche bleiben selbst den ganzem Winter über belaubt und erfreuen das Auge stets durch ihr dunkelglänzendes Grün. Die Ursache dieses frischen Lebens in der Pflanzenwelt soll die gemäßigte, salzgeschwängerte und ewig feuchte Temperatur sein. Trotz der hohen nördlichen Lage[7] und der rauhen Witterung, die häufig schon Ende September eintritt und bis gegen den Mai anhält, ist England doch nur selten jener strengen, trockenen Kälte ausgesetzt, die selbst in bedeutend südlicher gelegenen Ländern Mittel-Europa’s alles Leben erstarren macht. Der Schnee bleibt beinahe nie über sechs bis acht Tage liegen. In Folge dieses gemäßigten Winterklimas werden die Schafe, wie in Spanien und Portugal, stets im Freien gelassen.

Die schönsten von den in der nahen Umgebung Londons gelegenen Gärten sind jene zu Chiswick und Kew. Im ersteren finden jährlich in den Monaten[S. 29] Mai, Juni und Juli, drei Blumenausstellungen statt, deren jede aber nur einen Tag währt. Nie hätte ich gedacht, daß mir zu einem Ausfluge nach einem Garten Regenwetter nicht nur nicht hinderlich, sondern sogar erwünscht sein könnte, und doch war es so, und zwar bei dem Besuche einer derartigen Ausstellung. Bei schönem Wetter gibt sich hier nämlich die ganze Londoner elegante Welt Rendezvous; man kommt hieher, weniger der Blumen wegen, als um sich in Glanz und Putz zu zeigen; Musikbanden spielen an mehreren Orten und das Auf- und Niederwogen der zahllosen Besucher macht natürlich jedes genauere Besehen der Blumen unmöglich. Mich aber, wie gesagt, begünstigte das Wetter, — der Regen strömte unausgesetzt herab und Niemand störte mich in der Bewunderung der herrlichen Blumen, die in Glashäusern und unter Zelten aufgestellt sind. Von der Pracht, besonders des exotischen Theiles der Ausstellung kann man sich keine Vorstellung machen; ich sah die Fremdlinge hier wahrlich schöner und üppiger, voller und blühender als in ihren Heimathländern. Weniger reich war die Ausstellung an Früchten; die Ananasse allein zogen die Aufmerksamkeit durch ihre außerordentliche Größe (manche waren 10 bis 12 Pfund schwer) auf sich.

Kew ist theils Garten, theils Park. Hier sieht man prachtvolle Wiesen, reiche Baumpartien, spiegelhelle[S. 30] Teiche, künstliche Hügel, Luftgebäude und Blumenparterres. Seine wahre Berühmtheit verdankt aber dieser Garten den herrlichen exotischen Blumen und Bäumen (unter letzteren Palmen von 80 Fuß Höhe), die in vielen großen Glashäusern schön gezogen und geordnet sind. Eines dieser Glashäuser könnte man füglich einen Glaspalast nennen; es besteht aus zwei Flügeln und einem prachtvollen Mittelgebäude, das sich kuppelartig über 100 Fuß erhebt; sein Anblick machte mir leicht begreiflich, wie man auf den Gedanken gekommen sei, ein derartiges Gebäude für die große Ausstellung in London aufzuführen. In der Höhe dieses Glaspalastes ist ringsumher eine Gallerie angebracht, von welcher man einen Ueberblick all’ der Palmen, Blumen und Gesträuche hat. Mit etwas Fantasie kann man sich vom Standpunkte der Gallerie aus einen kleinen Begriff von Brasiliens Urwäldern machen.

Das Arsenal zu Woolwich bot mir des Neuen wenig; ich sah hier, was ich, in kleinerem Maßstabe, schon in Venedig gesehen hatte. Am meisten interessirte mich der Wagen, in welchem Napoleon zu St. Helena bestattet wurde; es ist derselbe, in welchem er spazieren fuhr; man nahm bloß den Kasten herunter und setzte an seine Stelle ein eisernes Gerippe, welches mit schwarzem Tuche überhangen wurde. — Die Fahrt[S. 31] nach Woolwich ist eines Tunnels von etwa zwei Meilen Länge wegen, nicht sehr angenehm, um so mehr, da weder der Tunnel, noch das Innere der Waggons erleuchtet ist. Man sitzt mehrere Minuten lang in wahrhaft beängstigender Finsterniß. Ich muß abermals bemerken, wie eigenthümlich hier zu Lande die Begriffe von sittlich und unsittlich sind. So ist es z. B. auf mancher Eisenbahn den Männern strenge untersagt, sich in den Wartezimmern der Frauen aufzuhalten. Hier, wo alles erleuchtet, alles offen ist, findet man ein solches Zusammensein unanständig, — in der undurchdringlichen Nacht des Tunnels ist es gestattet. Die Zeitungen ermangeln auch nicht, häufige Berichte von Diebstählen und andern Ereignissen zu geben, die eben nicht zu den sittlichen gehören.

Windsor Castle (20 engl. Meilen von London) ist nicht nur eines der schönsten Gebäude Gothischen Styles in England, sondern in ganz Europa. Es steht auf einer kleinen Anhöhe, ist aus massiven Steinen erbaut und stammt aus den Zeiten Wilhelms des Ersten. Doch war der eigentliche Gründer dieses Schlosses, so wie es jetzt ist, und der niedlichen Kapelle, Eduard der Dritte. Einige Verschönerungen wurden von nachfolgenden Regenten hinzugefügt. Das Ganze besteht aus zwei Höfen, dem Schlosse und dem runden Thurme. Man bewundert[S. 32] ganz besonders die Pracht der Gebäude, so wie die kühne, kuppelförmige Wölbung des Steindaches über dem Thurme. Die Säle im Schlosse sind alle hoch und groß, wahrhaft königlich; die Einrichtung höchst einfach. Jeder Saal hat seinen Namen, wie auch seine geschichtlichen Merkwürdigkeiten. Ein Saal enthält Bildnisse berühmter Regenten älterer und neuerer Zeit; es scheinen sich aber diese Bildnisse nicht gerade durch große Aehnlichkeit auszuzeichnen, wenigstens jene der Monarchen, die ich gesehen habe, wie des Kaisers von Oesterreich, des Kaisers von Rußland, des Königs von Preußen fand ich herzlich schlecht. — Die Kapelle besitzt schöne Glasmalereien. Der Kirchendiener forderte ein Eintrittsgeld von sechs Pence für die Person, obwohl auf der Karte, welche die Erlaubniß zur Besichtigung des Schlosses Windsor ertheilte, ausdrücklich bemerkt war, daß an Niemanden eine Gabe zu verabreichen sei.

Die Aussicht von dem Thurme ist sehr reizend; der Blick streift über zwölf Grafschaften und verfolgt den Lauf der Themse bis in weiter Ferne. Um den Hügel, auf welchem das Kastell liegt, breitet sich das niedliche Städtchen Windsor aus; südlich daran schließt sich ein prachtvoller Park, dessen Länge vier, dessen Umfang 15 Meilen betragen soll. Alte majestätische Bäume bilden prächtige Alleen, welche die herrlichsten[S. 33] Fuß- und Fahrwege beschatten. Berühmt sind in diesem Parke noch die Virgin waters.

Das Hospital zu Greenwich ist ein ehemaliger Sommerpalast der Königin Elisabeth. Jetzt dient derselbe bekanntlich als Versorgungsanstalt für die Invaliden der königlichen Marine. 2500 Mann finden hier Platz, und jeder hat sein eigenes kleines Schlafkämmerchen mit Stuhl und Bett und einem kleinen Wandschranke. Die Speisesäle sind prachtvoll, hoch und gewölbt. Die Leute saßen an langen Tafeln und aßen vier zu vier Mann die gemeinschaftliche Mittagsportion, bestehend aus Suppe, drei Pfund Fleisch (abwechselnd Rind-, Hammel-, Schweine- oder Salzfleisch) und vier Pfund Kartoffeln, nebst einem großen, schönen Weißbrote. Sie erhalten außerdem auch Hülsenfrüchte, Gemüse oder Mehlpuddings und an Getränken alle Tage Bier und Thee. Ich besuchte das Hospital absichtlich zur Mittagszeit, um bei der Austheilung zugegen zu sein. Ich fand hier, wie in allen öffentlichen Anstalten Englands, die ich zu besichtigen Gelegenheit hatte, daß die Leute nicht nur genügend erhalten, sondern auch daß das, was sie erhalten, vollkommen gut und unverdorben ist — nicht wie in manchen Ländern, wo den Armen nur an jenem Tage eine gesunde Nahrung vorgesetzt wird, an welchem der[S. 34] zufällige Besuch irgend eines Großen des Reiches oder eines Inspektors erfolgt, ein Zufall, von welchem sonderbarer Weise die Anstalt stets schon eine geraume Zeit vorher unterrichtet ist!

Die Austheilung geht auf folgende Weise vor sich. Die Speisen werden in zwei Kesseln bereitet, das Fleisch ist, bevor es in den Kessel kommt, in Stücke zu je drei Pfund getheilt, die Kartoffeln sind zu vier Pfund in kleine Netze gebunden. Das gekochte Fleisch wird in eine Tonne gelegt, die Suppe läuft mittelst einer Rinne in eine andere Tonne. Ein Mann legt die Portion Fleisch in eine tiefe Schüssel, ein zweiter schöpft mit einem Gefäße, das gerade die für vier Mann bestimmte Quantität enthält, die Suppe heraus und schüttet sie über das Fleisch, während ein dritter das Netz mit den Kartoffeln aus dem Kessel hebt, in welchem sie durch Dunst gekocht worden sind. Die Austheilung geht auf diese Art mit unglaublicher Ordnung und Schnelligkeit vor sich.

Ein kleines Seitengebäude dient als Hospital für Kranke, die von den Gesunden gänzlich getrennt sind und sogar ihr eigenes Gärtchen haben.

Ein schattiger, großer Park steht nicht nur den Matrosen, sondern dem ganzen Publikum zur Benützung offen. In diesem Parke liegt die Sternwarte, durch[S. 35] welche die Engländer den ersten Meridian oder Längengrad ziehen.

Das Hospital besitzt auch eine kleine, niedliche Bildergallerie, berühmte Seegefechte und Bildnisse ausgezeichneter Seehelden enthaltend. In zwei Glaskästen werden einige Kleidungsstücke des großen Nelson bewahrt, darunter der Rock und die Weste, durch welche in der Schlacht bei Trafalgar der tödtliche Schuß in die Brust drang.

Noch bleibt übrig, der, obwohl zufälligen, so doch größten und bedeutendsten Merkwürdigkeit Londons zu erwähnen, der universellen Industrie-Ausstellung. Nicht genug kann ich Herrn Buschek (Präsident der Österreichischen Abtheilung) danken, der mich mit einem Billete beglückte, welches mich zu dem Beiwohnen der Eröffnung und zu fünf Besuchen berechtigte.

Die Eröffnung fand, wie bekannt, mit großer Feierlichkeit statt. Die Königin erschien mit Prinz Albert und ihren zwei erstgebornen Kindern in Begleitung der Minister und Großen des Reiches, der auswärtigen Diplomaten und der Abgesandten all jener Staaten, die an der Ausstellung Theil genommen hatten. Nach einer kurzen Rede des Prinzen Albert an die Königin, einem Gebete und einer Hymne, bewegte sich der ganze Zug langsam durch das Gebäude, hin und[S. 36] wieder bei einigen der kunstvollsten Gegenstände verweilend. Dem außen harrenden Volke wurden die Hauptmomente durch Kanonenschüsse verkündet.

Die Feierlichkeit begann um zehn Uhr, um Mittag war sie beendet; jetzt erst hatten jene Eintritt, welche Season Tickets (Billets für die ganze Zeit der Ausstellung) besaßen.

Kurz vorher, ehe die königliche Familie den Krystallpalast verließ, ging ich hinaus, um den Zug von Außen zu sehen und das Benehmen des Volkes zu beobachten. Der Equipagen waren sehr viele, alle sehr reich und glänzend; nur gefiel mir die Maskerade der Kutscher und Diener nicht: erstere trugen gelockte und gepuderte Perücken, auf welchen winzig kleine dreieckige Hütchen saßen; manche waren noch zum Ueberflusse mit großen Blumensträußen auf der Brust geschmückt. Die Diener, deren gewöhnlich zwei hinter dem Wagen standen, waren gleich Portiers mit großen Stöcken versehen. — Den königlichen Wagen umgab einiges Militär und Garden. Das Englische Militär ist eines der schönsten, das man sehen kann; es besteht aus lauter kräftigen, hochgewachsenen Leuten. Die Garde zeichnet sich überdieß durch reiche Uniformirung und durch schöne Pferde, alle von derselben Farbe, aus[8].

[S. 37]

Das Benehmen des Volkes war vollkommen musterhaft, es fiel nicht die geringste Unordnung vor; nirgends hatte ein ungestümes Hinzudrängen, Stoßen oder Balgen statt, und nie wurde weniger gestohlen als an diesem Tage — man gab bei der Polizei nur drei Diebstähle an. Und — so unglaublich dieß auch gewissen Leuten in gewissen Ländern scheinen mag — nicht ein Mann Militär war aufgestellt. Einfache Polizeimänner mit fußlangen Stäbchen in den Händen reichten hin, das Volk in schönster Ordnung zu erhalten; sie hatten weiter nichts zu thun, als die Leute, die auf Plätze kamen, wohin sie nicht gehörten, auf die Achsel zu klopfen und höflich anzusprechen: „Move, if you please“ (bewegen sie sich gefälligst weiter), und Jedermann ging seines Weges.

Meine Leser werden mich entschuldigen, wenn ich ihnen und mir die Beschreibung der Ausstellung erspare. Zahllose Bücher, Broschüren und Zeitschriften haben ihren Ruhm der ganzen Welt verkündet, und kaum dürfte es Jemanden geben, der nicht Vieles darüber gelesen, der nicht Abbildungen des feenartigen Krystallpalastes und der in ihm enthaltenen Meisterwerke[S. 38] aus jedem Gebiete der Industrie, aus jedem Lande der Welt gesehen hat. Ich kann nur sagen, daß der Anblick des Ganzen ein wunderbarer, unvergeßlicher war, und daß ich kaum glaube, daß je wieder Aehnliches zu Stande kommen wird.

[1] Während meines Aufenthaltes begann man im Innern einen und außen drei Plätze abzuschaffen.

[2] Seit einem Jahre auf 6 Pence herabgesetzt.

[3] Einschläfrige Betten hat man in England höchst selten.

[4] In Singapore frug ich eine Dame, die sich gerade zum Kirchenbesuche schmückte, ob sie denn glaube, daß ihr Gebet im Putze mehr Werth habe als im einfachen Kleide. Sie antwortete: „das gerade nicht, allein der Gouverneur befahl, oder gab gleich einem Befehle zu verstehen, daß die Herren im schwarzen Frack und die Damen elegant gekleidet beim Gottesdienste erscheinen möchten.“

[5] Ist jetzt abgestellt.

[6] Ich rechne (nicht nur in England, sondern während der ganzen Reise) nach „englischen Meilen,“ deren 4¼ auf eine Deutsche Meile gehen.

[7] London liegt unter dem 50sten Breitengrade.

[8] Man hat in London nicht oft Gelegenheit Militär zu sehen, eine Sache die um so mehr auffällt, wenn man gerade aus Staaten kommt, in welchen beinahe ein Viertheil der Männer den Soldatenrock trägt.

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Zweites Kapitel.

Die Kapstadt. — Gefährliches Zusammentreffen mit zwei Negerinnen. — Malaischer Gottesdienst. — Singapore. — Fünf Tage im Jungle. — Sarawak. — Rajah Brooke. — Malaien und Chinesen. Ihre Wohnungen und kostbare Vasen. — Ausflug zu den Dayakern und den Antimonium-Minen.

Am 24. Mai Abends begab ich mich an Bord des Schiffes Allanadale von 300 Tonnen Gehalt, Kapitän Brodie.

Zu meinem Erstaunen fand ich Niemanden an Bord als den Kapitän, der mir sagte, daß er der ganzen Mannschaft, bis auf den Matrosenjungen herab, die Erlaubniß gegeben habe, diese Nacht am Lande zuzubringen, und daß er selbst ebenfalls das Schiff verlasse. Ich hätte dasselbe thun können; allein da ich einige Meilen entfernt von London wohnte, so fürchtete ich, mich am folgenden Morgen verspäten zu können. Ich schloß mich in die Kajüte ein, und war für diese Nacht alleinige Herrin des Schiffes.

Am nächsten Morgen nahm uns ein Dampfer in’s Schlepptau und bugsirte uns nach Gravesend[S. 40] (20 Meilen) an die Mündung der Themse, deren Strömung jedoch noch 58 Meilen weiter bis North-Foreland berechnet wird. In Gravesend mußten wir diesen und den folgenden Tag liegen bleiben, weil zwei Matrosen, die der Kapitän angeworben hatte und die hier an Bord kommen sollten, nicht erschienen. Der Kapitän mußte zurück nach London und andere Leute anwerben. Erst am 27. gingen wir unter Segel.

Die Fahrt durch den Kanal war ungünstig; wir hatten wenig Wind und mußten während der drei ersten Tage beinahe beständig vor Anker liegen. Am 30. senkte sich ein so dichter Nebel auf die See hernieder, daß wir kaum eine Umsicht von einigen hundert Fuß hatten. Ringsumher hörten wir mit Sprachrohren und Schiffsglocken Signale geben, um die Nähe oder Ferne der Schiffe anzuzeigen und ein Zusammenstoßen zu vermeiden. Traurig klangen diese Töne durch die Nacht des Nebels und durchaus nicht geeignet, uns für die lange, gefährliche Reise[9] ein frohes Vorgefühl einzuflößen. Erst den 2. April Abends gelangten wir in den Atlantischen Ocean.

[S. 41]

Ich hatte in diesen wenigen Tagen leider schon hinlänglich Gelegenheit, die Sparsamkeit unseres Kapitäns kennen zu lernen; eine ähnlich schlechte Verpflegung ist mir noch auf keinem Schiffe vorgekommen. Der Steuermann, der, wie es auf den Segelschiffen gebräuchlich ist, die Aufsicht über die Küche führte, und dem ich durchaus nicht nachsagen kann, daß er mit den Vorräthen verschwenderisch umgegangen wäre, wurde gleich zu Anfange seines Amtes entsetzt, und der Kapitän übernahm in eigener Person die Oberleitung. Sein Speisezettel war schnell gemacht: des Morgens leichten, schwarzen Kaffee und ein Stück Salzfleisch, des Abends Salzfleisch und Thee, des Mittags Erbsensuppe und Salzfleisch oder Stockfisch, manchmal Hühner und einen Mehlklumpen mit einigen Rosinen, den er Pudding nannte, — statt des Brotes echten Matrosenzwieback. Eier, Schinken oder Käse mochten ihm als überflüssige Luxusartikel erscheinen, die er wahrscheinlich mitzunehmen vergessen hatte. Der gute Mann soll, wie er mir sagte, nächstens auf einem Ostindienfahrer kommandiren, welche Schiffe zum Theile für Reisende eingerichtet sind. Wehe den Armen, die an seiner Tafel speisen! — Sonst war er indeß ein umsichtiger und sehr ordentlicher Mann.

War die Kost schlecht, so war es die Reisegesellschaft noch mehr. Zum Glücke bestand sie nur aus[S. 42] einer Person, einem jungen Engländer, der seine Erziehung der Himmel weiß wo erhalten haben mag. Sein liebster Aufenthalt war unter den Matrosen; mit diesen sang, pfiff, schrie und rauchte er um die Wette, und sein größtes Vergnügen war, dem Abschlachten des Geflügels beizuwohnen. Wahrlich, ich bewunderte nie so sehr meine kräftige Natur als auf dieser Reise — die Kost verdarb nicht meine Gesundheit, die Gesellschaft nicht meine Laune. Ich gedachte im voraus des freudigen Augenblickes der Landung, und mit der schönen Zukunft mich tröstend, ertrug ich mit Geduld die traurige Gegenwart.

Auf der Reise selbst fiel nichts Merkwürdiges vor. Die schöne Molluske Phisolide (Portugiesisches Kriegsschiff genannt, siehe meine „Frauenfahrt um die Welt“, erster Theil, Seite 18) sah ich diesmal schon auf dem 35. Breitengrade nördlich vom Aequator, fliegende Fische auf dem 22.

Am 13. Juni kamen wir dem Eiländchen Ferro zu den südlichen Kanarischen Inseln gehörend, ganz nahe. Wir segelten in einer Entfernung von kaum zwei Meilen der Westküste entlang, die aber leider aus unfruchtbaren Felshügeln besteht und nur hie und da mit spärlichem Grün überkleidet ist. Doch immerhin war es Land, dessen Anblick wir schon lange[S. 43] entbehrten, und freudig hing mein Auge an der lieblichen Erscheinung.

23. Juni. So viele und so lange Reisen ich bereits auf dem Ocean gemacht habe, so habe ich doch diese ungeheure Wasserfläche nie in einer ähnlichen Ruhe gesehen wie heute; nicht das geringste Lüftchen kräuselte den weiten Spiegel — es war dieß ein großartig erhabener Anblick.

28. Juni. Diesen Morgen bildeten sich in einer Entfernung von etwa 20 Meilen zwei kleine Wasserhosen. Da sie unter dem Winde[10] waren, hatten wir ihr Nahekommen nicht zu befürchten und konnten ruhig ihre Bewegungen beobachten. Sie tanzten munter umher und fielen nach einer Viertelstunde zusammen. In dieser Nacht bekamen wir auch ein Valentinsfeuer an der Spitze des großen Mastes zu sehen.

Am 4. Juli, zwischen 12 und 1 Uhr Mittags, passirten wir den Aequator. Es fand gar keine Feierlichkeit statt, ja, die Matrosen erhielten nicht einmal ein Extra-Glas Branntwein.

Am 11. August, Morgens sechs Uhr, nach einer Fahrt von 75 Tagen, fielen endlich die Anker auf der Rhede der Kapstadt. Obwohl ich seit dem 13. Juni[S. 44] (Insel Ferro) kein Land gesehen hatte, so war doch der Eindruck, den der Anblick dieser Stadt auf mich machte, nicht sehr groß. Ich hatte London noch zu frisch im Gedächtnisse, und in Folge dessen erschien mir die Kapstadt wie ein Dorf. Was ihre Lage betrifft, so erinnerte sie mich viel an jene von Valparaiso. Wie letzteres, ist sie von einer baumlosen, mit spärlichem Grün bedeckten Gebirgskette umgeben, in welcher der Tafel-, Löwen- und Teufelsberg die Hauptpunkte bilden. Vom Bord des Schiffes aus entdeckte ich ein einziges Bäumchen und nur wenig grüne Fluren, und dieß war zur Winterszeit, wo Berg und Thal im schönen Kleide prangen. Wie mag es erst im Sommer sein, wenn die glühenden, senkrecht niederfallenden Sonnenstrahlen alles versengen und verbrennen!

Kapitän Brodie verließ nach dem Frühstücke sogleich das Schiff. Er war nicht so freundlich, mich nur mit an’s Land zu nehmen, er versagte mir jede Hilfe bei dem ersten Eintritte in die Stadt, eine Gefälligkeit, die mir bisher noch kein Kapitän abgeschlagen hatte, nicht einmal der ungebildete Chinesische Bootführer, der mich von Hong-Kong nach Kanton brachte. Dieser führte mich bis in die Englische Faktorei (drei Meilen weit) und suchte mit mir das Haus auf, in welches ich gewiesen war. Hier mußte ich allein an’s Land gehen, mußte allein meinen Weg suchen und mich[S. 45] durchfragen, bis ich zum Hamburger Konsul, Herrn Thalwitzer, gelangte. Glücklicherweise fand ich an diesem, so wie an seiner Frau so liebenswürdige, zuvorkommende, gefällige Leute, daß ich alsbald alle Mühen vergaß und mich in ihrem Hause, das ich nicht mehr verlassen durfte, so heimisch fühlte, wie im lieben Vaterlande.

Von der Kapstadt ist nicht viel zu sagen. Die Straßen ziehen sich alle nach dem Strande und sind sehr breit und luftig, aber wenig mehr mit Bäumen besetzt. Zur Zeit der Holländischen Herrschaft soll jede Straße mit einer schönen Allee versehen gewesen sein. Die Häuser, sonst ganz im Europäischen Style gebaut, haben nur statt der Dächer Terrassen. Das Fort ist mit vielen Kanonen versehen, die Kaserne ziemlich groß, die Börse auf dem Paradeplatze ein längliches, unansehnliches Gebäude nur mit einem Erdgeschoß. Die Privathäuser sind alle einstöckig, haben gewöhnlich 4 bis 6 Fenster in der Front und enthalten schöne, hohe Zimmer. Der botanische Garten besitzt bei weitem nicht so vielartige Blumen, Pflanzen und Bäume, als man unter solch einem Himmelsstriche erwarten dürfte.

Die Zahl der Einwohner wird auf 32,000 geschätzt, davon ein Drittheil Weiße, ein Drittheil Farbige und ein Drittheil Schwarze. Die Verzweigung[S. 46] und Durchkreuzung der Europäer mit den Eingebornen ist so vielfach, daß man, so zu sagen, alle Farben sieht. Echte, reine Hottentotten oder Kaffern gehören in der Kapstadt zu den seltenen Erscheinungen. Schwarze aus Mozambique, die wir Neger nennen, gibt es dagegen viele von reiner Abkunft. Unter den Farbigen gibt es mitunter hübsche Leute mit schönen Augen und geistreichen Zügen. Alle diese Völker sind Europäisch gekleidet; nur haben die ungetauften Malaien farbige Tücher um den Kopf geschlungen, und einige Schwarze und Farbige tragen runde, hohe, spitz zulaufende Bambushüte.

Außer diesem und den langen Gespannen an den Lastwagen sieht man in der Kapstadt durchaus nichts Außereuropäisches. An die Lastwagen, die bei uns von drei oder vier tüchtigen Pferden oder Ochsen gezogen werden, sind hier acht bis zehn Pferde oder zehn bis zwanzig Ochsen paarweise gespannt. An der Spitze eines solchen Ochsenzuges geht ein Mann oder Knabe, der ihn leitet, und auf den Wagen selbst setzt sich der Fuhrmann, mit einer ungeheuer langen Peitsche bewaffnet. Das Pferdegespann wird stets vom Wagen aus gelenkt. Bei einem Gespanne von sechs, acht Pferden sitzen zwei Kutscher auf dem Wagen, der eine ist mit der Lenkung der Thiere beschäftigt, der andere mit der langen Peitsche.

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Auf dem Hauptmarkte, der jeden Tag, Sonntag ausgenommen, außerhalb der Stadt am frühen Morgen abgehalten wird, sieht man Lebensmittel jeder Art, frische und getrocknete Früchte, Gemüse, Geflügel, Kälber, Schafe, Butter, getrocknetes und geräuchertes Fleisch u. s. w., außerdem auch Häute, Schaffelle, Straußfedern und andere Gegenstände. Alles wird im Versteigerungswege losgeschlagen.

Das Leben in der Kapstadt ist ziemlich theuer; so kostet z. B. ein Pfund Kalb-, Rind- oder Hammelfleisch fünf bis sechs Pence, ein Pfund Mehl vier Pence, ein Huhn einen Schilling, ein Pfund Butter zwei Schillinge. Die Miethe eines Hauses von sechs bis acht Zimmern macht 80 bis 90 Liv. Sterl. jährlich.

Der einzige wohlfeile Lebensartikel sind die Fische. Dieß hat man noch dem Gouverneur Lord Somerset zu verdanken. Im Jahre 1825 reichten nämlich die Metzger eine Bittschrift ein, in welcher sie um die Besteuerung der Fische ersuchten, durch deren Wohlfeilheit sie sehr zu Schaden kommen. Der Gouverneur schrieb ganz kurz unter die Bittschrift: „Sobald man mir einen Fischer nachweisen kann, der gleich den Schlächtern in Equipagen fährt und Diener in Livree besoldet, wird die Bitte berücksichtiget werden.“

Ich brachte in der Kapstadt vier Wochen zu, habe aber des Merkwürdigen nur wenig gesehen. Anfänglich[S. 48] durchstreifte ich häufig die Umgebung, um Insekten zu suchen; es wurde mir jedoch diese Unterhaltung bald durch einen höchst unangenehmen Zufall verleidet. Eines Morgens nämlich, gerade als ich eine kleine Schlange gefangen hatte, kamen zwei Negerinnen auf mich zu, hielten mich an, überschütteten mich mit Schimpfworten, spieen vor mir aus und nannten mich eine Zauberin, die man umbringen sollte. Dieser Auftritt würde für mich wahrscheinlich nicht gut geendet haben, hätte ich nicht zum Glücke in der Ferne einen Mann erblickt, den ich zu Hilfe rief und dessen Erscheinen die beiden Weiber in die Flucht jagte.

Ich erzählte Herrn Thalwitzer diese Begebenheit, die er sogleich bei Gericht anzeigte. Die Weiber wurden alsbald ausgefunden, und es ergab sich bei der Untersuchung, daß sie die Absicht gehabt hatten, mich in ein nahes Gebüsch zu ziehen und meiner Kleidung zu berauben. Ein zehnjähriges Kind, das zufällig in demselben Busche war und sich aus Angst vor den Weibern unter dem Laube verkroch, hatte Alles gehört und gesehen, daß eine der Megären mit einem Messer bewaffnet war, welches bei der Flucht zu Boden fiel. Das Kind suchte und fand das Messer und brachte es seinen Eltern, die es dem Gerichte übergaben. Bei dem Verhöre diente es als Unterstützung des Beweises, und die beiden Weiber wurden für vier Wochen auf[S. 49] Reiswasser gesetzt — eine gewöhnliche Strafe, die darin besteht, daß man dem Verurteilten gar keine andere Nahrung gibt. Mir kam diese Züchtigung zu hart vor, und ich bat um einige Linderung, allein vergebens. Man sagte mir, daß die Personen bereits sehr berüchtigt seien und mehr Zeit in, als außer dem Gefängnisse zubrächten.

Ich stellte in Folge dieser Begebenheit meine Spaziergänge zwar nicht ganz ein, beschränkte sie aber auf nähere Orte. Einen schönen Ausflug danke ich dem Herrn Botaniker Zeiher. Wir gingen nach Greenpointe, nach der Cambs-Bay und rund um den Löwenberg, und hatten hübsche Ueberblicke auf das Meer, die Gebirge und die freundliche Gegend.

Die ganz nahe Umgebung der Kapstadt ist nicht schön. Die Berge sind zum größeren Theil öde oder mit magerem Gestrüppe bedeckt, und den Ebenen fehlt es an saftigem Grase oder Getreidefeldern. Ihr einziger Schmuck ist eine ungewöhnliche Menge der mannigfaltigsten Wiesenblumen. Zwischen den Steinen, durch Gebüsch und mageres Gras drängen sich diese lieblich zarten Kinder der Natur. Stundenlang verweilte ich unter ihnen, und immer fand ich neue Schönheiten, neue, noch nie gesehene Arten.

Ein beliebter Spaziergang der Städter ist ein Erlenwäldchen, welches sich rund um den Fuß des[S. 50] Löwenberges zieht, und von einem hübschen Fahrwege durchschnitten ist.

Des Gouverneurs Garten, so wie der botanische, steht ebenfalls dem Publikum geöffnet.

Wirklich schön und fruchtbar, einem blühenden Garten ähnlich, ist die Gegend um Rondebosch, Weinberg und Konstanzia. Der erste Ort liegt vier, die anderen neun und dreizehn Meilen von der Kapstadt entfernt. In Rondebosch wohnen viele Kaufleute und Beamte, die in Omnibussen täglich zur Stadt fahren. Konstanzia ist durch seinen edlen Traubensaft in der ganzen Welt bekannt. Ich bedauerte sehr, die Stöcke nicht in ihrem Traubenschmucke gesehen zu haben. Der Wein ist dunkelroth, ölig, süß und an Ort und Stelle schon sehr theuer.

Den Tafelberg, 3000 Fuß hoch, bestieg ich eines Morgens ganz bequem in drei Stunden. Ein großartiger Ueberblick über Land und Meer belohnte mich für die gehabte Mühe. Den Rücken dieses Berges bildet ein ausgedehntes Plateau, eine „Tafel,“ von welcher er mit Recht den Namen trägt. Es halten sich hier viele Affen auf, und ich hörte sie schreien und lärmen, war aber nicht so glücklich einen zu Gesicht zu bekommen; auch andere vierfüßige Thiere sah ich nicht. — An einem Freitage, dem Sonntage der Malaien, besuchte ich deren Moschee, einen schönen hohen[S. 51] Saal in dem Hause des Oberpriesters. Obwohl Mohamedaner, sind die Malaien nicht so strenge wie ihre Glaubensbrüder im Orient, denn sie erlauben den Fremden, ihrem Gottesdienste beizuwohnen. Ich fand die Weiber, die in dem Zimmer der Priestersfrau ihre Oberkleider abgelegt hatten, in große weiße Tücher gehüllt und mit einem Schleier auf dem Kopfe, der jedoch das Gesicht unbedeckt ließ, ganz im Hintergrunde des Saales auf dem Boden sitzend. Auch die Männer zogen in dem Vorgemache des Tempels die farbigen Beinkleider aus, unter welchen sie weiße anhatten, hüllten sich ebenfalls in lange, weiße Ueberkleider und schlugen ein weißes Kopftuch über das farbige, welches sie gewöhnlich tragen. Sie warfen sich Anfangs wiederholte Male zur Erde nieder; hierauf setzten sie sich in Reihen, in deren vorderster der Oberpriester seinen Platz einnahm und zwei Gebete abhielt. Nach dem ersten küßten die Männer dem Priester die Hand, nach dem zweiten drückten sie ihm dieselbe. Ein Vorsänger begann alsdann im Hintergrund des Tempels aus voller Kehle ein Lied abzuheulen, in welches die Männer im Chore einstimmten. Nun drängte er sich durch die versammelte Menge bis an den Fuß einer kleinen Kanzel und heulte ein zweites Lied allein ab. Der Priester bestieg hierauf die Kanzel und las, gemeinschaftlich mit dem Vorsänger, halb singend und[S. 52] halb sprechend, während zwei voller Stunden Gebete aus dem Koran, womit sich die Zeremonie endigte.

Meine ursprüngliche Absicht war gewesen, in der Kapstadt selbst nur kurze Zeit zu verweilen, wohl aber einen Ausflug in das Innere zu machen, und, wenn möglich, bis an die Binnenseen vorzudringen. Man versicherte mich allgemein, daß ich als Frau von den Eingebornen nicht viel zu befürchten hätte, und daß selbst die Holländischen Weinbauern und Landbesitzer, — sonst gerade nicht durch ihre Gefälligkeit berühmt, — mich als Deutsche ruhig meines Weges würden ziehen lassen. Ihre Unfreundlichkeit erstreckt sich blos auf die Engländer, welchen sie das Eindringen in ihr Land so viel als möglich zu erschweren suchen. Auch der Krieg zwischen den Engländern und den Kaffern hätte mir keine Hindernisse in den Weg gelegt, da ich nicht nöthig hatte, den Kriegsschauplatz zu berühren; allein als ich mich nach den Kosten dieser Reise erkundigte, fand ich sie meiner Kasse weit überlegen, und der schöne Plan mußte aufgegeben werden. — Ich glaube, daß man in keinem Lande der Welt so kostspielig und zu gleicher Zeit so langsam reist als hier am Kap.

Man muß sich einen langen, mit Linnen oder Matten gedeckten Wagen kaufen, nebst fünf bis sechs Paar Ochsen. Der Wagen wird gleich einem Hause eingerichtet, denn er dient als Wohnung und Nachtquartier.[S. 53] Zugleich miethet man einen Fuhrmann, Ochsenjungen und Diener, und ist genöthiget, Lebensmittel, ja nicht selten auch Wasser mitzuführen. Mit den Ochsen hat man viele Unannehmlichkeiten. Man kommt durch Gegenden, in welchen es Schwärme kleiner Fliegen gibt, deren Stich den Ochsen lebensgefährlich ist; in anderen fehlt es an Wasser, und die Thiere fallen vor Durst, oder werden krank und untauglich vom Genusse des verdorbenen Wassers, so daß man beständig entweder neue Ochsen kaufen oder die kranken umtauschen muß. Dies wird stets kostspieliger, je weiter man sich von der Stadt entfernt, da die Ochsen im Innern des Landes seltener sind. Am Ende werden die Wege unfahrbar, und man muß Wagen und Ochsen zurücklassen und Pferde kaufen.

Da ich in Folge der aufgezählten Schwierigkeiten gezwungen war, diese Reise zu unterlassen, warf ich meine Blicke auf Australien. Doch dahin fehlt es von der Kapstadt aus an Gelegenheit. — Eine Bremer Brigg, „Louise Friederike,“ Kapitän Nienhaber, lag im Hafen zur Reise nach Singapore. Ich überlegte nicht lange. Einmal in Singapore findet man Schiffe nach allen Himmelsgegenden. Durch die Verwendung Herrn Haase’s, eines englischen Beamten, kostete mich die Ueberfahrt beinahe nichts; der Kapitän rechnete mir nur die Kost, und zwar so geringe, daß[S. 54] ich für die ganze Reise von 8000 Seemeilen blos drei Livres Sterl. zu bezahlen hatte.

Am 25. September gingen wir unter Segel. Günstige Winde brachten uns in 40 Tagen an die Einfahrt der Sunda-Straße; diese rasche Fahrt erleichterte einigermaßen die Einförmigkeit der See, denn wir begegneten weder Schiffen, noch bekamen wir Land zu Gesicht. In der Sunda-Straße war es schon anders. Schiffe und Dampfer segelten an uns vorüber, und Gebirge und Land stiegen aus dem Meere. Der Java-head, der zuerst unsere Blicke fesselte, ist ein reich bewaldeter Berg von 4000 Fuß Höhe, an den sich niedrigere Gebirgszüge und lachende Hügelketten anschließen. Von nun an verloren wir das Land selten mehr aus dem Auge. Bald erschienen größere oder kleinere Inseln, bald Felskolosse, die aus der Tiefe des Meeres auftauchten, bald Baumgruppen, deren Aeste so tief herniederhingen, daß sie im Wasser selbst zu wurzeln schienen.

Wir durchschifften die Java-See längs der Küste von Sumatra, und gelangten in die Banka-Straße, die von den Inseln Sumatra und Banka an manchen Stellen so eingeengt wird, daß sie einem Strome gleicht. Auf den beiderseitigen Ufern zeigten uns die mit hohem Grase und dichten Waldungen bedeckten[S. 55] Ebenen und Gebirge die Ueppigkeit der tropischen Vegetation.

Die Entfernung von dem Eingange der Sundastraße bis Singapore beträgt acht Grad, mit deren Durchschiffung wir vierzehn Tage zu thun hatten. Windstillen und Gegenwinde brachen die Kraft der Segel, die Richtung des Steuerruders; wir gingen wohl ein halb Dutzend Mal über den Aequator hin und her, und manche Nacht lagen wir sogar vor Anker. Die Hitze war unerträglich. Sie stieg im Schatten häufig auf 27 Grad Réaumur. Dessen ungeachtet verging uns die Zeit ziemlich schnell, denn der Kapitän war ein gebildeter Mann, der nebenbei recht hübsch die Flöte blies. Auf der einförmigen See ist dies kein Fehler. Außerdem machten uns die Eingebornen mitunter Besuche, vertauschten Geflügel und Früchte gegen bunte Tücher, Spiegel oder Gold und sorgten auf solche Weise für unsere Tafel; dazu kam die Abwechslung der vorüberziehenden Landschaften; — wir durften also es uns nicht als Verdienst anrechnen, die vierzehn Tage mit Geduld ertragen zu haben. Doch gab es auch einige unangenehme Zufälle. Eines Morgens fiel ein Matrose beim Umstellen der Segel über Bord und denselben Tag der Obersteuermann beim Lootsen[11].[S. 56] Glücklicher Weise hatten wir wenig Wind. Beide wurden gerettet. Eine Nacht ging gleichfalls nicht ohne Abenteuer vorüber. Wir lagen vor Anker, und da sich in diesen Meeren von Zeit zu Zeit Piraten blicken lassen, empfahl der Kapitän den Matrosen strenge Aufmerksamkeit. Kaum waren wir zur Ruhe, so erscholl der Ruf: „zwei Boote in Sicht vom Lande her.“ Alles sprang vom Lager auf; Gewehre, Kugelbüchsen, Pistolen, Säbel wurden auf das Deck gebracht, unter die Mannschaft vertheilt, die beiden sechspfündigen Kanonen geladen, und so gerüstet erwartete man den Feind. Die gefürchteten Boote nahten sich jedoch nicht unserem Schiffe, und wir begaben uns wieder zur Ruhe. Später erfuhren wir, daß die Piraten die Europäischen Schiffe nicht angreifen.

Am 16. November erreichten wir Singapore nach einer Fahrt von 54 Tagen.

Die Familie Behn nahm mich so liebevoll auf, wie vor vier Jahren, als ich das erstemal nach diesem Platze kam.

In Singapore selbst fand ich nichts verändert. Doch ungefähr zwanzig Meilen von dieser Insel war während der Zeit ein herrlicher Leuchtthurm entstanden auf einem Felsen mitten im Meere, wo die Brandung so stark ist, daß der Wächter stets auf sechs Monate mit Wasser und Lebensmitteln versehen wird. Den[S. 57] Thurm erbaute man in 18 Monaten aus Granitsteinen, die von der Insel Urbin, unweit Singapore, kommen.

Ebenfalls neu für mich war ein kleines Häuschen, das erst ganz kürzlich von einigen Familien gebaut worden war, damit sie von Zeit zu Zeit dort ein wenig frische Luft schöpfen könnten. Da das Häuschen bei meiner Ankunft gerade leer stand und Herr Behn wußte, daß er mir keine größere Freude machen könne, als mich auf einige Tage mitten in einen Jungle zu versetzen, wo ich nach Herzenslust der Natur und dem Insektenfange leben konnte, so wies er mir dieses Häuschen als Wohnort an. Er stellte auch ein Boot und fünf Männer zu meiner Verfügung, damit ich die nahe gelegenen kleinen Eilande besuchen könne. Die fünf Männer (Malaien) kamen jeden Morgen. Wollte ich nicht fahren, so durchstreiften sie mit mir den Jungle, halfen Insekten fangen, deren es hier im Ueberflusse gab, und dienten mir zugleich als Schutzwehr gegen die zahllosen Tiger, die stets von Malakka über den schmalen Meeresarm geschwommen kommen. Diese Thiere haben in den letzten Jahren sehr zugenommen; sie scheuen sich nicht, am hellen Tage in die Pflanzungen einzubrechen und Arbeiter heraus zu holen. Im Jahre 1851 wurden 400 Personen von ihnen auf der kleinen Insel Singapore aufgezehrt.

Trotz der schaudervollen Begebenheiten, die man[S. 58] mir erzählt hatte, fand ich einen eigenen Reiz, von Morgen bis Abend in diesen schönen Waldungen umherzustreifen. Meine fünf braunen Begleiter waren mit Gewehren, Lanzen und langen Messern bewaffnet, stießen von Zeit zu Zeit ein lautes Geschrei aus und schlugen an Aeste und Bäume, um die bösen Gäste zu schrecken und zu verscheuchen. Dies alles erweckte nicht die geringste Furcht in mir. Ich war zu sehr beschäftigt mit den reizenden Gegenständen, die sich auf jedem Schritte meinem Blicke darboten. Hier sprangen lustige Affen von Ast zu Ast, dort flogen buntgefiederte Vögel auf, hier waren es wieder Blumen, die aus den Stämmen der Bäume zu wurzeln schienen, sich um die Aeste rankten und ihre Blüthen durch die Zweige und Blätter drängten, dort setzten mich die Bäume selbst durch ihren Umfang, durch ihre Höhe und Fremdartigkeit in Erstaunen. Nie werde ich der glücklichen, schönen Tage vergessen, die ich in diesem Jungle verlebte, und von weiter Ferne sende ich dem Veranlasser jenes schönen Aufenthaltes, Herrn Behn, meinen innigen Dank.

Spuren der Tiger sahen wir täglich; überall fanden wir Abdrücke ihrer Krallen im Sande oder in der weichen Erde. Eines Mittags kam ein solcher Gast ganz nahe an das Häuschen und holte sich einen Hund, den er in gemütlicher Ruhe, kaum einige hundert[S. 59] Schritte entfernt, verzehrte. In einer Nacht wurde ich durch einen Lärm in der Gallerie neben meinem Schlafgemache aufgeschreckt. Ich dachte wohl, daß es keine vierfüßigen Besucher seien; aber ich fürchtete eben so sehr zweifüßige, um so mehr, als unweit des Häuschens 20 bis 30 Verbrecher wohnten, die das Gouvernement hierher versetzt hatte, um Holz zu fällen. Man wußte, daß meine Wache in einer entfernten Hütte schlief, daß ich allein in dem Häuschen wohne und daß die Thüren gar nicht geschlossen werden konnten. Ich hatte zwar stets ein großes Messer bei mir; das würde mir aber wahrscheinlich nicht viel geholfen haben. Dessenungeachtet rief ich beherzt. „Wer da?“ — Ich erhielt zur Antwort, daß ein Tiger bemerkt worden sei, der um die Hütte kreise und daß man Jagd auf ihn mache. Das war leicht möglich; doch hörte ich keinen Schuß fallen und die Stille der Nacht ward nicht weiter getrübt. Am andern Morgen spielte ein Aeffchen beinahe vor der Thüre; einer meiner Beschützer legte sein Gewehr an — der Schuß versagte aber, und zwar wiederholte Male. Welch ein Glück, daß wir der Waffen nicht in Wirklichkeit benöthigten!

Die kleine Insel Urbin, unweit Changie, verdient einen Besuch. Sie hat außer dem bereits erwähnten Granit eine Merkwürdigkeit aufzuweisen, die noch kein Naturforscher erklären konnte. Die Felspartien[S. 60] am Meergestade sind nämlich nicht glatt und rund, wie an allen Orten, wo sie vom Wasser überspült werden, sondern im Gegentheile scharfkantig und wie in Fächer getheilt. Die Kanten mögen 1 bis 1½ Fuß eingeschnitten sein und stehen 1 bis 2 Fuß von einander entfernt.

Ich änderte in Singapore abermals meinen Reiseplan: anstatt nach Adelaide (Australien) ging ich nach der Westküste Borneo’s, nach Sarawak, dem unabhängigen Besitzthume eines Engländers, Namens Brooke.

Kapitän Layall vom Trident, 320 Tonnen, war so gefällig, mich für einen mäßigen Preis dahin mitzunehmen.

Man rechnet von Singapore nach der Stadt Sarawak 450 Seemeilen. Wir benöthigten zwölf Tage bis an das Kap Datu an der Mündung des Flusses Sarawak, der hier über eine Meile breit ist. Einen halben Tag mußten wir auf der Rhede liegen bleiben, um mit der Fluth in den Strom zu kommen, auf welchem man noch 25 Meilen aufwärts zu segeln hat.

Bevor ich Sarawak beschreibe, will ich meine Leser in wenigen Worten mit der Geschichte Herrn Brooke’s bekannt machen, welchen der Sultan von Borneo zum Rajah (Fürsten) ernannt und mit dem[S. 61] Gebiete von Sarawak belehnt hat. — Ich schöpfe diese kurzen Mittheilungen aus „Keppel’s Expedition to Borneo.

James Brooke stammt aus der Familie des Sir Robert Vyner, Baronet, welcher unter Karl dem II. Lord-Mayor von London war. James Brooke, im Jahre 1803 geboren, ging als Kadet nach Indien, zeichnete sich sehr aus und erhielt in einem Gefechte mit den Burmesen einen Schuß durch den Leib, in Folge dessen er nach England zurückkehrte, um sich herzustellen. Er nahm späterhin wieder Dienst; seine geschwächte Gesundheit erlaubte ihm aber nicht, demselben lange vorzustehen, und er ging im Jahre 1830 von Calcutta nach China, um Luft zu verändern und sich zu zerstreuen. Auf dieser Reise war es, daß er den Indischen Archipel kennen lernte, der ihm ausnehmend gefiel. Er las die vorzüglichsten Werke, die über diesen Theil der Welt existiren, und gelangte alsbald zur Ueberzeugung, daß die östlichen Inseln und besonders Borneo ein reiches Feld für Forschungen und Unternehmungen darböten. Seine Hauptzwecke waren: den Sklavenhandel aufzuheben, den Seeräubereien zu steuern und die Eingebornen zu Menschen zu bilden. Er kehrte nach England zurück, hatte aber mit vielen Hindernissen und Unannehmlichkeiten zu kämpfen, bevor es[S. 62] ihm möglich wurde, seinen Plan in Ausführung zu bringen. Im Jahre 1838 verließ er endlich England auf einem kleinen, aber wohl ausgerüsteten Kriegsschooner und mit Leuten, die er während der letzten Jahre für sein Unternehmen vorbereitet hatte. „Und wenn je ein Mann“ sagt Keppel, „für solch ein Unternehmen geeignet war, so war es James Brooke. Ein ausgezeichneter Verstand, schnelle Fassungsgabe, Großmuth, Entschiedenheit, mit einem Worte alle guten Eigenschaften des Kopfes und des Herzens zierten ihn, und er verband damit ein überaus freies und liebenswürdiges Benehmen.“

Als J. Brooke in Sarawak ankam, fand er den Rajah, Muda Hassim, in großen Zwistigkeiten mit seinem Volke. J. Brooke stand ihm bei und brachte nach zwei Jahren vollkommene Ruhe und Ordnung im ganzen Lande zu Stande. Er richtete hierauf seine Aufmerksamkeit auf die Piraten und reinigte die Küste gänzlich von ihnen. Muda Hassim trat ihm aus Dankbarkeit den Distrikt Sarawak ab und ernannte ihn zum Rajah. Er nahm das Land im Jahre 1841 in Besitz und wurde sowohl von dem Sultane von Bronni (Borneo), als auch von den Engländern als Fürst und Eigenthümer anerkannt.

Die Folgen seiner kräftigen und gerechten Regierung zeigten sich in seinem Lande bald. Die[S. 63] Bevölkerung der Stadt stieg in zehn Jahren (1841 bis 1851) von 1500 Seelen auf 10,000, und so wie in der Stadt, nahm auch die Bevölkerung auf dem Lande durch zahlreiche Einwanderer aus den umliegenden Staaten zu. Selbst die freien und wilden Dayaker im Innern des Landes kennen seinen Namen und ehren und achten in ihm den Befreier ihrer Landsleute, die unter dem Joche der Malaien gleich Sklaven lebten und die er letzteren in allem gleich gestellt hat. Jeder findet Sicherheit, Frieden und Verdienst. Der Kaufmann kann ruhig seinem Handel leben, der Bauer erhält unentgeltlich so viel Land als er besorgen kann und überdies noch einen Vorschuß von Reis zur Saat und zum Leben bis zur Ernte; der Arbeiter findet Beschäftigung in den Gold-, Diamanten- und Antimonium-Minen. Die Steuern sind äußerst geringe: der Kaufmann zahlt eine Kleinigkeit für seinen Laden, der Bauer einen Pikul (125 Pfund leichtes Gewicht) Reis per Jahr, und der Arbeiter gar nichts.

Die Haupteinkünfte des Rajah sind die Antimonium-Minen und der Opium-Pacht, welch letzterer nicht nur hier, sondern in ganz Indien ungemein hoch ist und das bedeutendste Einkommen der Regierungen ausmacht. Ich werde im Verlaufe meiner Beschreibung ausführlich von diesem Monopole sprechen.

[S. 64]

Auf Sarawak wie überall wird das Opium von den Chinesen viel, von den Malaien wenig geraucht.

Ich bedauerte sehr, Herrn J. Brooke nicht kennen gelernt zu haben, da er sich gerade in London befand. Seine Stelle vertrat sein Neffe, Kapitän John Brooke-Brooke, den er an Sohnesstatt angenommen hat und der somit der künftige Erbe seines Titels und Landes ist.

Kaum hatte Kapitän Brooke erfahren, daß ich am Bord des Trident sei, als er sein eigenes, bequemes Prauh[12] unter Befehl des Schiffskapitäns Grimble sandte, um mir die für Segelschiffe oft langweilige Fahrt stromaufwärts zu verkürzen. Der Trident hatte auch wirklich drei Tage dazu nöthig, während ich selbst sie in vier Stunden machte.

Die Flußufer sind äußerst niedrig, so daß das Wasser sie an vielen Orten überschwemmt und fortgesetzte Reihen von Morästen bildet. Die ersten 10 bis 12 Meilen vom Flusse an gegen das Innere sind auf beiden Seiten mit Nipa- und Mangrova-Palmen bedeckt, dann fängt junger Jungle an. Die Nipa-Palme[S. 65] ist den Eingebornen von unendlichem Werthe. Sie hat keinen Stamm, die Blätter, 12 bis 15 Fuß lang, schießen gleich aus den Wurzeln empor. Alle Theile dieser Palme sind nützlich: von den Rippen der Blätter werden die Wände der Hütten gemacht; die Blätter selbst dienen als Bedachung, oder werden zu Asche gebrannt, aus der man Salz gewinnt. Matten und Körbe werden aus den Blättern geflochten und der ihnen entzogene Saft wird zu Syrup gekocht.

In der Nähe der Stadt erhöhen sich die Ufer, und die Gegend wird teilweise hügelig. Weiter im Innern zeigen sich Gebirgszüge, deren höchste Berge Matang, Santabong 3000 Fuß messen. Als eine Eigenthümlichkeit des Landes erschienen mir mehrere steilaufsteigende, einige tausend Fuß hohe Berge mit spitzen Kuppeln, die ohne Verbindung mit andern Bergen oder Hügeln frei in der Mitte von Ebenen standen.

Was die Bevölkerung anbelangt, so ist sie an der Meeresküste und an den Ufern des Flusses sehr spärlich. Ich sah an der Mündung nur ein einziges Haus, welches ungefähr hundert Fuß lang ist, auf 20 Fuß hohen Pfählen ruht und von Dayakern bewohnt wird; dann hört jede Ansiedlung auf bis ungefähr acht Meilen vor der Stadt. In früheren Zeiten war das Land bis auf 20 oder 30 Meilen von der Küste unbewohnt.[S. 66] Die Furcht vor den Piraten war so groß, daß Niemand es wagte, seine Hütte in ihrem Bereiche zu bauen. Seit der Ankunft Rajah Brooke’s hat, wie gesagt, an der West- und Nordwest-Küste Borneo’s die Piraterie gänzlich aufgehört.

An dem Landungsplatze empfing mich Kapitän Brooke persönlich und geleitete mich in das Haus seines Onkels. Als ich ihm meinen Empfehlungsbrief überreichte, war er so artig, mich zu versichern, daß mein Name schon hierher gedrungen sei und ich keines Empfehlungsbriefes bedürfe.

Die Stadt Sarawak hat weder Straßen noch Plätze; sie besteht aus einer Menge größerer und kleinerer Hütten, die ohne Symmetrie und Ordnung in Haufen zusammengedrängt liegen. Die Hütten sind aus der Nipa-Palme gebaut und stehen auf 8 bis 10 Fuß hohen Pfählen, welche Bauart den Malaien eigen ist und von den Chinesen selten nachgeahmt wird. Die Aufgänge sind Leitern, deren Sproßen aber so weit von einander stehen, daß ihr Ersteigen für einen ungeübten Kletterer gefährlich wird. Noch gefährlicher sind die Vorplätze, deren Boden einem grob geflochtenen Netze gleicht, das aus dünnen, runden und glatten Bambus-Stämmchen besteht, von welchen man leicht abgleitet und dann mit dem Fuße in den Zwischenräumen hängen bleibt. Im Innern der Hütten ist[S. 67] dieses Bambus-Gitter wenigstens enger und mit Matten überlegt. — Von Haus-Einrichtung ist wenig zu sehen: einige Körbe, hölzerne Kisten, Strohmatten, Polster, irdenes Kochgeschirr, ein Gong, ein Parang[13] und einige Klambu’s. Letztere bilden eine Art Schlafgemach für die verheirateten Leute und die erwachsenen Mädchen. Sie bestehen aus einer Himmeldecke mit Vorhängen von Kammertuch, die bis zur Erde reichen. Die Klambu’s sind ungefähr fünf Fuß hoch und breit und sechs Fuß lang, können leicht an jeder Stelle aufgemacht werden und schützen auch gegen die Moskitos.

Der Raum unter dem Hause ist von Hühnern, Hunden und anderen Thieren, bei den Chinesen auch von Schweinen bevölkert. Er gleicht einer wahren Mistpfütze, denn aller Unrath wird durch den gegitterten Boden hinabgeworfen.

Die Einwohner Sarawak’s sind Malaien und Chinesen; die wenigen Dayaker, die man sieht, bilden keine Familien; sie stehen entweder in Diensten oder kommen in Geschäften. Die Chinesen bewohnen einen Theil der Stadt, die Malaien einen andern; jeder dieser Theile wird Kampon genannt.

[S. 68]

Die Chinesen weichen in nichts von ihren vaterländischen Sitten, Gebräuchen und Trachten ab. Die einzige Aenderung zu der sie gezwungen sind, ist, daß sie ihre Frauen bei den Malaien oder Dayakern suchen müssen. Die Chinesische Regierung erlaubt nämlich dem weiblichen Geschlechte nicht, auszuwandern; eine Frau oder ein Mädchen, die China verlassen, sind ihres Vermögens verlustig und dürfen nie wiederkehren. Die Chinesen auf Borneo wählen ihre Frauen gewöhnlich aus dem Dayakischen Volke; die Dayakerinnen sind viel arbeitsamer als die Malaiinnen und haben den großen Vortheil, eigentlich keine Religion zu besitzen und daher leicht die ihrer Männer anzunehmen, oder wenigstens kein Aergerniß daran zu finden.

Man kann die Chinesen als das Glück und das Unglück des Landes betrachten, in dem sie sich niederlassen. Einerseits sind sie arbeitsam und ausdauernd in allem was sie unternehmen, andererseits aber im höchsten Grade gewinnsüchtig, falsch und listig. In ihren Händen liegt der ganze Handel, der größte Theil der Gewerbe, die Bearbeitung der Minen; sie entziehen den trägen Malaien, den ehrlichen Dayakern jeden Gewinn und übervortheilen und betrügen sie auf alle Art.

Die Malaien sind Mohamedaner, weichen aber in manchen Gebräuchen von den Mohamedanern im Oriente[S. 69] ab. So genießen z. B. ihre Weiber sehr viel Freiheit; sie gehen ungehindert aus und haben das Gesicht nicht verschleiert; sie sind im Gegentheile nur zu leicht gekleidet, denn die meisten tragen blos den Sarong, ein Stück Zeug, welches über oder unter der Brust befestiget wird und bis über die Schenkel reicht. Andere vervollständigen ihren Anzug mit einem kurzen Jäckchen (Kabay) oder einem längeren Oberkleide (Padju). Die Weiber der Vornehmen gehen zwar wenig aus; doch ist dieß ihrer Trägheit und nicht einem Verbote zuzuschreiben, denn im Hause empfangen sie jede Art Besuche.

Die Tracht der Männer weicht von jener der Weiber wenig ab; sie tragen, wie diese, den Sarong, den Kabay, ja manche auch den Padju. Viele haben unter dem Sarong kurze Beinkleider an. Auf den ersten Blick würde man oft die Geschlechter nicht unterscheiden, hätten die Männer nicht Tücher um den Kopf geschlagen, während die Weiber in ihrem bloßen Haarschmucke gehen.

Die Ehen werden hier ohne große Zeremonien geschlossen und sehr leicht gelöst. Jedes der Eheleute hat das Recht sich zu trennen. Man findet unter jungen Männern oder Frauen viele, die mehr als ein halb Dutzendmal ihre Ehe-Hälften verändert haben.

[S. 70]

Die Malaische Race zeichnet sich nicht durch Schönheit aus. Besser ist noch der Körper bedacht als das Gesicht. Letzteres ist durch den breiten, stark hervortretenden Oberkiefer, durch den großen Mund, die schwarzen, abgefeilten Zähne und die schlappe, ausgedehnte Unterlippe im höchsten Grade entstellt. Die Zähne werden mit Antimonium, Gambir und noch andern Ingredienzien glänzend schwarz gefärbt, welche sonderbare Mode bei den Malaien als Schönheit gilt. Viele feilen sie auch halb ab oder spitzen sie pyramidenförmig zu. Die Ausdehnung der Unterlippe rührt von dem Siri her, welches sie kauen und häufig zwischen den untern Zähnen und der Lippe halten. Ihr Körper ist durchschnittlich von mittlerer Größe, die Männer sind etwas schlanker als die Weiber. Ihre Hautfarbe ist licht röthlichbraun bis dunkelbraun; Haare und Augen schwarz, Nase flach mit breiten Nasenflügeln, Hände und Füße klein, aber zu mager und knochig.

Sie beginnen schon mit acht oder zehn Jahren Siri zu kauen. Das Siri besteht aus einem Betelblatte, in welches ein Stückchen Arecanuß, aus Seemuscheln gebrannter Kalk und etwas Gambir gewickelt wird. Bevor sie dieses Päckchen in den Mund schieben, reiben sie auf ekelhafte Weise die Zähne und Lippen mit Tabak ein und nehmen ihn gleichfalls in den Mund. Durch das Sirikauen wird der Speichel[S. 71] wie der ganze Mund blutroth gefärbt. Diese schöne Gewohnheit ist so beliebt, daß alte Leute, welchen die Zähne zum kauen fehlen, stets ein kleines Rohr mit sich führen, in welchem sie das Siri zerstoßen.

Die Umgebung von Sarawak ist lieblich und wird durch die wenigen Europäischen Häuser verschönert, die nebst einer artigen Kirche, einem Missionshause, einem kleinen Fort und einer Gerichtshalle, auf den umliegenden Hügeln stehen. Alle diese Gebäude sind von Holz, Rajah Brooke’s Residenz nicht ausgenommen. Bei dem Missionshause befindet sich eine Schule für die Eingebornen; 24 Kinder, meist Waisen, waren gänzlich in Kost und Verpflegung aufgenommen. Das unbedeutende Fort besitzt ein Paar Kanonen und gar keine Besatzung. Rajah Brooke ist nicht nur von seinen Unterthanen, sondern auch von den benachbarten Völkern so geachtet und geliebt, daß er der Waffen nicht bedarf.

Ich besuchte die Häuser einiger der vornehmsten Malaien, meist ehemaliger Piratenhäuptlinge, die sich seitdem in friedliche Bürger, ja zum Theil in brauchbare Beamte des Rajah’s umgewandelt haben.

Die Wohnung eines reichen Malaien besteht, wie die des armen, aus einem einzigen, nur größeren Gemache, oft von 50 Fuß Länge und Breite, welches außer den Klambu’s auch noch einige kleine Abtheilungen[S. 72] enthält, die durch niedere Blätterwände gebildet werden. Man sieht hier mitunter Teppiche und hübsche Matten; den Hauptreichthum aber machen die Gongs, die Waffen und die Balangas aus. Letztere sind irdene, vasenartige Gefäße von zwei bis vier Fuß Höhe, mit Arabesken verziert und anscheinend ohne allen Werth. Ich hätte sie gar nicht beachtet oder für große Wassergefäße gehalten. Aber man machte mich auf sie aufmerksam, und ich erstaunte sehr, als man mir sagte, daß diese Gefäße von hundert bis einige tausend Rupien[14] werth seien (wahrscheinlich eine etwas übertriebene Angabe). Der Besitzer einer solchen Vase soll, im Falle er Geld nöthig hat, mit Leichtigkeit von Jedermann einen Theil oder den ganzen Werth darauf vorgestreckt bekommen. Man kennt weder ihren Ursprung noch ihr Vaterland noch ihren Nutzen oder Gebrauch. Man vermuthet, daß sie von China kommen. Die Chinesen ahmen in neuerer Zeit diese Vasen täuschend nach; doch wissen die Kenner auf den ersten Blick die echten von den falschen zu unterscheiden.

Da ich auch gerne mit den Dayakern Bekanntschaft gemacht hätte, war Kapitän Brooke so gefällig, mir einen Ausflug nach einer ihrer Behausungen vorzuschlagen;[S. 73] nur, meinte er, müsse ich das Bergklettern gut gewohnt sein. Die Dayaker lieben nämlich die Ebene nicht, sondern bauen ihre Hütten auf die Spitzen der Berge, je höher und unzugänglicher desto lieber. In früheren Zeiten thaten sie das der Sicherheit wegen, jetzt unter der ruhigen Regierung Rajah Brooke’s thun sie es aus alter Gewohnheit.

Unser Ausflug galt dem Berge Serambo, von 1500 Fuß Höhe, auf welchem ungefähr 80 Familien unter einem Häuptlinge leben.

Am 20. Dezember um elf Uhr Nachts, traten wir unsere kleine Reise auf dem Flusse Sarawak an. Die Nacht war finster und regnerisch; doch uns hatte weder Regen noch Finsterniß etwas an. Das Prauh war gut gedeckt, hell erleuchtet und durch Vorhänge in Gemächer getheilt, in deren einem ich ein weiches Lager unter einem Muskito-Netze fand. Die Fluth half unserer Fahrt, und als ich des Morgens erwachte, landeten wir gerade in Siniawan, einem chinesischen Kampon, aus zwei Reihen Hütten bestehend, die eine kleine Straße bilden. Ich sah hier, daß der Chinese den Schmutz nicht minder liebt als der Malaie; der Unterschied zwischen beiden ist, daß der Malaie, der sein Haus auf Pfähle setzt, über dem Schmutze lebt, während der Chinese ihn vor seiner Thüre hat.

[S. 74]

Kapitän Brooke hatte Küche, Diener und Lebensmittel vorausgesandt, und bald saßen wir um ein leckeres Mahl. Außer Herrn Brooke und mir waren noch zwei Europäer von der Gesellschaft.

Nach dem Frühstücke ging es an die Fußparthie. Ein munterer Trupp Dayaker, welchen unsere Ankunft schon Tages zuvor bekannt gemacht worden war, umringte uns; jeder wollte etwas zu tragen haben, um ein wenig Tabak zu verdienen. Wir hatten über zwanzig im Gefolge, von welchen manche bloß eine kleine Kochpfanne trugen; nichts desto weniger ließ Kapitän Brooke reiche Spenden von Tabak und Kupfermünzen unter sie vertheilen.

Der Weg führte bis an den Fuß des Berges durch ausgebreitete, gut kultivirte Reispflanzungen. Der Berg selbst stieg steil und schroff aus der Ebene empor.

Ich hatte schon viel von den schlechten Wegen auf Borneo gehört, dennoch war meine Verwunderung groß, als ich den wahrhaft lebensgefährlichen Pfad sah der auf die Spitze des Berges führte. Ueber Pfützen, Sumpfstellen, Bäche oder Abgründe lagen zwei Bambusstämmchen oder ein dünnes, rundes Bäumchen, — an schroffen Felskegeln, die man erklimmen mußte lehnten ebenfalls nur einzelne, schmale Baumstämmchen, hie und da ein wenig eingekerbt, um dem Fuße einen[S. 75] Halt zu geben. An den gefährlichsten Stellen war wohl eine Art Geländer angebracht, aber von so zarter Beschaffenheit, daß man unvermeidlich gefallen wäre, hätte man sich im Ernste darauf gestützt. Ich mußte meine Augen beständig auf den Pfad gerichtet haben, und konnte den mich umgebenden Naturschönheiten nicht die geringste Aufmerksamkeit schenken. Nur auf den Haltpunkten, die von Zeit zu Zeit gemacht wurden, fand ich Muße, die üppigen Wälder, durch welche unser Weg führte, die schönen Schlingpflanzen und Orchideen zu betrachten. Die Palmen sind auf Borneo umfangsreicher als irgendwo, besonders die Sago-Palmen. Blumen und Vögel fand ich aber in geringerer Anzahl als auf Singapore. Es war wohl, wie man mir sagte, nicht die Blüthenzeit; doch hielt ich mich sechs Monate auf Borneo auf und sah diese Blüthenzeit nicht kommen.

Auf einer Höhe von 1200 Fuß fanden wir den ersten Wohnplatz der Dayaker, eine große Hütte von 50 Fuß Länge und Breite, deren ganze Einrichtung aus einer Menge von Schlafstellen bestand, die ringsum an den Wänden angebracht waren. Es ist nämlich unter einigen der Dayakischen Stämme Sitte, daß die Jünglinge einige hundert Schritte von dem elterlichen Dorfe entfernt, in einer gemeinschaftlichen Hütte unter der Aufsicht des Häuptlings schlafen. Diese Hütte dient zugleich zum Tummel- und Festplatze, und zur[S. 76] Aufbewahrung der Kriegstrophäen, die in den abgeschnittenen Köpfen der Feinde bestehen. Mit wahrem Grausen sah ich hier 36 Schädel aneinander gereiht und gleich einer Guirlande aufgehangen. Die Augenhöhlen waren mit weißen, länglichen Muscheln ausgefüllt. Unter Rajah Brooke’s Regierung hat zwar das Kopf-Abschneiden in dem Bezirke von Sarawak sein Ende gefunden; aber die Eingebornen verehren noch immer diese Schädel — Denkmale einer blutigen Vergangenheit, die ihren Augen wahrscheinlich ruhmvoll erscheint.

Wir setzten unsere Wanderung fort zu dem nahen Wohnplatze der Familien. Hier standen zwei große Hütten auf Pfähle gebaut, jede über 150 Fuß lang, einander gegenüber. Als Aufgänge dienten schmale, eingekerbte Baumstämme, die Nachts gewöhnlich weggenommen werden. Jede Hütte hatte einen geräumigen, gedeckten Vorplatz, von welchem Thüren zu den Kammern der Familien führten. Die meisten Familien haben eine, manche zwei Kämmerchen; diese enthalten Schlaf- und Feuerstellen und einiges Kochgeschirr. Das eigentliche Leben ist auf dem Vorplatze; hier wird gearbeitet, hier tummeln sich die Kinder umher, hier ruhen die alten Leute. Alles scheint eine Familie auszumachen. Die Weiber flechten Matten und Körbe, die Männer schnitzen zierliche Büchschen[S. 77] für Tabak, Kalk und Gambir, so wie auch sehr schöne Hefte zu ihren Parangs. Auf den Vorplätzen gibt es ebenfalls Feuerstellen, die aber weniger zum Kochen, als zur Beleuchtung dienen. Ueber diesen Feuerstellen wurden vor noch wenig Jahren die frischen Menschenköpfe aufgehangen und so lange gelassen, bis sie vollkommen eingetrocknet und geräuchert waren, worauf man sie unter großen Zeremonien nach dem Ehrenplatze, der Hütte des Häuptlings trug.

Die Dayaker wohnen gleich den Malaien, über einer Pfütze in der sich Schweine[15], Hunde und Hühner umhertreiben. Wenn man diesen Unrath sieht, begreift man kaum, daß die Leute nicht alle stets fieberkrank sind. Außer Hautausschlägen und Geschwüren bemerkte ich jedoch keine Krankheiten unter ihnen. An letztgenannten Uebeln leidet das männliche Geschlecht ungleich häufiger als das weibliche.

Die Dayaker sind eben so wenig mit Schönheit begabt wie die Malaien. Sie haben das Nasenbein flach, die Nasenflügel sehr breit, den Mund groß, die Lippen blaß und aufgedunsen und die Zahnkiefer hervorstehend. Die Zähne feilen sie gleich den Malaien ab und färben sie schwarz. Der Ausdruck ihrer Gesichter[S. 78] ist im Allgemeinen gelassen und gutmüthig, mitunter etwas dumm, was zum Theile von der Gewohnheit herrühren mag, den Mund beständig offen zu haben. Ihre Hautfarbe ist lichtbraun, Haare und Augen sind schwarz. Die Männer tragen das Haar kurz, die Weiber lang, straff, hinabhängend und ungeflochten. Der Gang und die Haltung der Weiber ist sehr unzierlich; sie setzen die Füße weit auseinander und strecken den Unterleib sehr hervor. Diese Unzierlichkeit der Haltung ist zum Theile auch dem Malaischen weiblichen Geschlechte eigen.

Die Bekleidung der Dayaker ist die allereinfachste. Die ganze Garderobe der Männer besteht in einem handbreiten Streifen von Bast, den sie um die Mitte des Leibes geschlagen haben. Gewöhnlich gehen sie auch ohne Kopfbedeckung, selten daß einer ein Stück Bast um den Kopf bindet. Sie haben ein großes Wohlgefallen an Glasperlen und Messingringen, und behängen sich damit Hals und Arme. Die Männer schmücken sich weit mehr als die Weiber, ja die Glasperlen scheinen ihr Vorrecht zu sein. Ich bemerkte deren höchst selten an den Weibern. Die Dayaker tragen stets an einer Seite ein langes, breites Messer, wie bei den Malaien „Parang“ genannt, an der andern ein zierliches Körbchen, welches die Bestandteile des Siri enthält.

[S. 79]

Die Weiber kleiden sich mit einem knapp anliegenden Röckchen von Zeug (Bidang), welches von den Lenden bis an die Schenkel reicht; um den Leib tragen sie einen Gürtel (Raway) von vielen Messingreifen oder schwarz geputzten Bambusringen, der bei manchen zwei, bei andern sechs bis acht Zoll breit ist, je nach der Wohlhabenheit der Besitzerin. Die Mädchen legen ihn an, wenn sie aus den Kinderjahren treten, was hier schon gewöhnlich im zehnten Jahre der Fall ist. Dieser oft fünfzehn Pfund schwere eng anschließende Gürtel wird nur für die Zeit abgelegt, als das Weib nahe daran ist Mutter zu werden. Geschmeide sah ich bei den Weibern dieses Stammes wenig. Einige trugen am linken Arme, von dem Handgelenke bis zum Ellbogen viele Messingringe. Die Ohrläppchen hatten sie so stark durchlöchert, daß man ein zolldickes Stück Holz hätte durchziehen können. Sie tätowiren sich nicht, färben aber zuweilen Füße, Nägel und Fingerspitzen rothbraun.

Wir brachten bei diesem Völkchen den Rest des Tages und die Nacht zu. Abends bewirthete Kapitän Brooke die Leute mit Branntwein, den sie sehr lieben, und forderte sie auf, uns dagegen mit Tänzen zu unterhalten. Sie schienen nicht sehr geneigt, unserem Wunsche zu willfahren, und es kostete Mühe, sie dazu zu bewegen. Ihr Tanz ist ruhig und gelassen[S. 80] und gibt, gleich jenen Hindostans, weniger den Füßen, als den Händen und Armen zu thun. Er wird entweder von einem Manne allein, oder von einem Manne und einem Weibe aufgeführt. Das Weib macht dieselben Bewegungen wie der Mann, schlägt aber dabei die Augen so tief zu Boden, daß man glauben möchte, sie seien geschlossen. Ein Mann oder ein Paar tanzt nie lange und wird dann von andern abgelöst. Die Musik bestand aus zwei Trommeln und einem Gong. Die übrigen Dayaker saßen still, ja beinahe bewegungslos da. Ernst und Ruhe scheint in ihrem Charakter zu liegen. Nirgends ward ich weniger von Neugierde belästigt als hier.

Den folgenden Morgen ging es an die Rückreise. War das Aufsteigen schon schwierig, so war es das Hinuntersteigen noch mehr, namentlich da ein stark anhaltender Regen in der Nacht die Pfade glatt und schlüpfrig gemacht hatte. Es blieb mir nichts anders übrig als die Schuhe auszuziehen und mit bloßen Füßen über Stock und Stein, durch Disteln und Dornen meine Wanderung bis in das Thal zu machen.

Zu Siniawan wurde wieder gefrühstückt, dann fuhren wir fünf Meilen den Fluß Sarawak stromaufwärts, gingen weiter drei Meilen in einem engen Thale zu Fuße und befanden uns mitten im Antimonium-Erze.

[S. 81]

Das Erz liegt hier so reich auf der Oberfläche der Erde, daß man gar keine Minen zu graben braucht. Es wird ganz einfach mit Brecheisen und Hämmern in Stücke geschlagen, in Körbe geladen und durch Menschen bis an den Fluß getragen. Ein Chinese trägt mittelst einer Stange, an deren jedem Ende ein Korb hängt, zwei Pikul und läuft mit dieser Last noch dazu ziemlich rasch fort. Das Erz soll 90 Procent liefern.

Von diesen Minen, oder besser gesagt diesem Lager, begaben wir uns nach einem Sommerhause Rajah Brooke’s, mit welchem eine kleine Meierei verbunden ist. Herr Brooke hält hier einige Dutzend Kühe und läßt täglich Butter machen, die nebst der Milch an seine Küche geliefert wird.

Kühe und Pferde findet man auf Borneo nur bei den Europäern; erstere arten sehr bald aus, geben wenig und schlechte Milch, die Kälber sterben häufig; die Pferde werden nicht so alt, wie in ihrem Vaterlande und pflanzen sich gar nicht fort. Dagegen sah ich beim Rajah Brooke einen herrlichen Nasen-Affen, zwei große Orangutangs und einen Honigbären, Thiere die bloß auf Borneo vorkommen.

Am 24. Dezember kamen wir wieder nach Sarawak zurück.

[9] Für Segelschiffe rechnet man 8000 Seemeilen, da man der Winde halber einen ungeheuern Bogen nach Westen beschreiben muß und Brasiliens Küste ziemlich nahe kommt, für Dampfschiffe 5000 Meilen. — Wenn ich wo immer zu Wasser reise, rechne ich nach Seemeilen, deren vier auf eine deutsche Meile gehen.

[10] Man nennt „über dem Winde“ die Seite von welcher der Wind kommt — „unter dem Winde“ wohin er geht.

[11] Lootsen heißt, mittelst des Senkbleies die Tiefe der See messen.

[12] Prauh ist ein Malaisches Boot von 20 bis 80 Fuß Länge und 6 bis 8 Fuß Breite, welches nicht tief geht. Die Piraten bedienen sich dieser Fahrzeuge vorzugsweise, weil sie damit in jeden Fluß lenken und sich so der Verfolgung leicht entziehen können.

[13] Der Gong ist ein musikalisches Instrument, aus einer Messing-Platte bestehend, auf welche mit einem Klöppel geschlagen wird. — Parang ein anderthalb Fuß langes Messer.

[14] Eine Rupie ist ungefähr zwei Schillinge Englisch (1 fl. Oesterreichisches Geld) werth.

[15] Da die Dayaker nicht Mohamedanischen Glaubens sind, können sie Schweine halten.

[S. 82]

Drittes Kapitel.

Abreise von Sarawak. — Gezwungene Rückkehr. — Ankunft in Sacaran. — Die unabhängigen Dayaker. — Der Schwert-Tanz. — Die eroberten Menschenköpfe. — Fahrt auf dem Luppar. — Angstvolle Nacht. — Begegnung eines kriegführenden Stammes. — Uebergang des Gebirges Sekamil. — Feierlicher Empfang bei dem Sultan von Sintang.

Da ich in Sarawak nichts mehr zu besehen hatte, wünschte ich meine Reise fortzusetzen. Mein Plan war, zur See nach dem Flusse Sacaran zu fahren, diesen landeinwärts zu verfolgen bis an das Gebirge Sekamil, welches die ost-westliche Wasserscheide macht, das Gebirge selbst zu übersteigen, auf den westlichen Gewässern mich wieder einzuschiffen, und auf diese Art in einem großen Bogen nach Pontianak zu gelangen, einer holländischen Besitzung, die an der nord-westlichen Küste Borneos liegt. Kapitän Brooke suchte mir dieses Unternehmen mit aller Macht auszureden; er versicherte mir, daß das Innere des Landes voll wilder, größtenteils unabhängiger Dayakerstämme sei, und daß er selbst als Mann diese Reise nicht wagen würde. Doch alle Gegenvorstellungen waren umsonst, — ich beharrte bei meinem Entschlusse.

[S. 83]

Herr Brooke war so gefällig sein Kanonenboot „Jolie“ unter Befehl des Kapitäns Grimble in Bereitschaft setzen zu lassen, um mich zur See bis an die Mündung des Flusses Sacaran (80 Meilen) zu bringen; ein Prauh sollte mich von dort stromaufwärts nach dem Forte Sacaran führen.

Die Bereitung des Bootes, mehr aber das schlechte Wetter hielten mich noch zehn Tage in Sarawak fest.

Den Silvesterabend brachten wir sehr angenehm zu. Kapitän Brooke hatte alle Europäer zu einem Festessen geraden, bei welchem es natürlich nicht an Toasten fehlte. Der erste galt der Königin, der zweite dem Rajah Brooke, der dritte mir, und den vierten brachte ich den versammelten Herren aus. Froh und heiter traf uns das neue Jahr (1852) vereint. Am 1. Januar klärte sich das Wetter auf, und die Sonne schien freundlich auf uns nieder. Kapitän Brooke ließ alle die Kleinen von dem Missionshause kommen und bewirthete sie mit einem guten Mahle. Die Kinder sprangen und tummelten sich im Garten umher, während die Eingebornen sich mit Wettfahrten auf dem Strome erlustigten und Kapitän Brooke die Sieger mit Geschenken beglückte.

Den 5. Januar (1852) trat ich in Begleitung eines Missionärs, der sich in Sacaran festsetzen sollte, meine Weiterreise an. Wir kamen glücklich zur See,[S. 84] fanden sie aber so stürmisch und aufgeregt, daß jeder Versuch vorzudringen, vergeblich war. Eine Sturzwelle zertrümmerte das Bugspriet, eine zweite wusch die Kabüse (Küche) sammt dem bereiteten Mahle über Bord. Wir mußten zurück, und am 6. Januar lagen wir wieder in Sarawak vor Anker.

Kapitän Brooke meinte, ich sollte diese Hindernisse als Warnung ansehen und der Reise entsagen. Ich erwiederte ihm, daß ich, obwohl Frau und alt, mich vor Vorurtheilen und Aberglauben zu bewahren gewußt habe.

Sturm und Regen wechselten Tag für Tag; seit lange konnte man sich eines so unausgesetzt schlechten Wetters nicht erinnern. Die Malaien schrieben es einer Mondesfinsterniß zu, die am 8. Januar statt hatte.

An das Kanonenboot war unter solchen Umständen nicht zu denken. Wollte ich fort, so mußte ich es in einem Prauh wagen, mit dem man nahe an der Küste fahren und in jeden Fluß einlenken kann. Ich entschloß mich dazu und schiffte mich am

17. Januar unter heftigem Regen zum zweiten Male ein, und zwar diesmal allein mit einem Malaischen Führer, den mir Kapitän Brooke mitgab. Der Missionär fürchtete sich vor der Seekrankheit! — Kapitän Grimble wollte mich durchaus begleiten; allein ich gab es nicht zu.

[S. 85]

Auch diesmal fanden wir die See sehr böser Laune: sie sandte Wogen auf Wogen über uns, so daß wir bald halb im Wasser saßen und uns nach einigen Stunden beschwerlichen Kampfes in ein nahes Flüßchen zurückziehen mußten. Den folgenden Tag ging es wenig besser, und erst den dritten gelangten wir in die Mündung des Flusses Sacaran. Hier begünstigten uns Wind und Fluth, und wir legten die 69 Meilen nach dem Fort in neun Stunden zurück.

Kommandant Lee empfing mich sehr zuvorkommend in dem hölzernen Fort, welches Rajah Brooke erst vor kurzem hier an der Grenze seines Landes bauen ließ. Das Fort ist von niedrigen Erdwällen umgeben und hat eine Besatzung von 30 eingebornen Soldaten. Herr Lee und ein Beamter sind die einzigen Europäer.

Der Fluß Sacaran ist etwas bedeutender als der Sarawak, theilt sich jedoch schon 30 Meilen von der Mündung in zwei Arme, an dessen kleinerem, Luppar genannt, das Fort liegt.

Die Ufer sind abwechselnd mit Nipa-Palmen, Laubwäldern, Jungle-Gras und Reispflanzungen bedeckt. Auch hier wie bei dem Sarawak, tritt das Wasser an vielen Stellen tief in das Land, eine Eigenthümlichkeit der meisten Flüsse auf Borneo; ihre[S. 86] Ufer sind so niedrig, daß alles meilenweit unter Wasser steht und sich Sümpfe und Moräste bilden.

Herr Lee war von meiner Ankunft unterrichtet, und hatte diese Nachricht den Eingebornen mitgetheilt, die von allen Seiten herbeiströmten um mich zu sehen, da eine weiße Frau noch nie hierher gedrungen war. Vom Morgen bis Abend mußte ich so gefällig sein, mich betrachten zu lassen. Die Besucher, Malaien und Dayaker, benahmen sich aber sehr bescheiden; ihre Neugierde war nicht belästigend; sie reichten mir die Hand, setzten sich nieder und begafften mich stillschweigend. Einige der Dayakerinnen hatten kurze Oberleibchen an, die sie jedoch bei dem Eintritte in das Zimmer ganz ungenirt ablegten.

Den folgenden Tag erwiederte ich einige Besuche. Ich fand bei den Malaien alles so wie zu Sarawak und hielt mich daher nicht lange bei ihnen auf. Ich zog es vor, einen unabhängigen Dayaker-Stamm[16] in der Nähe von Sacaran zu besuchen. Hier fand ich eine große Hütte von wenigstens 200 Fuß Länge. In der Veranda war so vielerlei Kram ausgelegt, daß ich diese Dayaker für Kaufleute gehalten hätte, wenn es solche unter ihnen gäbe. Da lagen Stoffe von Zeug[S. 87] oder Bast, herrliche Matten, schön geflochtene Körbe von allen Größen und Formen und von ausnehmend geschickter Arbeit; dort standen einige jener kostbaren Vasen, deren Werth ich noch immer nicht begreifen konnte, — hier hingen Parangs, Trommeln, Gongs; alle ihre Reichthümer waren zur Schau gestellt, der großen Vorräthe an bereiteten Bambus und Nipa, so wie der aufgestapelten Säcke von Reis und anderen Lebensmitteln nicht zu vergessen.

Auch sah ich bei diesen Dayakern ungleich mehr Schmuck als bei jenen auf dem Berge Serambo. Manche der Männer waren überladen damit. Sie hatten den Hals bis an die Brust mit Glasperlen, Zähnen des Honigbären und Muscheln behängt, die Arme bis an die Ellbogen, die Füße bis an die Hälfte der Waden mit Messingreifen umgeben. An einem der Oberarme trugen sie häufig ein aus einer weißen Muschel geschnittenes Armband, welches unter ihnen für sehr werthvoll gilt. Allein das allerwerthvollste für sie ist ein Hals- und Armband von Menschenzähnen. Die Ohren waren durchstochen und mit Messingringen geschmückt. Ich zählte an einem derselben 15 Ringe, von welchen jeder an Umfang zunahm; der größte hing bis an die Schulter hinab und hatte gewiß drei Zoll im Durchmesser. An diesen letzten war noch ein Blatt, eine Blume, ein Messing-Kettchen oder[S. 88] sonst irgend ein Gegenstand befestigt. Auf dem Kopfe trugen manche ein Käppchen von rothem Stoffe, mit Perlen, Muscheln und Messingblättchen verziert und mit einer hohen Feder des schönen Argusvogels. Andere hatten ein Stück Bastzeug kranzartig um den Kopf geschlungen, dessen Enden breit ausgefranst waren und aufgestülpten Federn glichen. Ein so geschmückter Mann sah etwas komisch aus, oben voll Putz, unten nackt.

Die Weiber trugen ungleich weniger Schmuck: sie hatten keine Ohrgehänge, keine Bärenzähne und nur selten Glasperlen. Dagegen war ihr Raway, hier Sabit genannt, acht bis neun Zoll breit, und war mit einer Unzahl Messing- oder Bleiringe besetzt. Ich hob eines dieser Prachtstücke auf und glaube nicht zu übertreiben, wenn ich sein Gewicht auf zwanzig Pfund schätze.

Herr Lee ersuchte den Häuptling, den Schwert-Tanz aufführen zu lassen. Zwei Parangs wurden zu diesem Zwecke kreuzweise auf den Boden gelegt. Die Tänzer waren zwei festlich geschmückte Jünglinge. Sie hatten rothe, schmale Tücher mit Goldbörtchen besetzt, um den Kopf geschlagen und ein langes Stück buntes Zeug, gleich einem Shawl über die Achsel geworfen. Der Tanz war äußerst zierlich und anständig. Hier hatten nicht nur die Hände und Arme, sondern auch die Füße zu thun. Die beiden Tänzer machten hübsche Stellungen und vollführten kunstvolle Bewegungen.[S. 89] Erst tanzten sie einige Minuten um die Schwerter, dann schienen sie sie erheben zu wollen, sprangen aber jedesmal, wie von Ersetzen erfaßt, zurück, bis sie dieselben endlich wirklich erhoben und in der geübtesten Weise kreuzten, gleich den best geschulten Fechtern. — Unstreitig war dies der schönste Tanz, den ich bisher von Wilden hatte aufführen gesehen. Die Musik bestand aus zwei Trommeln und einem Gong.

Denselben Tag besuchte ich noch einen zweiten Stamm, weiter aufwärts an dem Strome. Ich fand alles eben so wie bei dem ersteren; nur sah ich hier zwei erst kürzlich abgeschnittene Menschenköpfe. Es hatte zwar bei dem andern Stamme an diesen gewöhnlichen Trophäen auch nicht gefehlt; sie waren aber schon alt und in vollkommene Todtenschädel verwandelt; diese im Gegentheil erst vor wenig Tagen erobert, sahen fürchterlich aus. Der Rauch hatte sie kohlschwarz gefärbt, das Fleisch war halb eingetrocknet, die Haut unversehrt. Lippen und Ohren waren ganz zusammengeschrumpft; erstere standen weit von einander, so daß sich das Gebiß in seiner ganzen Häßlichkeit zeigte. Von den noch reich mit Haaren bedeckten Köpfen hatte einer die Augen offen, die ebenfalls halb eingetrocknet, weit in ihre Höhlen zurückgetreten waren. Die Dayaker nahmen die Köpfe aus dem Geflechte, in welchem[S. 90] sie hingen, um sie mir genau zu zeigen — ein fürchterlicher Anblick, den ich nicht leicht vergessen werde.

Sie hauen die Köpfe so knapp am Rumpfe ab, daß man nur auf eine äußerst geübte Hand schließen kann. Das Gehirn wird am Hintertheil des Kopfes herausgenommen.

Als sie die Köpfe in die Hand nahmen, spieen sie ihnen in’s Gesicht, die Knaben gaben ihnen Püffe und spieen auf die Erde. Die sonst ruhigen und friedlichen Gesichter nahmen bei dieser Gelegenheit einen starken Ausdruck von Wildheit an.

Ich schauderte, — konnte aber doch nicht umhin zu bedenken, daß wir Europäer nicht besser, ja im Gegentheile schlechter sind als diese verachteten Wilden. Ist nicht jedes Blatt unserer Geschichte voll Schandthaten, Morde und Verräthereien jeder Art? — Was läßt sich vergleichen mit den Religionskriegen in Deutschland und Frankreich, mit der Eroberung Amerikas, mit dem Faustrechte, mit der Inquisition? Und selbst in neueren Zeiten, nachdem wir vielleicht feiner und gebildeter in der äußeren Form, sind wir deshalb weniger grausam? — Nicht eine kleine, elende Hütte, gleich den rohen, unwissenden Dayakern, sondern geräumte Hallen, die größten Paläste, könnten manche berühmte Männer Europas mit den Köpfen schmücken, die ihren herrschsüchtigen und ehrgeizigen Plänen zum[S. 91] Opfer gefallen sind! Hat Napoleon in seinen Eroberungszügen nicht Millionen geschlachtet? Werden die meisten Kriege aus anderen Ursachen, als aus Habsucht und Raubgier eines Einzelnen unternommen? Wahrlich ich wundere mich, wie wir Europäer es wagen können, Zeter und Wehe über arme Wilde zu schreien, die zwar ihre Feinde umbringen gleich uns, die aber die Entschuldigung für sich haben, daß sie weder Religion noch Bildung besitzen, welche ihnen Sanftmuth, Milde und Abscheu vor Blutvergießen predigen.

In vielen Reisebeschreibungen liest man, daß die Dayaker ihrer Auserwählten die Liebe dadurch beweisen, daß sie ihr einen Menschenkopf zu Füßen legen. Der Reisende, Herr Temmingk, sagt jedoch, dieß sei nicht wahr. Derselben Meinung möchte ich auch beistimmen. Wo sollten alle die Köpfe hergenommen werden, wenn jeder Jüngling seiner Braut ein derartiges Geschenk machte? Die traurige Sitte des Köpfens scheint vielmehr aus Aberglauben entstanden zu sein. Erkrankt z. B. ein Rajah oder unternimmt er eine Reise zu einem anderen Stamme, so gelobt er und sein Stamm einen Kopf im Falle der Genesung oder der glücklichen Wiederkehr. Stirbt er, so werden auch ein oder zwei Köpfe geopfert. Bei Friedensschlüssen wird ebenfalls von manchen Stämmen von jeder Seite[S. 92] ein Mann geliefert, um geköpft zu werden; bei den meisten jedoch werden Schweine statt der Menschen geopfert.

Ist ein Kopf gelobt, so muß er um jeden Preis herbeigeschafft werden. Gewöhnlich legen sich dann einige Dayaker in einen Hinterhalt. Sie verbergen sich in dem drei bis sechs Fuß hohen Jungle-Grase, oder zwischen Bäumen oder abgehauenen Zweigen, unter dürrem Laube, und harren Tagelang ihres Opfers. Nähert sich ein menschliches Wesen, Mann, Weib oder selbst ein Kind dem Verstecke, so schießen sie erst einen vergifteten Pfeil ab, dann springen sie gleich Tigern auf ihre Beute los. Mit einem einzigen Hiebe trennen sie den Kopf vom Rumpfe. Der Körper wird sorgfältig verborgen, der Kopf aber in ein Körbchen gelegt, welches besonders zu diesem Zwecke bestimmt und mit Menschenhaaren verziert ist.

Derlei Morde sind natürlich stets Veranlassungen zu Kriegen. Der Stamm, aus welchem ein Mitglied getödtet wurde, zieht zu Felde und ruht nicht eher, als bis er zum Ersatze einen, auch zwei Köpfe hat. Diese werden dann im Triumphe, unter Tanz und Gesang nach Hause gebracht und feierlich aufgehangen. Die darauf folgenden Festlichkeiten dauern einen ganzen Monat.

Die Dayaker lieben die Köpfe so sehr, daß wenn[S. 93] sie mit den Malaien vereint einen Piratenzug oder eine Fehde unternehmen, sie sich blos die Köpfe ausbedingen und alle übrige Beute den habgierigen Malaien überlassen.

Sie verschieben ihre Züge stets bis nach der Reisernte, die für sie zu wichtig ist, um unterbrochen zu werden, und nehmen Weiber und Kinder mit sich.

Ich bedauerte sehr, nicht acht Tage früher gekommen zu sein. Ich hätte der Feier eines Friedenschlusses beiwohnen können, der, Dank dem eifrigen Bestreben Rajah Brooke’s, zwischen zwei unabhängigen Dayaker-Stämmen geschlossen worden war. Herr Lee erzählte mir, daß die beiden feindlichen Häuptlinge (Rajah’s) von 20 oder 30 ihrer Leute begleitet, vor sein Haus kamen. Jeder brachte ein Schwein mit. Nach langen Reden zwischen den Häuptlingen und dem Volke, wurden die Schweine geköpft, aber nicht durch Dayaker, sondern durch Malaien. Fällt der Kopf auf einen Streich, so bedeutet es Glück. Die Schweine wurden nicht verzehrt, sondern in den Fluß geworfen. Sie schließen ihr Bündniß nicht auf Jahre (diese Rechnung ist ihnen unbekannt), sondern auf Reisernten.

Herr Lee hatte ebenfalls versucht, mir mein Vorhaben, in das Innere des Landes zu dringen, auszureden. Den Nachrichten zu Folge, die er erst kürzlich von jenen Gegenden erhalten hatte, war ein Häuptling[S. 94] getödtet worden und alles in Krieg verwickelt. Mein Entschluß, so weit vorzudringen als man mich ließe, stand jedoch fest, und ich schiffte mich am

22. Januar auf dem Luppar ein, mit der Absicht stromaufwärts bis an das Gebirge Sekamil zu gehen. Ich nahm, außer dem Malaischen Diener, den mir Kapitän Brooke mitgegeben hatte, und acht Malaischen Bootsleuten, noch den Koch Herrn Lee’s als Steuermann mit, der mir durch die Güte des Herrn Lee zur Verfügung gestellt und von großem Nutzen wurde, weil er einige Worte Englisch sprach.

Die Reise begann sogleich in dem Gebiete der freien Dayaker, und zwar der Stämme, die als sehr wild bekannt sind.

Zeitlich des Nachmittags landeten wir an einem ihrer Wohnplätze, um daselbst die Nacht zuzubringen. Mein Hauptbestreben war, stets mich ihnen vertrauungsvoll und herzlich zu nahen. Ich schüttelte Männern und Weibern die Hände, setzte mich unter sie, sah ihren Arbeiten zu, nahm die Kinder auf den Schooß u. s. w. Dann begab ich mich in den Wald, um nach Insekten zu suchen. Daß mir ein ganzer Zug der Eingebornen, besonders der Kinder folgte, versteht sich von selbst. Sie wollten sehen wohin ich ginge, wozu mir das Schmetterlingnetz und die Schachtel diente, die ich zur Aufbewahrung der Insekten stets mit mir[S. 95] trug. Sie betrachteten mein Thun und Lassen gerade so wie ich das Ihrige. Anfangs lachten sie mich wohl aus, wenn sie sahen mit welcher Emsigkeit ich nach jedem Schmetterlinge, nach jeder Fliege haschte[17]; doch kaum hatte ich ihnen begreiflich gemacht, daß ich Arzneien daraus bereite, als aus den Lachern gewöhnlich eben so viele Sucher wurden. Es war nothwendig, ihnen etwas derartiges, für ihr Fassungsvermögen passendes zu sagen. Ich habe ihnen vieles von meinen Sammlungen zu verdanken.

Mit der Abend-Dämmerung heimkehrend, fand ich ein Plätzchen, mit reinlichen Matten belegt, für mich bereit. Die Leute setzten sich zwar in meine Nähe, berührten aber nicht das Geringste; ihre Achtung vor meinem Eigenthume war so groß, daß wenn ich meinen Platz verließ, sie ebenfalls hinweg gingen. Ich konnte ruhig alles offen umher liegen lassen. Auch wenn ich aß, setzten sie sich weiter von mir weg, um mich nicht zu stören. Man gab mir gewöhnlich Reis und Hühner-Kuri[18]. Leider war letzteres stets mit ranzigem Kokosöl[S. 96] zubereitet; da ich jedoch vom frühen Morgen bis späten Abend nichts über die Lippen brachte, that der Hunger sein Bestes; kam es manchmal gar zu arg, so hielt ich die Nase zu und suchte mein Mahl so schnell als möglich zu verschlucken.

Lange des Abends blieben die Dayaker wach. Erst nach elf Uhr erlosch ein Feuer nach dem andere und dicke Finsterniß umgab mich. Dennoch war mir in einer solchen Nacht nicht bange zu Muthe, obwohl ich mich, von jeder Hilfe abgeschnitten, ganz allein unter so begeisterten Kopfliebhabern befand. Ich wußte, daß Rajah Brooke’s Namen bis hierher gedrungen sei und daß ich unter dem Schutze der Achtung die man ihm zollt, sicher ruhen konnte.

23. Januar. Während des Tages fiel nichts vor; wir fuhren an mehreren Dayakerplätzen ungestört vorüber. Nachmittags kehrten wir wieder bei einem Stamme ein. Hier sah es aber nicht sehr gemüthlich aus, denn die Leute waren erst vor zwei Tagen von einem Kampfe heimgekehrt und hatten einen Kopf mitgebracht, der nebst andern schon beinah ganz ausgetrockneten, über der Feuerstelle hing, an der mein Lager bereitet wurde. Es ist dies nämlich der Ehrenplatz, der dem Gaste geboten wird, — eine höchst widerliche Auszeichnung, die man doch nicht ausschlagen darf. Die dürren Schädel, die in dem starken Zugwinde[S. 97] gegen einander klapperten, der unbeschreibliche, erstickende Gestank, der von dem frischen Kopfe ausging, und den mir der Luftzug zeitweise in’s Gesicht trieb, der Anblick der Leute, die noch sehr aufgeregt schienen und beständig um mein Lager kreisten, als schon alle Feuer erloschen waren, brachte mich um Schlaf und Ruhe. Ich gestehe aufrichtig, meine Angst war so groß, daß ich in eine Art Fieber verfiel. Länger konnte ich nicht liegen bleiben und wagte doch nicht aufzustehen. Ich setzte mich aufrecht und meinte jeden Augenblick das Messer schon an meinem Nacken zu fühlen. Erst gegen Morgen sank ich ermüdet und erschöpft auf mein Lager zurück.

24. Januar. Das Reisen auf Borneo geht unendlich langsam von statten. Es ist unmöglich, die Bootsleute in den schönen frühen Morgenstunden zum Aufbruche zu bringen. Sie müssen erst ihren erbärmlichen Reis kochen, und dazu benöthigen sie so viel Zeit, wie bei uns ein Koch mit dem größten Mittagsmahle. Während der Fahrt halten sie ebenfalls jeden Augenblick mit dem Rudern inne, der Eine um sein Siri zu bereiten, der Andere um Strohcigarren zu wickeln oder zu rauchen, so daß im Durchschnitte kaum die Hälfte der Leute arbeitet. Noch nie ward meine Geduld so auf die Probe gesetzt, wie auf dieser Reise.

[S. 98]

Der Malaie, den mir Kapitän Brooke mitgegeben hatte, und von dem er versichert zu sein glaubte, daß er mir gute Dienste leisten würde[19], war der unausstehlichste von allen. Er sollte mich bedienen und zu gleicher Zeit die Leute zur Arbeit, zum frühen Aufbruche anhalten. Von alle dem that er nicht das Geringste; seinetwegen konnten die Leute um Mittag aufbrechen. Er blieb ruhig liegen, oder rauchte und plauderte, und statt mich zu bedienen, ließ er sich bedienen. Befahl ich ihm etwas, so gab er mir keine Antwort, oder kehrte mir den Rücken zu, so daß ich alle Dienste, deren ich benöthigte, von den Bootsleuten fordern mußte.

Die Fahrt wurde nun mit jedem Ruderschlage reizender. Die Ufer erhöhten sich, üppige Reispflanzungen verdrängten die Moräste, und weiter im Hintergrunde erschienen freundliche Hügelketten. Unter den Bäumen gab es wahre Prachtexemplare, manche mit Stämmen von 120 bis 140 Fuß Höhe, andere mit tief herabhängenden Aesten, die sich weit über die Wasserfläche streckten und kühle Laubdächer bildeten. Auf hohen, schlanken Bäumen mit sehr wenig Aesten findet man häufig große Bienenstöcke. Um sie des Honigs zu berauben, verfertigen die Eingebornen eine[S. 99] Art Leiter aus Bambus, die je zu zwei und zwei Fuß an dem Stamm befestiget ist, von welchem sie ungefähr sechs Zoll absteht, und die oft bis zu einer Höhe von 80 Fuß führt.

Auch heute, wie gestern, kehrte ich bei Dayakern ein. Kaum hatte ich mich auf mein Lager begeben, so hörte ich ein schnelles, taktmäßiges Klatschen. Ich erhob mich und ging neugierig der Stelle zu, von welcher diese Musik kam. Da lag ein Mann ausgestreckt und unbeweglich auf der Erde, auf dessen Körper ein halbes Dutzend Jünglinge mit flachen Händen abwechselnd losschlug. Ich hielt den Mann für todt und staunte über diese sonderbare Zeremonie, die mit seinem Körper vorgenommen wurde. Allein nach einer Weile sprang der vermeinte Todte unter dem schallenden Gelächter der Jünglinge auf und — das Spiel war zu Ende. So viel ich verstand, hält man dergleichen Uebungen für sehr nützlich für den Körper, da sie ihm Biegsamkeit und Kraft verleihen sollen.

25. Januar. Immer schönere Ansichten bieten sich dem Blicke dar. Die Berge vervielfältigen sich und werden höher und höher; manche der Spitzen, die ich heute sah, mochten über 3000 Fuß hoch sein. Mich erinnerte die Reise auf Borneo zum Theil an jene im Innern Brasiliens. Hier wie dort undurchdringlicher Urwald mit erdrückender Vegetation, hier wie dort wenig[S. 100] gelichtetes Land, wenig bewohnte Plätze. Der einzige Unterschied ist, daß Borneo von zahllosen Flüssen und Flüßchen durchschnitten wird, während Brasilien nur wenige, dagegen aber desto mächtigere Ströme besitzt. Was könnte aus beiden Ländern geschaffen werden[20], wären sie mit friedlichen, arbeitsamen Menschen bevölkert! Leider ist dies nicht der Fall; Eingeborne sind nur wenige, und diese denken mehr an Krieg und Zerstörung, als an Kultur und Arbeit, und die weißen Ansiedler schließt theilweise das Klima aus.

Eine Sonderbarkeit Borneo’s ist die dunkelbraune Farbe seiner Gewässer. Einige Reisende behaupten, sie rühre von den vielen Blättern her, die, da die Ufer dicht mit Waldungen besetzt sind, in die Flüsse fallen und verfaulen. Dieser Meinung möchte ich beinahe widersprechen, denn auf der Insel Ceram, welche ich später bereiste, und die an Wäldern, an Flüssen eben so reich ist wie Borneo, fand ich das Wasser überall krystallhell.

Alexander von Humboldt bemerkte diese dunkle Farbe auch an Flüssen in Amerika, und er fügt bei, daß in derlei Gewässern weder Krokodile noch[S. 101] Fische leben. Auf Borneo ist dies nicht der Fall. Hier fehlt es nirgends an Kaimans (zum Geschlechte der Krokodile gehörig) und Fischen.

Abends saß ich wieder unter einem Schwarme Dayaker und unterhielt mich mit ihnen mittelst eines Malaischen Dolmetschers und des Koches so gut es ging. Ich frug sie, ob sie an einen großen Geist glaubten, und ob sie Götzen und Priester hätten. So viel ich aber verstehen konnte, glauben sie an nichts und haben weder Götzen noch Priester. Ersteres mag vielleicht nicht der Fall sein, ich kann sie schlecht verstanden haben; was aber letztere anbelangt, so habe ich deren wirklich nie bei ihnen gesehen. Dagegen fehlt es nicht an Rajah’s; jedem Häuptlinge, wenn sein Stamm auch nur aus einigen Dutzend Familien besteht, wird dieser hochtrabende Titel beigelegt. Dies erinnerte mich an Ungarn und Polen, wo sich alles, was nicht leibeigen war, „Edelmann“ nannte.

Wir waren in der besten Unterhaltung, als ein Junge eine wilde Taube brachte, die er im Walde gefangen hatte. Ein Mann nahm sie ihm ab, drehte dem armen Tierchen den Hals um, zog ihm einige der längsten Flügelfedern aus und warf es in’s Feuer. Kaum waren die übrigen Federn halb verbrannt, als er sie vom Feuer nahm, den Kopf und die äußersten Flügelenden abriß, und einem neben ihm stehenden,[S. 102] begierig darauf harrenden Kinde gab. Er legte die Taube hierauf zum zweiten Male in das Feuer, aber nur auf einige Augenblicke, nahm sie wieder weg und zerriß sie in sechs Stücke, die er an eben so viele Kinder vertheilte. Er selbst kostete nicht einmal davon. Ich hatte schon bei vielen Gelegenheiten bemerkt, daß die Dayaker sehr zärtliche Eltern sind.

Denselben Abend brach ein fürchterliches Ungewitter los, von echt tropischen Regengüssen (bei uns Wolkenbruch genannt) und heulendem Sturme begleitet. Ein Windstoß löschte alle Feuer aus. Wir sprangen auf und flüchteten in das Innere des Hauses, jeden Augenblick gewärtig, daß ein zweiter das Blätterdach über unsern Häuptern davon tragen würde. Aber wie alles zu Heftige selten lange anhält, so war es auch mit diesem Sturme: in einer halben Stunde war er vorüber. Die Leute hatten angefangen, aus Leibeskräften zu singen und den Gong zu schlagen, wie ich glaubte, um den Sturm zu übertäuben und zu vertreiben, und sie fuhren damit bis zum frühen Morgen fort. Ihre Gesänge glichen einem tollen Geheule. Ich unterschied zwei Melodien, die beide von einem Vorsänger vorgeschrieen wurden, und an deren Ende die übrigen jedesmal einfielen. Vier Jünglinge führten auch einen Tanz auf. Sie tappten mit langsamen, gleichmäßigen Schritten um die Feuerstelle, über welcher[S. 103] die Todtenschädel hingen. Jeder der Jünglinge hatte einen tüchtigen Knittel in der Hand, mit dem er bei jedem Schritte heftig auf den Boden stieß. Zeitweise spuckten sie nach den Schädeln. Wie ich später erfuhr, galt diese Musik und dieser Gesang nicht dem Sturme; es war ein Fest, welches einem Kriegszug voranging.

Bei allen Stämmen, die ich auf dieser Reise gesehen hatte, wohnte der Häuptling in keiner abgesonderten Hütte, sondern gemeinschaftlich mit den Familien. Die Jünglinge schliefen und wohnten in den Veranden (Vorplätzen).

26. Januar. Meine Reise unter den wilden Dayakern ging so ohne alle Gefahr und Schwierigkeiten vor sich, obwohl ich manchmal Ursache hatte, das Schlimmste zu fürchten, daß ich schon anfing, mich einer gänzlichen Sorglosigkeit hinzugeben. Heute sollte ich eines andern belehrt werden.

Ich saß ruhig in meinem Prauh, als uns ein kleines Kanoe entgegen kam, in welchem vier Dayaker saßen, die mit größtmöglichster Eile stromabwärts ruderten. Sie hielten bei uns nicht an, sondern schrieen uns blos im Vorüberfahren zu, so schnell als möglich umzukehren, da der nächste Stamm, mehr aufwärts am Flusse, gerade zum Kriege ausziehe. Sie selbst seien nur entkommen, weil man sie nicht gesehen habe.

[S. 104]

Diese Nachricht machte mich höchst bestürzt. So nahe dem Gebirge — diesen Abend sollten wir an dessen Fuß gelangen — und nun umkehren! Ich hielt Rath mit dem Koche, dem einzigen Mann, mit dem ich einige Worte sprechen konnte, und suchte ihn für die Weiterfahrt zu stimmen. Glücklicher Weise war er ein beherzter Mensch; er meinte, daß, obwohl die Dayaker auf ihren Kriegszügen gewöhnlich alles niedermachen, was ihnen in die Hände fällt, sie doch vielleicht Rajah Brooke’s Flagge achten würden. Ich gab ihm Recht, ließ sogleich die Flagge aufziehen, und die Reise wurde, gegen den Willen der anderen Bootsleute, fortgesetzt.

Wir fuhren nicht lange, so vernahmen wir schon den Kriegsgesang mit Begleitung des Gongs und der Trommel. Noch bargen uns die hochbewaldeten Ufer; aber wenig Ruderschläge weiter, bei einer Krümmung des Flusses, zeigte sich uns ein Bild, das wohl den beherztesten Mann mit Furcht erfüllt hätte. Auf einer kleinen Erhöhung am Ufer standen die Wilden, gewiß Hundert an der Zahl, mit hohen, schmalen Schilden, und mit Parangs in den Händen. Bei unserem Anblicke stieg ihr Geschrei auf’s Höchste, und ihre Geberden wurden fürchterlich.

Das Herz erbebte mir im Leibe; doch zur Rückkehr war es zu spät. Entschlossenheit allein konnte[S. 105] uns retten. Dem Hügel gegenüber, mitten im Flusse, lag eine Sandbank. Auf diese sprang mein wackerer Koch und begann eine Unterhandlung mit dem Rajah, von welcher ich leider kein Wort verstand, da sie in Dayakischer Sprache vor sich ging. Um so größer war meine Bestürzung, als plötzlich die Wilden die kleine Anhöhe herabsprangen, sich theils in Kanoe’s, theils ins Wasser stürzten, rudernd und schwimmend auf mein Prauh zu kamen und es von allen Seiten umringten und erstiegen. Nun, dachte ich, sei der letzte Augenblick meines Lebens gekommen. Doch bald vernahm ich die Stimme des Koches, der sich durch die Leute drängte und mir zuschrie, daß man uns willkommen hieße. Zu gleicher Zeit wurde auf der Anhöhe ein weißes Fähnlein als Friedenszeichen aufgesteckt.

Wer je dem Tode wirklich nahe war, der allein kann sich eine Vorstellung machen von der Angst, die ich ausgestanden, so wie von der Freude, die mich nun erfüllte, als ich mich gerettet sah! Alle diese heftigen Gemüthsbewegungen mußte ich unterdrücken und stets die größte Kaltblütigkeit zeigen, da dies noch das einzige Mittel ist, den Wilden Achtung einzuflößen. Der Koch hatte Recht, Rajah Brooke’s Flagge war der Talisman, der uns schützte. Nicht nur daß uns die Leute nichts zu Leid thaten; im Gegentheile benahmen sie sich sehr[S. 106] freundlich, und luden mich ein, mit ihnen an’s Land zu gehen, was ich auch that, um ihnen zu zeigen, daß ich ihre Einladung ehrte und schätzte. Diese Achtung und Verehrung, welche die Dayaker für Rajah Brooke bewiesen, rührte mich sehr. Man sieht daraus, wie dankbar die wilden Völker sind, wenn man es wirklich gut und aufrichtig mit ihnen meint. Hätte ich doch in diesem Augenblicke die Feinde dieses edlen Mannes um mich gehabt! Wie tief würde sie nicht diese Scene beschämt haben![21]

Als ich an das Land stieg, fand ich die Weiber und Kinder hinter der Anhöhe unter Zelten gelagert. Sie empfingen mich so freundlich wie ihre Männer; ich mußte mich sogleich zu ihnen setzen. Auf dem Boden lagen viele Eßwaaren ausgebreitet, besonders eine Menge kleiner flacher Kuchen von allerlei Farben, weiß, gelb, braun und schwarz. Sie sahen so schmackhaft[S. 107] aus, daß ich mit wahrer Lust darein biß. Aber wie bereute ich meine Naschhaftigkeit! Die weißen Kuchen bestanden aus Reis-, die gelben aus Mais-Mehl. Das Mehl war grob gestoßen, und mit weiter nichts als mit einer reichlichen Portion ranzigen Fettes angemacht, das aus der Frucht Kawan gewonnen wird. Die braunen und schwarzen Kuchen erhielten ihre Farbe von der mehr oder minderen Beimischung eines schwarzen Syrups, der aus Zuckerrohr oder von dem Safte verschiedener Palmen bereitet wird. Um die guten Leute, die mir mit Gewalt von allem geben wollten, nicht zu beleidigen, schluckte ich mit Ekel einige Bissen hinab.

Unter den Männern, welche mich umgaben, hatten viele das Körbchen an der Seite hängen, welches zum Empfange des eroberten Kopfes bestimmt ist. Es war höchst zierlich geflochten, mit Muscheln geschmückt und mit Menschenhaaren behangen. Die letztere Zierde darf jedoch nur der Dayaker tragen, der bereits einen Kopf erbeutet hat.

Nach eingenommenem Mahle drangen sie in mich, ihren Wohnplatz zu besuchen, der tiefer im Walde lag. Ich brach sogleich mit ihnen auf und zwar ohne einen einzigen meiner Leute mitzunehmen, wohl wissend, daß man bei wilden Völkern um so geachteter und sicherer ist, je mehr Zutrauen man ihnen zeigt.

[S. 108]

Ihre Hütten fand ich wie die der übrigen Stämme. Sie baten mich, den Rest des Tages und die Nacht bei ihnen zuzubringen; allein ich zog es vor, noch diesen Tag bis an den Fuß des Gebirges zu fahren, und nach kurzer Rast nahm ich herzlichen Abschied von meinen neuen Freunden. Männer und Weiber begleiteten mich bis an mein Prauh, drückten mir die Hände und luden mich ein, wieder zu kommen. Sie gaben mir Früchte, Kuchen, Eier, nebst einem Bambusrohre voll gekochten Reises mit auf den Weg.

Des Abends erreichte ich Beng-Kalang-Sing-Toegang, einen Ort mit einigen Dutzend Hütten, am Fuße des Gebirges Sekamil gelegen, Sitz eines Malaischen Rajah’s, dem ich durch einen Brief von Kapitän Brooke angelegentlichst empfohlen war.

Hier verabschiedete ich mein Prauh; die Wasserfahrt, deren Länge von Sacaran bis an das Gebirge ungefähr 150 Meilen betragen mochte, hatte vorläufig ein Ende; es handelte sich nun darum, das Gebirge selbst zu übersteigen. Glücklicherweise erbot sich der Rajah, mich persönlich zu begleiten, und somit stand dieser gefährlichen Reise nichts mehr im Wege. Der nächste Tag verging mit den Vorbereitungen. Der Rajah suchte die Mannschaft aus, die er mitnehmen wollte, ließ die Waffen in Stand setzen, die Lebensmittel[S. 109] bereiten u. s. w. Ich benützte diese Zeit, das Leben und Treiben der Leute zu beobachten.

Zu der Gattin des Fürsten hatte ich unbedingten Zutritt, nicht nur weil ich eine Frau war, sondern auch weil, wie ich schon früher erwähnt habe, bei den Malaien die Frauen bei weitem nicht so strenge abgeschlossen sind, wie bei den Türken. Die Frau war noch sehr jung, gehörte aber nicht zu den schönsten ihres Geschlechtes; im Gegentheile war ihrem Gesichte ein Stempel ganz besonderer Trägheit und Theilnahmslosigkeit aufgedrückt. Nicht einmal ihr Kind, das um sie spielte, konnte ihr ein Lächeln oder eine freundliche Miene abgewinnen. Das fürstliche Ehepaar zeichnete sich in der Kleidung von seinen Unterthanen und Sklaven nicht im Geringsten aus; das Kind ging, gleich den andern Kindern, ganz nackt. Besser beschaffen war die Einrichtung des Schlafgemaches, das durch hohe Bambus-Wände von der Küche und den übrigen Räumen abgesondert, zugleich als Empfangssaal diente. Hier gab es schön gestickte Kissen, eingelegte Holzkästchen, reinliche Klambu’s und drei jener räthselhaften, kostbaren Vasen.

Die Malaien halten Sklaven. Sie verdammen hiezu die Kriegsgefangenen sowie auch die Schuldner, die nicht bezahlen können. Letztere müssen so lange als Sklaven dienen, bis sie von ihren Verwandten[S. 110] oder Freunden ausgelöst werden, was natürlich selten geschieht, da das Volk durchschnittlich sehr arm ist. Die Sklaven werden aber sehr gut behandelt; sie gehören zur Familie und ich würde nie ein Sklaven-Verhältniß bemerkt haben, hätte man es mir nicht gesagt.

28. Januar. Nun ging es an die Fußreise. Ich hatte dazu eine sehr zweckmäßige, einfache Kleidung. Ich trug ein kurzes Beinkleid, das mir bis über die Knie reichte, einen Rock und eine Cabaya. Der Rock ging mir zwar bis an die Knöchel, ich schürzte ihn aber während des Marsches auf und ließ ihn erst hinab, wenn die Tagereise vollendet war. Auf dem Kopfe hatte ich einen herrlichen Bambus-Hut von der Insel Bali, undurchdringlich für Regen und Sonnenschein. Um gegen den Sonnenstich gänzlich gesichert zu sein, legte ich noch unmittelbar auf den Kopf ein Stück von einem Banana-Blatte. Was die Fußbekleidung anbelangte, so mußte ich den Strümpfen und theilweise auch den Schuhen entsagen, da der Weg häufig durch Sümpfe und Wasser führte. Wer ähnliche Reisen unternimmt, muß abgehärtet sein wie der Eingeborne. Ich war es, weil ich es sein wollte. Ich schlief gar viele Nächte auf der bloßen Erde in Wäldern und hatte gar manche Tage zu meiner Nahrung nichts als in Wasser gekochten Reis.

Unser Zug bestand, außer dem Rajah, mir und[S. 111] meinem Diener, noch aus zwölf Mann Gefolge, theils Dayaker, theils Malaien, von welchen die Hälfte mit Gewehren bewaffnet war.

Ich machte mich nicht nur auf schlechte Wege, sondern auch auf das Ersteigen eines hohen Gebirgspasses gefaßt. Letzteres war jedoch nicht der Fall. Wir wanden uns stets durch schmale Thäler, in wenig aufsteigender Richtung; ich glaube kaum, daß wir uns mehr als 500 Fuß erhoben. Die Wege dagegen waren gräßlich — eine ununterbrochene Kette von Bächen, Sümpfen und stehenden Gewässern, in die wir oft tief über die Knie einsanken. Von den Höhen hatten wir überraschende Ansichten. Dreifache Gebirgsketten thürmten sich hintereinander auf; große Thäler lagen dazwischen, von schönen Flüssen durchschnitten, aber alles in dem tiefen Schlummer dichter, undurchdringlicher Waldungen begraben. Selten kamen wir an kleine Lichtungen, von Dayakern bewohnt, und mit Reis, Mais, Zuckerrohr und Ubi (eine Gattung süßer Kartoffel) bepflanzt. Wenn wir uns einer solchen Stelle näherten, wurde Halt gemacht und ein Theil der Mannschaft vorausgesandt, um den Platz zu untersuchen und um die Erlaubniß des Durchzuges anzufragen. Zweimal führte uns der Weg mitten durch die Dayakerhäuser; wir mußten die Leiter auf der einen Seite hinauf- auf der andern hinabklettern. Die Dayaker[S. 112] lichten oft vorsätzlich nicht die Waldungen um ihre Wohnplätze, um dem Feinde den Zugang zu erschweren; sie lassen nur schmale, enge Pfade offen, die leicht verrammelt werden. Man könnte ein solches Haus mit einem Blockhause vergleichen.

Nach einem scharfen Marsche von acht Stunden hielten wir in einem dieser Blockhäuser an, wo man uns ohne Schwierigkeit erlaubte, die Nacht zuzubringen.

29. Januar. Höhen hatten wir nicht mehr zu übersteigen; dagegen aber waren die Wege, die durch dichte Wälder führten, voll Wurzeln und gefallener riesiger Baumstämme, so daß es immerwährend zu klettern gab. Rechnet man dazu die Pfützen, Moräste und Gewässer, durch die es durchging, oder die auf dünnen Bambusstämmchen überschritten werden mußten, so kann man sich einen Begriff von dieser Reise machen. Bei schönem Wetter anstrengend genug, ist sie bei schlechtem, wie wir es trafen, eine der beschwerlichsten.

So oft ein verdächtiges Geräusch im Walde vernommen wurde, hielten wir an; wir mußten auf dem Platze wie eingewurzelt stehen bleiben und die größte Stille beobachten, während die Mannschaft vorausschlich, gleich Schlangen über die Baumstämme und Wurzeln sich windend.

Nach einem abermaligen Marsche von acht Stunden erreichten wir Beng-Kallang-Boenot, das[S. 113] Ende der Fußreise. Ich glaube kaum, daß wir in diesen 16 Stunden mehr als 35 Meilen gemacht haben.

Zu Beng-Kallang-Boenot residirte ebenfalls ein kleiner Malaischer Fürst, bei welchem wir die Nacht zubrachten.

Daß ich allen diesen Leuten, Dayakern wie Malaien, eine vollkommen fremde Erscheinung war, versteht sich von selbst. Die wenigsten hatten je einen weißen Mann, alle gewiß aber nie eine weiße Frau gesehen. Ihre Verwunderung war um so größer, da nach ihren Begriffen eine Frau allein sich kaum einige Schritte vom Hause entfernen kann.

30. Januar. Zu Beng-Kallang-Boenot schiffte ich mich auf dem Flusse Batang Lupar in einem ganz kleinen Boote mit blos einem Fährmanne ein. Der Fluß schlängelte sich durch Waldungen, war schmal und von vorstehenden Bäumen oft so eingeengt, daß wir kaum durchkommen konnten. Die Sonne drang nirgends durch das dichte Blätterdach; die größte Stille, von Zeit zu Zeit durch das Aufspringen eines Affen oder das Auffliegen eines Vogels allein unterbrochen, umgab uns. Stiller und finsterer konnte es auf dem Acheron selbst nicht sein. Die Farbe dieses Flusses war beinahe tintenschwarz.

Nach einigen Stunden überholten wir ein kleines Kanoe, das mit zwei Männern, einem Weibe, einem[S. 114] Kinde und vielen Hühnern und anderem Kram beladen war. Wir hielten an, und nach einer kurzen Unterredung sah ich zu meinem Erstaunen, daß die ganze Besatzung auf mein Boot übersiedelte. Das ihrige verbargen sie in dichtem Gebüsche. Ich stritt vergebens dagegen. Meinem Schlingel von Diener schien die Sache anzustehen, und deshalb hörte er nicht auf meine Worte. Mein Platz war durch diesen Zuwachs natürlich sehr beschränkt; was mich aber noch mehr belästigte, war das Feuer, das die Leute machten, um ihren elenden Reis zu kochen, und dessen Hitze und Rauch mir in’s Gesicht schlugen.

Der finstere Batang Lupar verlor sich nach ungefähr 30 Meilen in den See Boenot, der an vier Meilen im Durchmesser haben mochte. Dieser See bot mir eine Merkwürdigkeit dar, wie ich noch keine ähnliche gesehen hatte. Er war nämlich dicht mit Baumstämmen angefüllt, die jedoch nicht entwurzelt umherlagen, sondern fest im Grunde standen; nur waren sie gänzlich erstorben und hatten weder Aeste noch Kronen; sie glichen von Menschenhand eingesetzten Palissaden. Eine breite Wasserstraße, ein natürlicher Kanal von höchstens einer halben Meile Länge führte in einen zweiten See, Taoman genannt, der noch einmal so groß war als der Boenot-See und im Gegensatze[S. 115] zu diesem einen vollkommen reinen, schönen Wasserspiegel hatte.

Die Umgebung beider Seen war herrlich: weite bewaldete Thäler, östlich und westlich von malerischen Gebirgszügen mit hohen Spitzen und Kuppen begrenzt. Die höchsten der Spitzen mochten wohl an 5000 Fuß messen.

Von dem See Toaman lenkten wir in den schönen Fluß Kapuas, nach dem Benjermassing der bedeutendste Borneo’s. Seine Breite mag gut eine halbe Meile betragen; doch ist sie sehr ungleich, da es ihm, wie den meisten Flüssen dieses Landes, an scharf abgrenzenden Ufern fehlt; seine Gewässer überfließen oft weithin die Waldungen. An diesem schönen Flusse gab es der bewohnten Stellen viel weniger als an dem Lupar (jenseits des Gebirges Sekamil); hätte nicht Hundegebell und Hühnergeschrei von Zeit zu Zeit Leben verkündet, so würde ich die ganze Gegend für unbewohnt gehalten haben.

Diese und die folgende Nacht brachte ich höchst unbequem auf dem Boote zu. Die zugewachsene Gesellschaft ließ mir so wenig Raum, daß ich halb gekrümmt liegen mußte. Ich wäre gerne bei Dayakern eingekehrt; jedoch der Fährmann wollte nicht, indem er vorgab, daß es zu gefährlich sei.

31. Januar. Heute begegneten wir größeren[S. 116] und kleineren Prauh’s mit Dayakern und Malaien. Nachmittags überholte uns ein sehr großes. Man schrie uns höchst gebieterisch zu, heranzusteuern. Wir mußten wohl gehorchen, denn Ungehorsam war mit unserer Schwäche nicht vereinbar. Statt gefürchteter Piraten empfing mich aber ein sehr höflicher Malaischer Rajah, der auf einer Reise begriffen war. Nach einigen Fragen, „woher ich komme“, „wohin ich gehe“ u. s. w., beschenkte er mich mit einer großen Schale frischen Kokosöles und einigen süßen Kuchen.

1. Februar. Gegen Mittag erreichten wir Sintang, ein Städtchen von wenigstens 1500 Einwohnern und Sitz eines Sultans. Hier hatten die Gefahren ein Ende, denn die Dayaker-Stämme, die ich bis Pontianak noch zu passiren hatte, standen unter Malaischen Fürsten, an welche ich von dem Sultan von Sintang empfohlen zu werden hoffte. Ich hatte zu diesem Zwecke für letzteren einen Brief von dem Rajah von Beng-Kallang-Boenot mitgebracht.

Ich muß gestehen, daß ich gerne noch länger unter den freien Dayakern gereist wäre. Ich fand sie überaus ehrlich, gutmüthig und bescheiden, ja ich setze sie in diesen Punkten über alle Völker, die ich bisher kennen gelernt habe. Ich konnte alles offen liegen lassen und mich stundenlang entfernen; nie fehlte das geringste. Sie baten mich wohl zuweilen um manches[S. 117] das sie sahen, gaben sich aber gleich zufrieden, wenn ich ihnen erklärte, daß ich es selbst benöthigte. Nie waren sie zudringlich oder belästigend. Man wird mir vielleicht entgegnen, daß das Köpfen und Aufbewahren der Todtenschädel gerade nicht von Gutmüthigkeit zeuge; man muß aber berücksichtigen, daß dieser traurige Gebrauch mehr eine Folge rohen und unwissenden Aberglaubens ist. Ich bleibe bei meiner Behauptung stehen und führe als weitere Beweise ihre häusliche, wahrhaft patriarchalische Lebensweise, ihre Sittlichkeit, die Liebe, die sie für ihre Kinder haben, die Achtung, die diese den Eltern bezeigen, an.

Die freien Dayaker sind ungleich wohlhabender als jene, die unter Malaischem Joche stehen. Sie bauen Reis und Mais, etwas Tabak, hie und da auch Zuckerrohr und Ubi. Sie gewinnen viel Fett aus der Frucht Kawan, sammeln in den Wäldern Damar-Harz, das sie als Leuchte brennen, und haben viel Sago, Rotang und Kokosnüsse. Mit einigen dieser Artikel treiben sie Tauschhandel gegen Messing, Glasperlen, Salz, rothes Tuch u. s. w., in ihren Augen die werthvollsten Gegenstände, die sie dem Golde weit vorziehen. Auch an Geflügel und Schweinen sind sie reich, genießen dergleichen aber nur bei Festen und Hochzeiten.

Manche Reisende behaupten, daß die freien Dayaker schöne Leute sind. Ich kann höchstens sagen,[S. 118] daß ich sie etwas minder häßlich fand als die Malaien. Sie sind durchschnittlich von mittlerer Größe, haben sehr magere Beine und Arme und wenig oder keinen Bart; sie raufen die Barthaare aus. Sie haben an Schönheit vor den Malaien nichts anders voraus, als daß die Backenknochen etwas minder breit und vorstehend sind und daß das Nasenbein ein wenig mehr erhaben ist. Es ist möglich, daß wenn man jahrelang unter solchen Völkern lebt, man das am Ende schön findet, was dem neuen Ankömmlinge häßlich erscheint.

Die Dayaker können Weiber nehmen, so viel sie wollen; sie begnügen sich aber beinahe durchgehends mit einer Frau. Sie behandeln ihre Weiber gut und überhäufen sie nicht mit Arbeit; den schwereren Theil verrichten die Männer. Ehescheidungen, Zänkereien sind höchst selten, und ihre Sitten ungleich reiner und besser als jene der Malaien. Jünglinge und Mädchen werden ziemlich strenge abgesondert gehalten. Die Mädchen schlafen in den Kammern, die Jünglinge auf der Veranda oder in der Hütte des Häuptlings. Sie vermischen sich mit keinen andern Völkern; die Mädchen, die sich mit Chinesen verheirathen, werden als nicht mehr zum Stamme gehörig betrachtet.

Die Dayaker haben keine Schrift und, wie es scheint, auch keine Religion. Ueber letzten Punkt sind jedoch die Meinungen verschieden. Der Reisende Temmingk[S. 119] sagt, daß sie eine Religion hätten, die dem Fetischismus gleiche: Der Gott Djath regiere die Oberwelt, der Gott Sangjang die Unterwelt. Diese Götter stellen sie sich unter menschlicher Gestalt, aber unsichtbar vor, und rufen sie an, indem sie Reis auf die Erde streuen oder andere Opfer bringen. In ihren Wohnungen fände man aus Holz geschnittene Gottheiten.

Andere Reisende schreiben ihnen eine Art Pantheismus zu. Da gäbe es Gottheiten unter und ober der Erde und eine Menge guter und böser Geister, unter welchen Budjang-Brani der böseste. Alle Krankheiten seien von bösen Geistern verursacht, die sie durch Geschrei und Schlagen des Gongs zu vertreiben suchen.

Wieder andere behaupten, daß sie weiter nichts besäßen, als einige verwirrte Begriffe von einem Gotte und von der Unsterblichkeit.

Ich kann diese verschiedenen Meinungen weder bestätigen noch verneinen; gewiß ist aber, daß ich bei den Stämmen, mit welchen ich in Berührung kam, weder Tempel noch Götzenbilder noch Priester oder Opfer wahrnahm. Bei Hochzeiten, Geburten und Sterbefällen werden zwar von manchen Stämmen viele Zeremonien beobachtet, die aber in keiner Verbindung mit Religion zu stehen scheinen. Bei solchen Gelegenheiten köpft und verspeist man meistens Hühner, auch[S. 120] Schweine; bei Friedensschlüssen tödtet man wie bereits bemerkt, Schweine, die man aber nicht verzehrt. Die Verstorbenen werden bei einigen Stämmen verbrannt und die Asche in hohlen Bäumen bewahrt; andere begraben ihre Todten auf beinah unzugänglichen Plätzen, am liebsten auf Bergspitzen; wieder andere binden sie an Baumstämme, mit den Füßen nach oben.

Doch zurück zu meiner Reise.

Die Lage des Städtchen Sintang ist reizend; die Hütten liegen theils an dem schönen Flusse Kapuas, theils halb verborgen zwischen Kokospalmen und Pisangbäumen. Im Hintergrunde viel bebautes Land und in weiter Ferne hohe Berge, von welchen der höchste wohl an 8 bis 9000 Fuß haben mochte.

Ich konnte nicht gleich an das Land gehen; die Sitte erheischt, so lange in dem Boote zu verweilen, bis man von dem Sultan eine Wohnung angewiesen erhält. Ich sandte daher meinen Diener, der sich in vollen Staat warf, mit dem von dem Rajah von Beng-Kallang-Boenot erhaltenen Empfehlungsbriefe ab. Er kam jedoch mit dem Briefe zurück, begleitet von einem Minister des Sultans, der mir die Nachricht brachte, daß der Sultan abwesend sei und erst des Abends oder des folgenden Morgens zurückerwartet werde.

Der Minister führte mich in eine der Hütten,[S. 121] in welcher mir ein Theil des Gemaches eingeräumt wurde; er hatte zu gleicher Zeit schöne Teppiche, Matten, Polster und einen Klambu mitgebracht.

Spät Abends kam er wieder, um mir zu sagen, daß der Sultan zurückgekehrt sei und mich am folgenden Morgen im Divan erwarte. Ich hatte glücklicherweise schon so viel von der Malaischen Sprache inne, um die Leute verstehen zu können.

Am folgenden Morgen holte man mich in einem schönen, großen Boote mit 20 Ruderern ab. Mein Diener wickelte den Brief in zwei seidene Tücher und folgte mir. Vor der hölzernen Residenz des Sultans, die nahe am Flusse lag, empfing mich Musik und Kanonendonner[22]. Der Weg vom Ufer bis an den Divan (ungefähr einige hundert Schritte) war mit Matten belegt. Auf halben Wege kam mir der Sultan entgegen, um mich gebührender Maßen zu empfangen. Man sah dem guten Manne die Verlegenheit an; er wußte nicht, wie er sich einer Europäerin gegenüber benehmen sollte. Mit wahrhaft komischer Grazie reichte er mir die Fingerspitzen (nach Mohamedanischen Begriffen schon eine sehr große Kühnheit), auf welche ich die meinigen legte, und so schwebten oder tanzten[S. 122] wir nach dem Divan, der von der Vorhalle bloß durch ein zwei Fuß hohes, hölzernes Geländer geschieden war. Hier standen, von buntem Kammertuche halb überdeckt, ein plumper Tisch, ein Stuhl, und in Ermanglung eines zweiten Stuhles eine Kiste. Der Sultan und ich nahmen an dem Tische Platz, während die Minister und Großen des Reiches längs den Wänden auf dem Boden saßen. Außerhalb drängte sich das Volk, dem das Erscheinen einer Europäischen Frau natürlich ein ganz neues, merkwürdiges Schauspiel bot.

Mein Empfehlungsbrief ward auf einer silbernen Tasse gebracht; der Ueberbringer rutschte auf den Knien, mit niedergeschlagenen Augen zu dem Sultan, langte nach dessen Hand, küßte sie mit großer Andacht und hielt die Tasse hin. Der Sultan befahl dem ersten Minister, den Brief zu nehmen, zu öffnen und zu lesen.

Ein Brief an einen Sultan oder sonst eine vornehme Person muß nach Mohamedanischer Sitte aus einem ganzen Bogen bestehen, von welchem nur die erste Seite beschrieben sein darf; reicht diese nicht aus, so muß ein zweiter, dritter Bogen genommen werden.

Sobald die Vorlesung des Briefes beendet war, wurden Erfrischungen gereicht. Man hatte zu diesem Zwecke für den Sultan einen Teller, für mich aber ein vollständiges Gedeck gebracht. Die Erfrischungen[S. 123] bestanden aus Thee ohne Zucker und Milch, aus Näschereien und Früchten auf mehr als 20 schön geschliffenen Glasschüsselchen. Die gesammte Gesellschaft nahm Theil an diesem Mahle.

Nach aufgehobener Tafel führte mich der Sultan in’s Frauengemach. Auch hier war man so aufmerksam gewesen, einen erhöhten Sitz für mich zu bereiten. Der Sultan stellte mir seine Frau und seine Töchter vor, — häßliche Geschöpfe von echt Malaischem Typus. Obwohl viele Männer und junge Leute zugegen waren, trugen sie weiter nichts als einfache Sarongs, die bis zur halben Brust reichten.

Der Sultan von Sintang, wie es scheint in seinem Lande ein vollkommener Despot, hat seinen Unterthanen verboten, mehr als eine Frau zu nehmen. Dieses Recht gebührt, seiner Meinung nach, nur den Fürsten. Ob er selbst mehrere hat, weiß ich nicht; mir stellte er nur eine vor.

Bei dem Abschiede fanden dieselben Feierlichkeiten statt, wie bei der Ankunft.

Ich erstaunte sehr über diesen festlichen Empfang, um so mehr, da er einerseits zum Theile nach Europäischer Art vor sich ging, und ich anderseits wußte, daß der Sultan von Sintang noch keinen Europäer gesehen hatte. Mein Diener löste mir das Räthsel. Als er nämlich Tages zuvor den Brief zum Sultan[S. 124] brachte, war dieser nicht abwesend, wie man mir sagte; er wußte nur nicht, auf welche Weise eine Europäische Frau zu empfangen sei, und wollte sich erst darüber mit meinem Diener berathen. Mein Diener beschrieb ihm die Feierlichkeiten die zu Sarawak stattfinden, wenn Rajah Brooke von einer Reise zurückkommt, und dieser Beschreibung hatte ich es zu verdanken, daß ich gleich einer regierenden Fürstin empfangen wurde. Der Stuhl, der Tisch, wurden in Eile zusammen gezimmert, und das Besteck war mein eigenes, das mein Diener mitgebracht hatte.

Der Sultan versprach mir beim Abschiede, ein Sampan[23] zu meiner Verfügung zu stellen, das mich bis Pontianak führen sollte. Ich bat ihn, selbes morgen mit aufgehender Sonne zu senden.

3. Februar. Gleich nach Sonnenaufgang meldete man mir den Besuch des Sultans. Nach seinen Begriffen war es nämlich nicht schicklich, meine Aufwartung denselben Tag zu erwiedern; da ich aber heute so zeitlich abreisen wollte, war er gezwungen, diese frühe Stunde zu wählen.

Er kam in Begleitung seines Vaters, den ich noch nicht gesehen hatte, und einiger seiner männlichen Verwandten; die fürstlichen Frauen erwiedern keine Besuche.

[S. 125]

Der Vater des Sultans trug ein goldbrokatenes Käppchen und Leibchen, die ersten kostbaren Kleidungsstücke, die ich an einem Fürsten Borneo’s sah. Außer den gewöhnlichen Schönheiten seiner Race war dieser Mann noch mit einem tüchtigen Kropfe bedacht, der zweite der mir auf dieser Insel vorkam. Den ersten, in kleinem Formate, hatte die Gemahlin des Rajah von Beng-Kallang-Boenot.

Diese vornehme Gesellschaft war in ihrem Benehmen nicht halb so bescheiden als die Dayakischen Kopf-Jäger. Alles wurde aufgerissen und durchwühlt; über meine kleine Reisetasche, die unglücklicher Weise noch offen stand, fielen sie gleich wilden Thieren her. Ich hatte nicht genug Augen, um alles zu bewachen und vor Schaden zu schützen (besonders die Insekten und Reptilien). Der fürstliche Vater nahm am Ende gleich die ganze Tasche in Beschlag; auf Kamm, Zahnbürste und Seife deutend, frug er mich, zu was das diene, und in Folge meiner Erklärung schien ihm deren Nutzen so einleuchtend, daß er sie ganz unumwunden behalten wollte. Ich nahm sie ihm jedoch, ehe er fort ging, ebenso unumwunden wieder ab und gab ihm dafür einige Bildchen und andere Kleinigkeiten.

Die Unkenntniß, die diese Leute von allem, was ich besaß, hatten, bewies mir, daß sie mit Europäern[S. 126] noch wenig oder gar nicht in Berührung gekommen sein mußten. Der Gebrauch der einfachsten Gegenstände war ihnen unbekannt, alles mußte ich ihnen zeigen und erklären, und alles wollten sie, wie gesagt, sich zueignen. Ich war herzlich froh, als diese hohe Gesellschaft sich hinweg begab.

Der Sultan trieb die Höflichkeit so weit, mich eine Strecke von zwei Meilen zu begleiten.

Die Reise von Sintang nach Pontianak machte ich sehr rasch, in drei und einem halben Tage und ohne weitere Abenteuer. Ich hatte die Vorsicht gehabt, die Eingebornen zu fragen, in wie viel Tagen man diese Reise machen könne (unterläßt man solche Vorsichtsmaßregeln, so ist man den Leuten ganz Preis gegeben), und da sie mir sagten in sechs, am schnellsten in vier Tagen, so ersuchte ich den Sultan, seinen Leuten zu befehlen, mich in vier Tagen nach Pontianak zu bringen. Meinem Diener kam dieß nicht sehr gelegen: er wäre gerne langsam und bequem gereist; aber ich kehrte mich nicht mehr an ihn und übernahm selbst den Befehl über die Bootsleute.

Die Ufer des Flusses waren mehr oder minder bewohnt; wir kamen an vielen kleinen Ortschaften vorüber, unter andern auch an Sungau, nach Sintang dem größten Städtchen. Ich besuchte den Rajah im Vorüberfahren, verweilte aber höchstens eine Stunde.

[S. 127]

Eine Meile von Pontianak vereinigt sich der Kapuas mit dem Landak; beide Ströme verlieren ihre Namen, und stürzen sich als „Pontianak“ in die 25 Meilen entfernte See.

Am 6. Februar kam ich glücklich zu Pontianak an.

[16] Die Dayaker werden von den Engländern „Head hunters, Kopfjäger,“ von den Holländern „Koppenskneller“ genannt.

[17] Daß mich die Wilden auslachten, fand ich natürlich; geschah mir doch späterhin diese Ehre in Europäischen Kolonien, ja selbst in den Vereinigten Staaten Amerika’s von Leuten, die civilisirt genannt werden. Manchmal trieb man es so arg, daß ich sie frug, ob sie je ein Museum gesehen, und wenn sie eines gesehen hätten, ob sie meinten, daß alle die Thiere selbst dahin geflogen und gekrochen seien?

[18] Kuri ist eine Brühe von scharfen Ingredienzien, besonders von rothem Pfeffer. Diese Brühe ist sowohl im Festlande Indien’s, als auch im ganzen indischen Archipel sehr beliebt.

[19] Ganz anders benimmt sich ein Malaischer Diener gegen einen Herrn, wie gegen eine Frau, die er von sich abhängig glaubt.

[20] Borneo ist nach Madagaskar die größte Insel der Erde. Ihr Flächeninhalt beträgt 9373 Quadrat-Meilen; Bevölkerung 950,000 Dayaker, 200,000 Malaien, 54,000 Chinesen. Hauptausfuhrsartikel: Rotang, Reis, Kokosnüsse. Sago, Färbehölzer.

[21] Rajah Brooke war nämlich kurze Zeit vor meiner Ankunft auf Borneo nach England berufen worden, um sich gegen die Anklagen seiner Feinde zu rechtfertigen, die darin bestanden, daß er in seinen Kriegszügen gegen die Piraten Menschenleben geopfert, Hütten und Prauh’s verbrannt habe. Als ob man einen ähnlichen Krieg mit Worten führen könnte! — Wie viele Menschenleben opfern nicht die Europäischen Staaten, wie viele Städte und Dörfer verbrennen sie in ihren Kriegen, die bei weitem keinen so edlen Zweck haben, ja, die vielmehr selbst nichts weiter als großartige Piraterien sind.

In der Folge hörte ich, daß Rajah Brooke sich mit glänzendem Erfolge rechtfertigte.

[22] Die Malaien sind mit Kanonen und andern Europäischen Artikeln bekannt; ein Stamm bringt sie zum andern.

[23] Ein kürzeres, aber breiteres Fahrzeug als das Prauh.

[S. 128]

Viertes Kapitel.

Pontianak. — Auszug nach Landak. — Ein Chinesischer Kapthay. — Ein Bad im Sumpfe. — Die Bambusbrücke. — Zeichensprache. — Ankunft in Landak. — Souper bei dem Banam. — Rato. — Die Diamanten-Gruben. — Rückkehr nach Pontianak.

Pontianak war die erste Holländische Besitzung in Indien, die ich betrat. Ich gestehe aufrichtig, daß ich mich ihr mit etwas beängstigtem Gefühle nahte. Die Holländer werden von vielen Reisenden als so kalt, unzugänglich, und für nichts als ihr eigenes Interesse Sinn habend, geschildert! Und eine theilnahmslose Aufnahme wäre mir um so empfindlicher gewesen, als mich die Zuvorkommenheit und Artigkeit der Engländer nicht nur auf dieser, sondern auch auf meiner ersten „Reise um die Welt“ sehr verwöhnt hatte.

Ich sandte den Brief, den mir Kapitän Brooke an das Holländische Gouvernement mitgegeben hatte, in die Kanzlei, und blieb voll banger Erwartung in dem Sampan sitzen.

Mein Diener überbrachte mir die unangenehme Botschaft, daß der Resident, Herr Willer, in Batavia[S. 129] sei. Sein Stellvertreter, Sekretär von Hardenberg, kam jedoch sofort, um mich zu empfangen und that dieß in einer so herzlichen Weise, daß ich mich jeder Angst enthoben fühlte. Er stellte ein leerstehendes Häuschen[24], das vor wenig Jahren Amerikanischen Missionären zur Wohnung diente, zu meiner Verfügung, und setzte bei, daß für alle meine Bedürfnisse gesorgt werden würde. Abends stellte er mich der Gattin des Residenten vor, in der ich eine sehr liebenswürdige, gebildete Frau kennen lernte. Sie bot mir in ihrem Hause eine Wohnung an, die ich mit Freuden gegen das einsame Häuschen vertauschte.

Ich hatte die Reise nach Pontianak hauptsächlich in der Absicht unternommen, die berühmten Diamanten-Minen in Landak zu besuchen. Als ich am folgenden Tage diesen Wunsch aussprach, erfuhr ich zu meinem Leidwesen, daß gerade am Morgen des Tages, an dem ich ankam, ein katholischer Priester, Herr Sanders, in einem bequemen Regierungsboote dahin abgegangen sei. Ihn einzuholen war nun zu spät; man sagte mir jedoch, daß die Reise zu Lande vier Tage kürzer sei als zu Wasser, und ich daher, wollte ich mich zur ersteren entschließen, vor Herrn Sanders in Landak anlangen könnte. Auf jeden Fall würde ich ihn da[S. 130] noch treffen, und wenigstens die Rückkehr in seiner Gesellschaft und in dem bequemen Boote bewerkstelligen können. Ich entschloß mich dazu ohne Bedenken, obwohl die Entfernung über 200 Meilen betrug, von welchen ich ungefähr die Hälfte zu Fuß zu machen hatte.

Herr von Hardenberg wollte mir einen Diener mitgeben: er behauptete, daß es unmöglich sei, in dem Lande fortzukommen, ohne der Malaischen und Dayakischen Sprache mächtig zu sein, indem man täglich Führer und Träger wechseln müsse. Ich hatte aber seit dem Diener, den mir Kapitän Brooke mitgegeben, einen solchen Abscheu vor dergleichen Leuten, daß ich erklärte, allein gehen zu wollen; nur bat ich, mich mit guten Briefen an die verschiedenen Chefs und Rajah’s zu versehen, durch deren Länder ich kommen würde.

Erst am 10. Februar ward es Herrn von Hardenberg möglich, mir ein kleines Boot zu verschaffen, das mich nach Kubiang (60 Meilen) bringen sollte. Herr von Hardenberg geleitete mich bis an’s Boot, und als ich einstieg, rief er aus: „Wenn ich Sie nicht selbst eine so beschwerliche Reise ohne alle Begleitung antreten sähe, so würde ich es für unmöglich halten und nicht glauben.“

Ich fuhr den schönen Strom Landak 30 Meilen aufwärts bis Kubu-trap, wo ich die Nacht in einem[S. 131] Chinesischen Hause zubrachte. Hier mündet das Flüßchen Mandor in den Landak.

Frau Willer hatte mir einen ganzen Korb voll Eßwaaren mitgegeben, die ich aber alle Abends an die Bootsleute vertheilte, wohl wissend, daß jene bis zum kommenden Morgen von tausenden Ameisen zerstört gewesen wären. Man kann Eßwaaren nur in wohlverschlossenen Blechbüchsen vor diesen Insekten bewahren.

11. Februar. Schon um 3 Uhr Morgens ging es an die Fahrt auf dem Mandor. Dieses schmale Flüßchen ist von Waldungen so eingeengt, daß wir unter einem steten Laubdache dahin glitten. Mit der aufgehenden Sonne erwachte auch das Leben in den Wäldern. Ich hörte zwar keinen Vogelgesang, dagegen von allen Seiten das Gekreische der Affen, des riesigen Orangutang, des langarmigen Kalampian’s, des schwarzen Siaman’s, des Bintangan’s (Nasenaffe) und anderer. Letztgenannte vier Gattungen sind blos auf Borneo einheimisch.

Um 10 Uhr erreichten wir Kubiang (30 Meilen), das Ende der Wasserfahrt; ich bereitete mich sogleich zur Fußparthie nach Mandor (8 Meilen) vor, wohin mich zwei der Bootsleute begleiteten.

Die ersten sieben Meilen führte der Weg durch finstere Waldungen über Stock und Stein, dann öffnete[S. 132] sich eine freundliche Lichtung, mit Pflanzungen bedeckt. Der Boden bestand hier aus Sand, auf Borneo eine seltene Erscheinung. Gut unterhaltene Pfade, Bretter oder breite Stämme, über die Bäche und Pfützen gelegt, gaben mir kund, daß ich auf Chinesischem Grund und Boden wandle, denn weder der Malaie noch der Dayaker hat den geringsten Sinn für Bequemlichkeit oder Annehmlichkeit.

In Mandor kehrte ich bei dem Chinesischen Oberhaupte (Kapthay) ein, an welchen mein erster Empfehlungsbrief lautete.

In den Chinesischen Orten oder Kampon’s, die unter Holländischem Protektorate stehen, wird gewöhnlich ein Chinese als Chef gewählt, der je nach der Größe des Ortes den Titel Kapthay (Kapitän) oder Major erhält. Diese Würde bringt keinen Gehalt mit sich, und wird blos auf ein Jahr ertheilt; doch kann die alte Wahl jährlich bestätigt werden. Manche Kapthay’s genießen das Ansehen eines Präsidenten oder Fürsten; sie wohnen in einem Fort, können über die Chinesen Strafen verhängen, ja sogar Todesurtheile vollziehen. So lange sie sich ruhig verhalten und dem Holländischen Gouvernement den Opiumpacht richtig zahlen, greift dieses in ihre innere Regierung nicht ein.

Das Kapthayat von Mandor war eines der bedeutenderen,[S. 133] und der Kapthay residirte in einem Fort, an dessen Eingange zwei sechspfündige Kanonen aufgepflanzt waren. Seine Wohnung bestand aus vielen offenen Vorplätzen und Hallen und aus ein Paar kleinen, niedrigen Schlaf-Kämmerchen, in welchen sich die Frauen aufhielten. Die größte unter den Vorhallen diente zu gleicher Zeit als Wohnplatz, Speisesaal und Gottestempel. Da gab es allerlei Götter, schön gezierte Altäre, angesteckte Räucherkerzchen; Reis, Früchte und Thee waren den Göttern als Opfer hingestellt.

Gegen Abend führte mich der Kapthay in das Städtchen, welches an das Fort grenzt und aus zwei Reihen kleiner Häuser besteht, die eine Straße bilden. Es zählt ungefähr 700 Einwohner.

Nach dem Spaziergange zeigte er mir seine Schweinställe[25], die groß und luftig, und was mich bei einem Chinesen noch mehr in Erstaunen setzte, sehr rein gehalten waren. Die Thiere werden täglich zweimal mit Wasser übergossen und erhalten zur Nahrung Reis mit Kiang-beng, Kladi- und Guelang-Blättern vermischt. Die Blätter werden fein geschnitten, zu einer Art Sulze verkocht und zu je drei Theilen mit einem Theile gekochten Reises vermischt.[S. 134] Die Thiere waren merkwürdig groß und fett, manche konnten sich kaum zum Troge schleppen.

Außer den Schweinställen bewunderte ich auch die Küche, die äußerst rein gehalten war, und die herrliche Kost, die Herren und Dienern vorgesetzt wurde. Reis bildete natürlich den Hauptbestandtheil; er muß statt des Brotes dienen; aber außerdem gab es gekochte Hühner oder Schweinefleisch nebst Gemüsen und anderen kleinen Gerichten. Dieser Chinesische Chef lebte ungleich besser und reinlicher als der größte Malaische Rajah. — Seine Frau (er hatte nur eine) besaß reiche Kleider, viel Goldgeschmeide und auch hübsche Diamanten. Ihr Kindchen von 8 Monaten war in Seide gekleidet und trug nebst einigem Goldgeschmeide ein seidenes goldgesticktes Mützchen auf dem Kopfe.

Der Kapthay frug mich zu wiederholten Malen, ob ich darauf bestünde, die Reise nach Landak zu Fuß zu machen. Er erzählte mir, daß vor wenig Tagen Herr Sanders hier angekommen sei und denselben Plan gehabt, ihn aber aufgegeben habe, als man ihm sagte, daß man große Umwege machen müsse, um einige unruhige Dayaker-Stämme zu umgehen, und daß die Wege über alle Maßen schlecht seien. Ich ließ mich nicht abschrecken und bat ihn nur, mir einen guten Führer zu geben und die Reise einzuteilen, daß ich so rasch als möglich nach Landak käme.

[S. 135]

Die Nacht brachte ich in einem kleinen Kämmerchen in einem reinlichen, guten Bette zu.

12. Februar. Nach einem trefflichen Frühstücke von gekochten Hühnern, Reis, Eiern und Früchten begab ich mich auf den Weg, von einem Chinesischen Führer und einem Dayakischen Träger (Kully genannt) begleitet. Die beiden Leute gingen so schnell, als wären wir auf einer Flucht begriffen. An fünf Stunden liefen wir unausgesetzt, dann hielten wir bei einem Chinesischen Hause, stärkten uns durch ein einfaches Mahl und setzten den Sturmschritt bis gegen Abend fort. Ich glaube gewiß, daß wir an 20 Meilen gelaufen sind. Glücklicher Weise ging es über Chinesischen Grund und Boden, auf größtentheils gebahnten Wegen, so daß ich zwar ein wenig ermüdet, aber sonst wohlbehalten in Sompa anlangte. Hier übergab mich der Chinese nebst einem Briefe des Kapthay dem Malaischen Rajah, der nun für meine Weiterreise zu sorgen hatte.

Mit großem Vergnügen verlor ich den Chinesischen Führer, denn seine Neugierde war im höchsten Grade belästigend. Ehe ich es bemerkte, hatte er meinen Reisesack geöffnet und alles aufgerissen und untersucht. Späterhin entdeckte ich, daß er einiges Geld, nebst anderen Kleinigkeiten gestohlen hatte —[S. 136] der erste Diebstahl, der mich auf meinen vielen Reisen traf.

13. Februar. Die heutige Tagreise war zwar kurz (ich schätze sie kaum auf 14 Meilen); dagegen waren die Wege um so schrecklicher. Ich weiß wahrhaftig nicht, was unangenehmer ist: über gefallene Baumstämme und hohe Wurzeln in den Wäldern zu klettern, oder Pfützen und Moräste zu durchwaten, oder durch das Alang-Alang zu gehen. Dieses Jungle-Gras ist 5 bis 6 Fuß hoch, sehr dicht und von sehr schmalen, tiefen Pfaden gleich Rinnen durchschnitten, auf welchen man gleitet und leicht jeden Augenblick fällt. Unmittelbar nach einem Regen (und so nahe dem Aequator gibt es wenig Tage ohne Regen), wenn die Sonne wieder in volle Kraft tritt, ist es zwischen diesem Grase dunstig und zum Ersticken heiß.

Wir waren heute und gestern häufig von hohen Gebirgen umschlossen; die Pfade aber wanden sich stets von einem Thale in’s andere, so daß wir höchstens 2 bis 300 Fuß hohe Hügel zu übersteigen hatten. Manche dieser Stellen boten die reizendsten Ansichten. Auch hier, wie bei Sekamil, thürmten sich in pittoresken Formen zwei- und dreifache Gebirgsketten auf, mit großen Thälern dazwischen und mit undurchdringlichen Wäldern bedeckt. Je mehr ich von diesem schönen Lande sah, desto mehr entzückte es mich, und desto mehr[S. 137] wünschte ich ihm, daß Bevölkerung, Kultur und eine milde Regierung bald Eingang fänden.

Diesen Nachmittag nahm ich wider Willen ein kaltes Bad: ich fiel von einer fünf Fuß hohen Bornäischen Brücke (einem Bambusstamme) in einen Sumpf, in den ich bis über die Schulter sank. Meine beiden Begleiter hatten Mühe, mich heraus zu ziehen. Glücklicher Weise war in der Nähe ein klarer Bach, in welchem ich mich mit Wasser so lange übergießen ließ, bis der Schlamm von den Kleidern abgespühlt war. Von Wasser triefend mußte ich noch ein paar Stunden fortlaufen bis zum Nachtquartier, wo ich erst Kleider wechseln konnte. Ich befürchtete, daß mir der Sturz und das Bad schaden würden, da ich ganz erhitzt war, als mir dieß Unglück begegnete; doch, Gott sei Dank, ich blieb gesund.

Ich übernachtete in Bo-baher, einem Chinesischen Städtchen von ungefähr 400 Einwohnern. Auch hier bewunderte ich bei meinem Wirthe die große reinliche Küche und die schönen Schweineställe. Die Chinesen ziehen das Schweinefleisch jedem andern Fleische vor und verwenden daher alle Sorgfalt auf diese Thiere. Der ärmste Chinese genießt sicher ein- oder zweimal die Woche Schweinefleisch. Ueberhaupt lebt man bei den Chinesen ungleich besser als bei den Malaien und Dayakern. Man bekömmt gewöhnlich ein eigenes Schlafkämmerchen,[S. 138] eine gute reinliche Nahrung, und wer den Thee liebt, überall eine Tasse dieses Getränkes. Der Chinese trinkt nie Wasser; in jeder Hütte steht ein großer Topf mit Thee, aus welchem Jedermann nach Gefallen seinen Durst stillt. Freilich ist dieser Thee gewöhnlich sehr schlecht, von bitterem Geschmacke und für den Europäer nur bei den Reichen genießbar.

14. Februar. Höchst anstrengender Marsch von mehr als neun Stunden durch dichte Waldungen und hohes Jungle-Gras (20 Meilen). Der Weg führte meistens durch Gegenden, die von Dayakern bewohnt waren; meine Begleiter hatten Furcht und liefen so eilig, daß ich ihnen kaum folgen konnte. In steter Aufmerksamkeit auf jeden Laut, wußten sie bei einem Geräusche in den Wäldern genau zu unterscheiden, ob es von einem Thiere oder von Menschen herrühre. War letzteres der Fall, so hielten sie erschrocken an; dasselbe thaten jene, die wahrscheinlich auch uns gehört hatten — und lautlose Stille folgte. Meine beiden Leute begannen dann zu rufen und zu schreien, daß sie eine weiße Frau mit einem Schutzbriefe des Rajah von Sompa nach Darid zu geleiten hätten. Manchmal bekamen wir keine Antwort, einige Male standen aber plötzlich, wie aus der Erde gezaubert, ein Paar Dayaker vor uns. Sie waren bis in unsere Nähe gekommen, ohne das geringste Geräusch zu machen, und tauchten aus dem[S. 139] Walde erst auf, als sie sahen, daß von unserer kleinen Gesellschaft nichts zu befürchten war. Nachdem sie mich begafft und einige Worte mit meinen Leuten gewechselt hatten, ließen sie uns ruhig des Weges ziehen. Einen Dayaker fanden wir im hohen Jungle-Grase verborgen; vielleicht lag er da auf Beute lauernd!

Im Laufe dieses Tages kamen wir auch an einem Pantah vorüber. Es sind dieß kleine, viereckige Plätze von großen, hölzernen Figuren umstellt, welche die Arme ausstrecken, als wenn sie einen Reigen tanzten. Die Pantah’s werden von den Dayakern errichtet, die nach den Kriegszügen mit den eroberten Köpfen hierher kommen und hier die ersten Feierlichkeiten abhalten. Die Dayaker, aber auch die Malaien, halten diese Plätze sehr in Ehren; sie glauben, daß derjenige, der das Geringste an einer der Figuren beschädige, vom bösen Geiste befallen werde und sterben müsse. Man könnte hieraus den Schluß ziehen, daß die Dayaker wirklich an böse Geister glauben.

Kurz vor dem Oertchen Darid kamen wir an den Fluß Menjuki, der, wie die meisten Flüsse Borneo’s, einen so ruhigen ungestörten Lauf hat, daß man sein Dasein nicht eher ahnt, als bis man ihn sieht. Da dieser Fluß vermöge seiner Verbindung mit dem Suar in welchen er mündet, bis Landak führt, sollte zu Darid die Fußreise ein Ende haben. Ich fand aber[S. 140] die Leute alle mit der Reisernte beschäftiget und den Rajah nicht geneigt, ein Boot für mich zu bemannen. In drei Tagen meinte er, sei die stärkste Arbeit vorüber, dann wolle er mich weiter befördern. Dieß lag natürlich nicht in meinem Plane, da ich auf diese Art Herrn Sanders verfehlt hätte. Ich forderte daher einen Führer und Kully, oder auch nur einen Kully, der den Weg wisse, um die Reise zu Fuß fortzusetzen. Lange wollten die Leute auf meine Bitten nicht hören; ich quälte sie aber so unausgesetzt, daß sie am Ende nachgaben. Ich feierte auf dieser Reise wahre Triumphe — allein, kaum einiger Worte der Dayakischen Sprache mächtig, setzte ich meinen Willen überall durch.

15. Februar. Abermals den ganzen Tag gelaufen (20 Meilen) und zwar auf vielen Umwegen. Nicht nur die Malaien, sondern auch die Dayaker hatten nämlich viele Wege verhauen und ungangbar gemacht, um sich gegen die Ueberfälle ihrer Nachbaren zu schützen, mit welchen sie in Unfrieden lebten.

Wir kamen an mehreren Dayakerplätzen vorüber, hielten aber nur einige Minuten an, um uns durch einen Trunk Kokoswasser zu erfrischen.

Wenige Meilen von Jata, dem heutigen Ziele der Reise, galt es eine wahrhaft schauerliche, lebensgefährliche Brücke zu übersteigen. Einige aneinander gebundene Bambusse schwebten in einer Höhe von 30 Fuß[S. 141] über dem mehr als 100 Fuß breiten Suar. Die Eingebornen benützen zu derlei Uebergängen gewöhnlich Stellen, an welchen sich kräftige Baumäste weit über das Wasser neigen, oder wo einzelne Stämme im Wasser selbst stehen, die sie als Pfeiler verwenden können, um die Bambusse darauf zu stützen. Eine so hohe und lange Brücke ist zwar mit einem Geländer versehen; aber wehe dem, der es als Stütze gebrauchen wollte: er würde unfehlbar damit in die Tiefe stürzen. Es besteht aus ganz dünnen Bambusstäbchen, die von zehn zu zehn Fuß angebracht und durch ebenso dünne Querstäbchen verbunden sind, und dient nur dazu, das Gleichgewicht zu erhalten. Bebend ging ich über diese Brücke, das Rohr tanzte unter meinen Füßen, das Geländer zitterte unter meinen Händen, und der schwindelnde Blick fiel auf den Strom, der tief unter mir in geschäftiger Eile dahin rollte. Doch glücklich erreichte ich das jenseitige Ufer.

Gestern und heute hatte ich wirklich viel zu leiden, ein Drittheil des Weges ging durch Alang-Alang, die andern zwei Theile durch Waldungen, über hohe Hügel auf- und abwärts und durch viele Sumpfstellen. Ich war gezwungen, gleich den Eingebornen, mit bloßen Füßen zu laufen; Schuhe würden in den Sümpfen stecken geblieben sein, und hohe Stiefel wären zu schwer gewesen. Eine weitere Unbequemlichkeit war, daß ich[S. 142] jeden Tag, wenigstens einmal, von dem tropischen Regen durchnäßt wurde und meine Kleider von der glühenden Sonne am Körper trocknen lassen mußte. Den einzigen Ersatz boten mir die immer gleich schönen Ansichten der gebirgigen Gegend.

16. Februar. In Jata fand ich dieselben Schwierigkeiten wie in Darid, keine Leute zur Führung eines Prauh’s, alles mit der Reisernte beschäftigt. Ich konnte mich den Leuten nicht hinlänglich verständlich machen, da sie blos Dayakisch sprachen und mußte daher mein Bischen Zeichnenkunst zu Hilfe nehmen! Ich zeichnete ein Prauh mit acht Ruderern, daneben ein kleines Kanoe mit blos einem Mann und mir selbst am Steuer, deutete auf ersteres und gab ihnen durch Zeichen zu verstehen, daß ich ein solches Fahrzeug nicht benöthige, sondern nur das kleine Kanoe mit einem Manne. Sie begriffen mich sogleich, lachten über diese Art mich verständlich zu machen, nickten mir Beifall zu und versprachen meinen Wunsch zu erfüllen.

Ich hatte späterhin häufig Gelegenheit zu bemerken, wie wunderbar richtig und schnell die Wilden die Zeichen verstehen. Ich selbst wurde so an die Zeichensprache gewöhnt, daß ich, als ich wieder unter die Weißen kam, sehr Acht geben mußte, meine Worte nicht mit den Händen und Augen näher zu erörtern.

In keinem Lande fand ich bisher die Leute so[S. 143] gleichgiltig und träge wie auf Borneo, weniger die Dayaker als die Malaien. Ich konnte sie nur mit dem Asiatisch-Russischen Postvolke vergleichen. Dort mußte ich auf jeder Station mehrere Stunden warten bis der Karren geschmiert, die Pferde gefüttert und alles geordnet war. Hier ist es das Makan (Essen) welches die Leute so lange aufhält. Dieses Wort spielt die größte Rolle. Fragt man nach was immer für einer Person und sie will nicht erscheinen, so heißt es „Makan,“ und damit ist man abgefertiget. Man sollte Wunder glauben, was die Leute alles essen, und dabei haben sie nichts als Reis, nebst ein Paar getrockneten Fischen oder sonst einer Kleinigkeit. Der geduldigste Mensch muß unter diesem Volke seine Geduld verlieren oder aufhören den Werth der Zeit zu schätzen.

Erst um 10 Uhr kam ich heute mit vieler Mühe fort, und um 4 Uhr schon machten wir wieder zu Suwal Halt. Der Suar hat nämlich drei kleine Fälle, von welchen hier der erste und höchste ist. Die Prauh’s werden ausgeladen, seitwärts des Falles über Felsen gezogen und jenseits wieder beladen. Gewöhnlich richten es die Leute so ein, daß sie die Nacht an diesem Falle zubringen, die Prauh’s Abends entladen, Morgens über die Felsen ziehen und wieder beladen. Wir hätten gut weiter gekonnt: unser Boot war sehr leicht, mein Gepäck betrug kaum 10 Pfund;[S. 144] weil es aber gebräuchlich war, die Nacht hier zuzubringen, mußten wir es auch thun. Wir schliefen auf einem Felsblocke unter Gottes freiem Himmel.

17. Februar. Morgens half ich das Boot über die Fälle ziehen, und gegen Mittag trafen wir in Landak ein, und zwar zur höchsten Zeit, denn Herr Sanders wollte am folgenden Morgen die Rückreise nach Pontianak antreten.

Herr Sanders war nicht wenig erstaunt, als er mich ohne alle Begleitung ankommen sah. Noch höher stieg seine Verwunderung, als er hörte, welche Kreuz- und Quer-Züge ich zu Fuß gemacht hatte, um die Plätze zu umgehen, die der unruhigen Dayaker-Stämme wegen, vermieden werden mußten. Er war so gefällig, seine Abreise meinetwegen um einen Tag zu verschieben; wie es sich später zeigte, hatte er keine Ursache diesen Aufschub zu bereuen.

Landak, gleich allen Malaischen Städten aus unregelmäßigen Gruppen von Bambushütten bestehend, liegt an dem Flusse Landak, zählt ungefähr 1000 Einwohner, und ist der Sitz eines Panam-Baham’s[26].

Abends waren wir bei dem Panam-Baham eingeladen. Er empfing uns im Divan, umgeben von vier Ministern, vielen Dienern und Volk. Der Prinz,[S. 145] die Minister, Herr Sanders und ich nahmen auf Stühlen an einem Tische Platz; die Minister zogen aber bald einer nach dem andern die Füße hinauf und schlugen die Beine übereinander. Der Tisch ward auf Europäische Art gedeckt, mit Tafeltuch, Eßbestecken und Gläsern, und mit sehr schmackhaften Gerichten besetzt, darunter gebratene, gedämpfte und eingemachte Hühner, Enten, Lammfleisch, Fische, Reis u. s. w. Statt des Weines wurde lauwarmer Scherbet gereicht, der aber nicht so gut schmeckte wie jener, den ich in Persien und im Oriente trank. In Ermanglung feiner Früchte wird der Scherbet hier aus Kräutern gemacht, mit Zucker versüßt und hatte den Geschmack einer Arznei. Wir speisten alle mit Messer und Gabel; doch handhabten einige aus der Gesellschaft diese Instrumente so ungeschickt, daß ich mich kaum eines Lächelns enthalten konnte.

Die Kleidung des Fürsten und der Minister war einfach. Einer der Minister trug eine feine Tuchjacke mit Gold-gestickten Aufschlägen; sie mußte aber schon viele Dienste geleistet haben, denn sie ließ die Ellbogen durchschimmern. Der Reichthum dieser Leute besteht in Diamanten, die sie aber höchst sorgfältig verbergen, und ganz besonders vor uns habgierigen Europäern (so viel ich glaube mit gutem Rechte). Sie trugen nur einige Ringe mit schönen Steinen. Wir[S. 146] schmeichelten uns, wir würden die Schätze des Prinzen sehen; allein daraus ward nichts. Man behauptet, daß er der Besitzer des größten, bisher in der Welt gefundenen Diamanten sei; dieser soll den Kohinore, den großen Diamanten der Königin von England bei weitem übertreffen. Der Diamant wird aber Niemandem gezeigt, ja man soll nicht einmal wissen, wo er verborgen ist, so sehr fürchtet der Fürst, desselben beraubt, oder wohl gar seinetwegen ermordet zu werden. Ein beneidenswerther Schatz!!

Die Unterhaltung bei Tische spann sich um meine Reisen, vorzüglich um die letzte auf Borneo. Am meisten wunderte es den Fürsten, daß ich so glücklich durch die unabhängigen Dayaker gekommen sei; er meinte, ich müsse eines besondern göttlichen Schutzes genießen, und eine mehr als gewöhnliche Person sein[27]. Auch über meine Fußreisen erstaunte er sehr, und gestand mir aufrichtig, daß er, obwohl so jung (21 Jahre), kaum zwei Stunden würde gehen können. Ich frug ihn, ob er denn gar nicht begierig sei, etwas außer Landak zu sehen. Er erwiederte mir ganz naiv, daß[S. 147] ihm die Ruhe lieber sei als alle Merkwürdigkeiten der Welt.

Dem Interesse, welches der Fürst und seine Minister an meiner Reise nahmen, hatten wir das Versprechen zu danken, am folgenden Morgen in eine der größten Diamanten-Gruben geführt zu werden. Diese Gunst wird selten oder nie einem Europäer zu Theil. Wenn man um Erlaubniß ansucht, erhält man stets zur Antwort: „Es wird gegenwärtig nicht gesucht; der Platz liefert nichts, u. s. w.“ Auch Hr. Sanders wäre abgereist, ohne die Minen gesehen zu haben.

Um 10 Uhr Abends entließ uns der Fürst. Sein erster Minister begleitete uns, führte uns aber nicht nach unserer, sondern nach seiner Wohnung. Als wir eintraten, langten gerade auch die Stühle und der Tisch an, die er von dem Fürsten entlehnt hatte. Ich war von der Reise natürlich ermüdet und wollte nur kurze Zeit verweilen; aber man ließ uns nicht fort, und zu meinem Schrecken ward der Tisch zum zweiten Male mit demselben Service gedeckt, welches einige Stunden früher in dem Divan des Prinzen seine Pracht entfaltet hatte. Wie es schien wollte uns der Minister den Nachtisch serviren, den sein Herrscher vielleicht vergessen hatte, denn statt der warmen Gerichte[S. 148] wurden Früchte, Backwerk und Scherbet gereicht. Erst um Mitternacht kamen wir nach Hause.

18. Februar. Morgens fuhren wir in Gesellschaft des ersten Ministers zu Wasser nach den Minen von Mongo.

Die Diamanten kommen hier in sehr niedrigen Sand- und Erdhügeln vor, welche viele Kieselsteine enthalten. Am Fuße der Hügel sind Gruben von zwei Fuß Breite und 2½ Fuß Tiefe gezogen, in welchen sich das vom Regen abgeschwemmte Gestein und Erdreich sammelt. Dieses wird in Körben nach einem nahe gelegenen Wasserbehälter von 20 Fuß Länge und 15 Fuß Breite gebracht, in welchem die Wäscher stehen, die mit großen, sehr flachen, hölzernen Schüsseln versehen sind. Ein Theil des abgeschwemmten Erdreichs wird auf diese Schüsseln gelegt und so lange geschüttelt und mit Wasser überspült, bis sich die Steine von der Erde absondern. Die Wäscher fahren dann leicht mit der Hand darüber, raffen die Steine zusammen, besehen sie genau, ob kein Edelstein darunter ist und lassen sie in das Becken fallen. Sie setzen diese Arbeit so lange fort, bis am Ende bloß feiner, schwarzer Sand übrig bleibt, der dann ebenfalls in das Becken geworfen wird. Steine und Sand werden, bevor man sie aus dem Wasserbecken schafft, nochmals sehr genau durchsucht.

[S. 149]

Nach einem Regen darf sich, außer den Arbeitern, Niemand den Gruben nähern. Die Arbeiter sind Chinesen.

Es wurden uns zu Ehren zwei Körbe Erdreich gewaschen und darin zwei Diamanten von der Größe kleiner Stecknadelköpfe gefunden; den einen erhielt Herr Sanders, den andern ich. Der Minister sagte mir auch, daß er Befehl habe, mir zu erlauben, selbst nach Diamanten zu suchen und die gefundenen zu behalten; ich erwiederte ihm aber, daß ich nicht gekommen sei, um Diamanten zu suchen, sondern nur um die Minen zu sehen. Ich suchte nicht.

Viele Diamanten werden auch an andern Orten gefunden. Jene, die über drei Karat haben, müssen an den Fürsten verkauft werden, der sie gewöhnlich gegen Waare umtauscht und bei diesem Handel seine guten Procente zu gewinnen weiß.

Die Diamanten haben selbst an den Fundorten einen sehr hohen Preis.

Den Abend waren wir wieder bei dem Panam-Baham geladen, den unsere Gesellschaft sehr zu unterhalten schien. Man machte uns Hoffnung, den Schatz des Fürsten zu sehen; allein so weit ging seine Gefälligkeit nicht.

Am 19. Februar verließen wir Landak, um[S. 150] auf dem Strome Landak die Rückreise nach Pontianak zu machen (200 Meilen).

Wir fuhren in dem großen Boote bis an die Mündung des Flüßchens Karanyan. Hier bestiegen wir ein kleines leichtes Boot, um einen Abstecher nach dem Oertchen Karanyan zu machen, in welchem sich vor mehreren Jahren einige Amerikanische Missionäre festgesetzt hatten. Ihre Absicht war gewesen, unter den Dayakern Proselyten zu machen. Wahrscheinlich versprachen sie sich bei diesen mehr Erfolg als bei den Mohamedanern, die zu fest an ihrem Glauben halten. Aber auch bei den Dayakern hatten sie kein Glück und mußten den Platz aufgeben, ohne eine einzige Seele erobert zu haben.

Die Fahrt auf dem Karanyan gehört zu den schönen, aber nicht zu den bequemsten. Der Fluß war schmal, sehr seicht und der Art mit gefallenen Baumstämmen angefüllt, daß man hätte glauben mögen, dieß sei absichtlich geschehen, um ihn gegen Eindringlinge zu verschanzen. Auch viele lebende Bäume neigten sich so tief über das Wasser, daß wir uns flach in das Boot legen mußten, um unter diesen natürlichen Thorwegen durchzugleiten. Obwohl die Fahrt vier Stunden währte, verging uns doch die Zeit sehr schnell. Man kann sich schwer einen Begriff machen von dieser großartigen Zusammenstellung der verschiedenartigsten[S. 151] Laubbäume, Palmen, Gesträuche, Schlingpflanzen und Orchideen. Es gab darunter solche Riesenstämme, daß ich mich in dem Boote zurücklegen mußte, um mit dem Blicke die Spitze zu erreichen.

Zu Karanyan fanden wir noch eines der Missionshäuschen; zwei andere nebst einer kleinen Kapelle waren schon spurlos verschwunden. Das eine Häuschen ward von einem Malaien unterhalten, der dafür von den Missionären eine kleine Entschädigung erhält. Die Herren hatten bei ihrem Abzuge versprochen, bald wieder zu kommen, erschienen aber bisher noch nicht, obwohl schon zwei Jahre verstrichen waren. Wir fanden noch einige ihrer Möbel und Bücher vor.

Hierauf gingen wir noch vier Meilen weiter zu Fuß nach Tubong und Sareton, um die daselbst hausenden Dayaker zu besuchen. Aus ihrem wenigen Putze, so wie an den geringen Vorräthen von Reis, Geflügel, Schweinen u. s. w. sah man gleich, daß sie zu den Abhängigen gehörten; sie waren dem Panam-Baham untergeben. Auch in ihren Zügen, in ihrer Haltung vermißte man den offenen, ruhig freundlichen Charakter der freien Stämme. Sie empfingen uns finster und mißtrauisch; erst als Herr Sanders sie mit etwas Salz und Tabak beschenkte, thauten sie auf. Ich bewunderte bei dieser Gelegenheit abermals die[S. 152] bescheidene Gutmütigkeit dieser Menschen. Anstatt sich stürmisch an uns heranzudrängen und die erhaltenen Geschenke einander aus den Händen zu reißen, wie es häufig die Malaien thaten, empfingen sie bescheiden was man ihnen gab, und warteten ruhig, bis der Aelteste die Theilung gemacht hatte. Die Weiber bekommen hier so gut ihren Theil, wie die Männer.

Wir frugen sie, ob ihnen die Missionäre häufige Besuche gemacht hatten; man sagte uns, daß sie alle drei bis vier Tage gekommen seien. Sie hätten geprediget, etwas aus Büchern gelesen, sich ein wenig mit ihnen unterhalten und seien wieder gegangen.

Gegen Abend kehrten wir nach Karanyan zurück und nahmen für die Nacht das Häuschen der Missionäre in Besitz. Am folgenden Morgen fuhren wir das Flüßchen wieder hinab, bis zu unserm bequemen Boote und setzten die Reise auf dem Landak bis Pontianak fort, wo wir am 22. Februar glücklich anlangten.

[24] An Orten, wo nur einige Europäer leben, wie z. B. auf Borneo, gibt es keine Gasthäuser.

[25] Der Kapthay trieb bedeutenden Handel mit Schweinen und Schweinefleisch.

[26] Panam-Baham ist mehr als Rajah und weniger als Sultan.

[27] Diesen Glauben hatte man an den meisten Orten, sowohl unter Mohamedanern als unter wilden Völkern; man hielt mich für eine Art heiliger Person, und gewiß war dieß ein großer Schutz für mich. Manche meinten auch, ich suche den Geist eines mir verwandten Verstorbenen.

[S. 153]

Fünftes Kapitel.

Pontianak. — Das Pfandrecht. — Der Opiumpacht. — Die Opiumraucher. — Amok. — Reise nach Sambas. — Der Pangerong-Rato. — Zuvorkommenheit der holländischen Offiziere. — Rückkehr nach Pontianak. — Die Boa. — Einiges über die Völker Borneo’s.

Nun erst nahm ich mir Zeit, mich in Pontianak ein wenig umzusehen. Die Lage der Stadt ist nichts weniger als reizend. Sie liegt 20 Meilen von der See, in einer Ebene, die, einige Reisfelder abgerechnet, mit dichten Waldungen bedeckt ist, und deren Einförmigkeit bloß der Strom und das durch den Zusammenfluß des Landaks und Kapuas gebildete schöne Delta unterbrechen. Die nahe Umgebung besteht aus Morästen und Sümpfen; kaum daß man einen trockenen Spaziergang von tausend Schritt findet. Nahe der Stadt ist ein hölzernes Fort errichtet, das von Erdwällen umgeben und mit einer Besatzung von 130 Mann versehen ist. Die ganze Europäische Gesellschaft besteht aus dem Residenten, fünf bis sechs Beamten, einigen[S. 154] Offizieren und einem Arzte. Die Einwohnerzahl wird auf 6000 angeschlagen.

An dem jenseitigen Ufer des Pontianak residirt ein Sultan, der gleich den selbstständigen Königen Indiens unter den Engländern, dem Namen nach unabhängig ist und frei über seine Völker herrscht, in Wirklichkeit aber von einem Holländischen Residenten überwacht wird, seine Grenzen ohne dessen Bewilligung nicht überschreiten darf und mit einem Worte nicht das Geringste eigenmächtig unternehmen kann. Der einzige Unterschied zwischen den Königen Hindostans und den Fürsten Borneo’s ist, daß letztere aus eigenem Antriebe die Hilfe der Holländer in Anspruch nehmen, während erstere wider Willen zur Theilung ihrer Herrschaft gezwungen wurden. Die Fürsten auf Borneo haben zu wenig Macht, einerseits den Streitigkeiten zwischen den Malaien, Chinesen und Dayakern, anderseits den Umtrieben und Verschwörungen in ihren eigenen Familien zu widerstehen. Sie unterwerfen sich daher gerne der Holländischen Regierung, die ihnen den größten Theil der Ländereien, die Abgaben der Unterthanen, die Goldwäschereien und Diamanten-Gruben läßt und sich nur den Opiumpacht, das Salzmonopol und andere minder bedeutende Einkünfte bedingt. Manche dieser Sultane und Fürsten beziehen sogar eine jährliche Pension als Entschädigung für die abgetretenen[S. 155] Rechte. So z. B. der Sultan von Pontianak, welchem jährlich 48000 Rupien[28] ausgezahlt werden.

Auf Borneo gibt es, wie ich bereits erwähnt habe Sklaven, die zum Theile aus den Kriegsgefangenen, zum Theile aus den Schuldnern bestehen, welche zur festgesetzten Zeit nicht zahlen können, und dem Pfandrechte (von den Holländern Pandelingschap genannt) verfallen. Diesem barbarischen Rechte zu Folge muß der Schuldner seinem Gläubiger so lange unentgeldlich dienen, bis die Schuld berichtiget ist. Stirbt er früher, so tritt sein Weib, sein Sohn, seine Tochter oder sein nächster Verwandter an die Stelle. Wer dem Sultane drei Jahre keine Abgaben zahlt, ist Sklave des Sultans.

Wie man mir sagte, arbeitet Resident Willer mit großem Eifer gegen diese schreiende Ungerechtigkeit und sucht ihr ein Ende zu machen.

Ein anderes Uebel, in seinen Folgen ungleich größer, da es nicht einzelne Stämme oder Personen, sondern ganze Völker betrifft, ist der Gebrauch des Opiums. Gegen diesen wird jedoch nicht gearbeitet; im Gegentheile die Regierung selbst wendet alle Mittel an, ihn zu verbreiten.

[S. 156]

Es ist wirklich sonderbar, daß die Europäischen Regierungen einerseits Kolonien gründen, Länder unterjochen, um, wie sie sagen, die Civilisation, das Christenthum zu verbreiten, und andrerseits ihre neuen Unterthanen in Lastern, die den Grundsätzen der christlichen Religion, den Fortschritten der Civilisation gerade entgegenarbeiten, unterstützen.

Warum wirken sie nicht gegen den Gebrauch des Opiums, an dem sich Tausende, ja Millionen krank und sinnlos rauchen? — Warum? — Weil der Opium-Bau (in Indien) der Engländer größter Reichthum ist — weil der Opium-Pacht den andern Regierungen die größten Einkünfte schafft.

Wie soll man den letzten Krieg nennen, den die Engländer dem Chinesischen Kaiser erklärten, der seine Unterthanen vor diesem Gifte bewahren und die Einfuhr des Opiums verbieten wollte?

Wie können wir von den unkultivirten Völkern Achtung verlangen für unsere Religion, für unsere Civilisation, wenn sie sehen, daß diese wie jene uns an den habgierigsten, schändlichsten Handlungen nicht verhindern?

Ich besuchte eines Abends im Chinesischen Kampon die sechs öffentlichen Häuschen, in welchen Opium geraucht wird. Die Raucher saßen oder lagen auf Matten, und hatten an ihrer Seite kleine Lämpchen stehen, um[S. 157] die Pfeife, in welcher sie das Opium rauchen, anzuzünden. Merkwürdig ist die Geschicklichkeit, mit welcher selbst der schon halb sinnlose Raucher das feinste Pünktchen Opium von dem Blatte zu lösen versteht, auf welches es gestrichen ist.

Daß man an diesen Vergiftungsorten gräßliche Bilder zu sehen bekommt, versteht sich leider von selbst. Hier rafft sich Einer lallend und betäubt auf und versucht sich nach Hause zu schleppen, sinkt aber kraftlos an der Schwelle nieder, — ein Anderer liegt leblos auf der Matte hingestreckt; er hat nicht einmal das Bewußtsein mehr, an sein Haus zu denken; — dort sitzt Einer mit blassen, eingefallenen Wangen, mit stieren Augen, mit zitterndem Körper — es fehlt ihm an Geld, er kann sich nicht bis zur Sinnlosigkeit rauchen. Bei manchen erregt das Opium-Rauchen eine große Munterkeit: sie schwatzen und lachen, bis sie erschöpft auf das Lager zurücksinken und sich, ihrer Behauptung nach, himmlischer Träume erfreuen. Das Traurigste ist, daß derjenige, welcher sich einmal diesem Gifte hingegeben hat, ohne dasselbe nicht mehr leben kann. Sein Körper ist gebrochen, erschlafft, er kann nicht arbeiten, nicht denken, er ist zu allem unfähig, bis er nicht in einigen Zügen Opium neue Aufregung, neues Leben geschöpft hat.

Zu meinem Erstaunen fand ich in den Opium-Häusern[S. 158] sogar Weiber, die ebenso leidenschaftlich rauchten als die Männer.

Man sagte mir, daß der Pikul Opium in Singapore 1200 Spanische Thaler koste; die Regierung verpachtet aber das Recht des Verkaufs so hoch, daß sie daraus sechs- bis achthundert Prozent zieht.

Die Einkünfte der Holländischen Regierung auf Borneo kommen bisher hauptsächlich aus dieser Verpachtung, und mit Freude erzählte man mir, daß sie alle Jahre mehr eintrüge. In Pontianak betrug sie im Jahre 1851 ungefähr 116,000, in Sambas 130,000 Rupien; auf Java soll sie die ungeheure Summe von 10 Millionen erreichen und allein mehr betragen, als alle übrigen Steuern und Abgaben zusammen.

Den Aufenthalt auf Pontianak benützte ich, unbekümmert um Hitze und Moräste, fleißig zu Spaziergängen und zur Insekten- und Reptilienjagd. Es machte mir bei dieser Gelegenheit kindisches Vergnügen, täglich zu Fuße den Aequator zu passiren, von welchem Pontianak kaum eine Meile entfernt liegt.

Eines Morgens hatten wir in Pontianak einen großen Schrecken. Wir saßen noch ganz gemüthlich beim Frühstücke, als wir plötzlich ein heftiges Geschrei und häufiges Hin- und Herlaufen vor dem Hause vernahmen. Als wir auf die Gallerie traten, sahen wir Gerichtsdiener mit blankem Säbel über die Straße[S. 159] laufen, und hörten vom fliehendem Volke den Schreckens-Ruf „Amok! Amok!“ — Wir stürzten in die Wohnung zurück, und augenblicklich wurden alle Thüren und Fenster geschlossen und verwahrt.

Amok ist eine Art Raserei, die unter den Malaien, nicht nur auf Borneo, sondern im ganzen Indischen Archipel vorkommt. Sie ergreift die Menschen plötzlich und erregt in ihnen die heftigste, unwiderstehlichste Begierde nach Menschenblut. Der davon Befallene stürzt wie ein Wahnsinniger fort und tödtet alles, was ihm in den Weg kommt, — sein Weib, seine Kinder nicht ausgenommen. Man ist gezwungen einen solchen Menschen niederzuhauen oder niederzuschießen wie einen wüthenden Hund. — Diese Raserei soll meistens von Eifersucht herrühren und gewöhnlich nur bei Opium-Rauchern vorkommen.

Diesmal ging es mit dem leeren Schrecken ab; es zeigte sich, daß statt des Amoks drei schwere Verbrecher aus dem nah gelegenen Gefängnisse entsprungen waren. Sie wurden alsbald wieder eingebracht.

Von Pontianak wünschte ich mitten durch das Land an die Südküste nach Benjermassing, ebenfalls einer Holländischen Besitzung zu gehen. Es wäre dieß eine Reise von zwei bis drei Monaten gewesen, die ich jedoch ohne Kenntniß der Dayakischen Sprache allein nicht hätte unternehmen können. Ich suchte daher einen[S. 160] getreuen, verläßlichen Diener oder Führer; allein es fand sich Niemand, der die allerdings sehr gefährliche Reise wagen wollte. Ich mußte daher davon abstehen. Es blieb mir nichts anderes übrig, als wider Willen nach Batavia zu gehen und mich dort nach einer Gelegenheit für Australien umzusehen. Ich sage „wider Willen,“ weil es mir bekannt war, wie theuer der Aufenthalt in Batavia, so wie das Reisen auf Java ist und ich in Folge dessen dieß schöne Land so schnell als möglich hätte verlassen müssen. Dazu machten mir noch die Holländer selbst von ihren dortigen Landsleuten keine sehr günstige Schilderung, und boten mir obwohl die einen Verwandte, die andern Jugendfreunde daselbst hatten, nicht einmal Briefe für diese an — eine Sache, die mich um so mehr befremdete, als die Engländer mir stets ohne die geringste Aufforderung von meiner Seite alle Mittel an die Hand gaben, meine Reisen so angenehm als möglich zu machen. Doch es blieb mir keine Wahl, und nachdem ich in Pontianak länger geblieben war, als ich gewollt hatte, miethete ich einen Platz auf einer ärmlichen Barke, die nach Batavia segelte.

In einigen Tagen sollte ich abfahren. Da ward mir die Freude noch zu Theil, Herrn Residenten Willer kennen zu lernen, der von Batavia zurückkam. Ich nahm an diesem Manne großes Interesse, nicht nur[S. 161] weil er ein sehr vollständiges Werk über die Battaker auf Sumatra und die Alforen auf Ceram geschrieben hat, sondern auch weil er sich die Abschaffung des Pfandrechtes so sehr angelegen sein ließ.

Auch an mir bewies Herr Willer sogleich sein treffliches Gemüth: er kannte den Kapitän der Arabischen Barke als einen schlechten Menschen und gab es nicht zu, daß ich mit ihm ginge. In der liebenswürdigsten Weise bot er mir den ferneren Aufenthalt in seinem Hause an, und versprach für meine Weiterreise zu sorgen. Zufälliger Weise kam bald darauf ein Holländisches Schiff an, auf welchem er mir die Ueberfahrt nach Batavia verschaffte. Ich hatte dabei Gelegenheit, noch etwas mehr von Borneo zu sehen, da das Schiff vorerst in Sambas anlegen sollte.

Am 6. April Morgens verließ ich Pontianak auf einem Regierungsboote und um Mittag war ich an Bord des „Christian Huigens“ von 300 Tonnen, Kapitän Ihlower.

Auf dem Schiffe hatte ein reges Leben statt. Die Fracht bestand in einem Transporte Truppen aus 120 Soldaten, 46 Weibern und einem Dutzend Kinder. Unter den Soldaten gab es nur 30 Europäer; die übrigen, so wie alle Weiber waren von Java. Leider muß ich sagen, daß das Benehmen der Europäer bei weitem nicht so gesittet war wie jenes der[S. 162] Eingebornen. Unter die halb nackten, wilden Dayaker hätte ich ein Mädchen ohne Bedenken mitgenommen; hier dankte ich Gott, kein Töchterchen bei mir zu haben, — ich hätte die Arme für die Zeit der ganzen Fahrt in die Kajüte sperren müssen. Muß ich doch überall den Christen, mag er Katholik, Protestant oder was immer sein, schlechter und ungesitteter finden, als den armen verachteten Heiden und Mohamedaner! — Die Offiziere selbst gestanden mir, daß sie die eingebornen Soldaten den Europäischen vorzögen. Jene seien viel stiller und verträglicher, verrichteten den Dienst genau und betränken sich nicht. Wenigstens zwei Drittheile der Holländischen Truppen im Indischen Archipel bestehen aus Eingebornen, unter welchen sich besonders die Maduresen[29] durch ihre Tapferkeit auszeichnen.

Am 8. April lagen wir auf der Rhede vor der Mündung des Flusses Sambas (80 Meilen). Wir hatten auf dieser kurzen Reise das Land nie aus dem Gesichte verloren: entweder sahen wir Borneo selbst, oder Inseln und Eilande, an denen es ringsumher nicht fehlte. Alles war gebirgig und mit dichter Waldung bedeckt.

An der Mündung des Sambas liegt auf einem[S. 163] 150 Fuß hohen Hügel ein kleines Fort, Sorg genannt, zum Andenken an den Obersten Sorg, der hier an seinen Wunden starb, die er in dem Gefechte mit den Chinesen von Mandore erhalten hatte. Der Kommandant, Kapitän van Houten, nahm mich für die Zeit, bis ein Boot von Sambas käme, um mich abzuholen, gütigst bei sich auf — eine Gefälligkeit, die um so höher zu schätzen war, als seine ganze Wohnung aus zwei kleinen Kämmerchen bestand.

Nie sah ich ein erbärmlicheres Fort als dieses: es enthielt nichts weiter als ein Paar niedrige Laubhütten, die den zwei Offizieren, dem Arzte und den Soldaten zum Obdache dienten. Man sagte mir, daß es in größter Eile errichtet worden sei, als sich die Chinesen von Mandore empörten, die Herrschaft der Holländer nicht mehr anerkennen, und besonders den Opiumpacht nicht mehr bezahlen wollten. Es fanden in der Ebene, die am Fuße des Hügels Paniebungan liegt, auf welchem das Fort steht, drei Gefechte statt, in welchen 4000 Chinesen von 600 Holländischen Soldaten geschlagen wurden. Die Chinesen gelobten hierauf neuen Gehorsam; doch wie es scheint, ist ihrer Treue nicht recht zu trauen, und man sieht neuen Unruhen entgegen. Sobald dieser Streit vollständig beendiget ist, soll ein ordentliches Fort an einem passenden Orte errichtet werden.

[S. 164]

Ich blieb zwei Tage Herrn van Houten’s Gast und fuhr dann in einem Regierungsboote, welches der Assistent-Resident Herr van Prehn um mich zu schicken so gütig war, nach Sambas (36 Meilen). Ich langte Abends an und wurde in das Haus des Pangerong-Rato[30] geführt. Herr van Prehn hatte das seinige mit Offizieren so überfüllt, daß er mich nicht aufnehmen konnte.

Der Pangerong empfing mich im Divan. Hier sah es so Europäisch aus, daß ich mir schmeichelte, recht gut aufgehoben zu sein. Nach einer stundenlangen Unterhaltung äußerte ich den Wunsch, nach meinem Zimmer zu gehen. Man frug mich, was ich zu essen wünsche. Ich bat ganz bescheiden um zwei weichgesottene Eier. Auf meinem Zimmer angekommen, wartete ich die längste Zeit auf dieses große Mahl. Endlich erschien ein Diener, in einer Hand ein Bündelchen, in der andern ein Päckchen haltend; er legte beides auf den Tisch und kramte aus — das Bündelchen enthielt sechs Eier, das Päckchen ein Pfund Wachskerzen. Ich mußte über die höchst einfache Art der Bedienung um so mehr lächeln, als man mir einige Diener nebst einer Dienerin gegeben hatte, die mich[S. 165] auf jedem Schritte wie Schatten verfolgten, von welchen mir aber keiner weder Messer noch Teller noch Brot oder Salz brachte. Ich hatte nicht mehr den Muth, etwas zu verlangen; ich dachte, es könnte so rasch kommen als die Eier, und ich sehnte mich schon sehr nach Ruhe. Ich langte daher nach einem Ei, um es in Eile auszuschlürfen; aber — es war kalt und ungekocht. Ohne Imbiß mußte ich nach einer ganzen Tagereise mein Lager aufsuchen.

Meine Wohnung bestand aus einer großen Halle, zu welcher drei Stufen aufwärts führten. Ein kleiner Raum, durch Blätterwände getrennt, bildete das Schlafgemach, das weder Thüre noch Fenster hatte; vor dem Eingang war bloß ein kleiner Schirm gestellt. Als ich Morgens aufstand, konnte ich natürlich in dem finsteren Gemache nicht bleiben und ging in die Halle. Diese aber hatte ein halb Dutzend Thüren, die immerwährend offen standen und allen Leuten zugänglich waren. An müßigem Volke fehlt es in den tropischen Ländern nirgends, am wenigsten an einem fürstlichen Hofe, und da ich noch dazu den Leuten eine merkwürdige Erscheinung war (außer Frau Willer hatten sie noch keine Europäerin gesehen), so befand sich meine Halle stets voll Menschen, und jede meiner Bewegungen wurde beobachtet; ich kam mir wahrlich wie eine stumme Schauspielerin vor.

[S. 166]

Zum Frühstücke, auf das ich mit einem wahren Heißhunger wartete, brachte man mir Thee ohne Milch[31] und ohne Brot. Ich fing schon an, etwas böse zu werden, mich an ein Haus gewiesen zu sehen, in welchem ich mit niemandem sprechen konnte und mir daher alles gefallen lassen mußte. Da kamen endlich zwei Herren, Kapitän van der Kapellen und Dr. Enthoffer, mich zu besuchen und im Namen der gesammten Offiziere einzuladen, eines ihrer Häuschen zu beziehen. Welche Freude mir diese unverhoffte Einladung machte, bedarf wohl keiner Erwähnung. Die Herren versprachen, mich gegen Abend abzuholen.

Indessen rückte Mittag heran, und als niemand erschien, meinen leeren Tisch zu decken, begehrte ich zu essen. Ich hatte nun schon über 24 Stunden gefastet. Trotz meines guten Appetites war es mir aber unmöglich, viel von dem Mahle zu genießen, das man mir vorsetzte. Es bestand aus Reis, in Wasser gekocht, aus dem halben Flügelchen eines Huhnes in so starker Kuri-Brühe, daß ich mir den Mund verbrannte, und aus zwei dünnen Spalten getrockneten Fleisches (Den-den genannt), welches in ranzigem Kokos-Oele zu Kohlen verbrannt war.

[S. 167]

Um 4 Uhr brachte man mir einen großen Korb voll Früchte, von welchen ich jedoch wenig aß, da sich der Europäer in diesen Ländern vor Früchten sehr in Acht nehmen muß; sie bekommen ihm selten gut.

Um 5 Uhr erschienen die beiden Herren. Kapitän van der Kapellen führte mich in sein eigenes Häuschen, welches er sammt seinen Dienern gänzlich zu meiner Verfügung stellte; er selbst quartirte sich für die Zeit meines Hierbleibens bei einem andern Offiziere ein. Man glaube aber nicht, daß ich, weil ich ein ganzes Häuschen besaß, deshalb über viele Gemächer zu verfügen hatte. Mein Palast, eine bescheidene Laubhütte mit zwei kleinen Kämmerchen, war nebst andern ähnlichen Palästen in der Eile aufgeschlagen worden, um die Offiziere zu beherbergen, die der Chinesischen Unruhen wegen mit ihren Truppen die Besatzung von Sambas vermehrt hatten. In Friedenszeit besteht die ganze hiesige Gesellschaft aus dem Assistent-Residenten, einigen Beamten und Offizieren, im Ganzen 11 Personen, die Soldaten nicht gerechnet.

Sambas zählt einige Tausend Einwohner und gleicht allen übrigen Malaischen Städtchen, mit der Ausnahme, daß die Chinesen meistens ihre Häuser auf Flößen gebaut haben, wodurch der Fluß ein sehr belebtes Ansehen erhält. Gleich Pontianak liegt Sambas in einer großen Ebene, die aber nicht so versumpft ist,[S. 168] und in deren Hintergrund sich einige Gebirge zeigen. Vor dem Hause des Assistent-Residenten ist sogar ein großer Wiesenplatz mit Baum-Alleen.

Außer einem Fort besitzt Sambas auch ein Hospital mit geräumigen Sälen, sehr reinlichen, guten Betten und reichen Vorräthen an Wäsche, Arzeneien und Lebensmitteln, unter letzteren viele hermetisch verschlossene Blechbüchsen (Conserve), feine Gemüse, Kalbfleisch u. s. w. enthaltend, und feine Weine, wie Bordeaux, Rheinwein. In dieses Hospital werden auch Eingeborne aufgenommen; doch machen sie selten Gebrauch davon. Sie haben einen großen Abscheu vor Hospitälern — sie sahen Leute darinnen sterben, halten sie eher für Sterbehäuser als für Heilanstalten und ziehen es daher vor, selbst an sich zu quacksalbern.

Zu meinem Erstaunen bemerkte ich, daß die Holländer auf Borneo[32] mit den eingebornen Mädchen in denselben freien Verhältnissen leben, wie die Franzosen auf Otahaiti. Ich könnte hier Wort für Wort wiederholen, was ich bei Gelegenheit meiner früheren Reise über Otahaiti geschrieben habe. Mir fiel dies um so mehr auf, da ich weder auf Singapore, noch auf Sarawak, noch auf irgend einer Englisch-überseeischen Besitzung Aehnliches bemerkt habe.

[S. 169]

Obwohl es in Sambas nicht viel Interessantes zu sehen gab, verging mir die Zeit doch schnell und angenehm. Herr van Prehn sandte mir jeden Morgen sein Boot, und der Fürst Rato vier Malaien. Ich fuhr bis an die Waldungen und strich mit meinen Begleitern den ganzen Vormittag umher. An die tropische Hitze war ich bereits gewöhnt, eben so an die Sümpfe und Moräste, und an Schlangenbisse oder dergleichen Unfälle dachte ich gar nicht. Wir brachten Tod und Verderben über alles, was uns vorkam; kein Insekt, kein Reptil, kein Schmetterling fand Gnade vor unsern Augen. Nachmittags hatte ich meine armen Opfer in Ordnung zu bringen, und Abends erhielt ich stets Besuche. Mit Dank und Vergnügen werde ich stets der Europäer in Sambas gedenken, besonders der Herren van der Kapellen, Enthoffer und van Prehn. Sie beschrieben mir ihre Landsleute auf Batavia ungleich günstiger, als man es zu Pontianak gethan hatte, und versahen mich reichlich mit Empfehlungsbriefen, so daß ich meiner Reise etwas muthiger entgegen sah.

Am 26. April verließ ich Sambas, und zwar um abermals nach Pontianak zu gehen, wo das Schiff eine Ladung Kokosnüsse (50,000 Stück, das Hundert à 2 Rupien) und Rotang für Batavia einnehmen sollte.

[S. 170]

An der Mündung des Flusses hatte ich das Vergnügen, Herrn und Frau Willer zu begegnen und mit ihnen zu frühstücken. Herr Willer kam der Chinesischen Angelegenheiten wegen nach Sambas.

Auf Fort Sorg, bei Kapitän van Houten, fand ich dieselbe herzliche Aufnahme wie früher. Er überraschte mich mit einer kleinen Sammlung Insekten und mit einer ausgezeichnet schönen und seltenen Schlange.

Am 1. Mai ging ich wieder an Bord. Wir hatten vier Tage zu thun, um über die die Rhede umgebenden Sandbänke zu gelangen. Am ersten Tage harpunirten die Matrosen eine Boa. Sie war vermuthlich durch die Fluth vom Lande mitgenommen worden und mochte unser Schiff als Zufluchtsort betrachten, indem sie darauf lossteuerte und an Bord zu kommen suchte. Sie kam auch an Bord, aber — als Leiche. Sie maß 18 Fuß in der Länge und 8 Zoll im Durchmesser. Die Matrosen zogen ihr die Haut ab und wollten den Körper in die See werfen. Ich rieth ihnen, letzteres zu unterlassen und die Schlange lieber zu verspeisen. Sie lachten mich weidlich aus und meinten, wenn das Schlangenfleisch so köstlich schmecke, möge ich es nur selbst verzehren, ihr Antheil stehe zu meiner Verfügung. Ich ließ ein Stück braten[S. 171] und fing in ihrer Gegenwart davon zu essen an[33]. Als sie dies sahen, trat doch einer der herzhaftesten hervor und ersuchte mich, ihn davon kosten zu lassen. Ich gab ihm ein Stückchen, und da er es, gleich mir, äußerst schmackhaft fand, folgten die andern alsbald seinem Beispiele und kosteten so viel, daß am Ende das Zusehen an mich kam. Es wurde einmüthig beschlossen, die Schlange zu verspeisen, und Matrosen und Soldaten dankten mir für den guten Rath.

Wir hatten 30 Soldaten nebst einigen Weibern und Kindern an Bord. Unter den Soldaten gab es mehrere Kranke, die zur Luftveränderung nach Batavia gesandt wurden, und von welchen einer, ein Javanese, während der Reise starb. Sein Körper wurde unmittelbar nach dem Verscheiden an den Mittelmast gelegt. Nach sechs Stunden nähte man ihn in eine Matte, befestigte an den Füßen zwei große Steine, legte dann den Körper auf ein Brett, und ließ ihn in die See gleiten. Keiner der Landsleute und Waffengenossen des Verstorbenen war von dieser Scene ergriffen,[S. 172] nicht einmal sein Weib. Ihr Auge blieb trocken, ihre Gesichtszüge drückten Gleichgültigkeit aus. Nach zwei Tagen sagte man mir, daß sie schon mit einem andern versprochen sei.

Ich hatte bemerkt, daß die Landsleute des Verstorbenen, als er in die Matte genäht wurde, einige Münzen beilegten. Auf mein Befragen, warum dieß geschähe, sagte man mir, daß die Leute glauben, wenn man einer Leiche, die in die See geworfen werde, einige Münzen beilege, sie nicht auftauche.

Am 8. Mai erst warfen wir Anker auf der Rhede von Pontianak, und am 22. Mai nahm ich zum letzten Male Abschied von diesem Orte. Da ich damit zu gleicher Zeit auch gänzlichen Abschied von Borneo nahm, will ich mit einigen Worten noch die verschiedenen Völker erwähnen, die ich kennen gelernt habe.

Die Dayaker, die bei weitem den größten Theil der Bevölkerung ausmachen, gefielen mir, wie bereits gesagt, am besten, nicht nur unter den Völkern Borneo’s, sondern untern allen wilden Völkern der Erde, mit welchen ich bisher in Berührung gekommen war. Sie haben, besonders die freien Stämme, einen wirklich edlen, unverdorbenen Charakter. Sehr mißfielen mir dagegen die Malaien; ich kann nur bestätigen, was die meisten Reisenden sagen: daß die[S. 173] Malaien Borneo’s unter allen Malaien die schlechtesten sind. Sie lügen, stehlen, betrügen, behandeln die ihnen unterworfenen Dayaker sehr hart und haben wenig Liebe für ihre Weiber und Kinder. Sie wechseln sehr leicht die ehelichen Bande: ich sah Männer wie Weiber, die sechs bis acht Mal getraut waren und kaum 30 Jahre zählten. Oft kehren sie, nachdem sie mit anderen getraut waren, zu ihren früheren Gatten wieder zurück. Daß ein Mann mehrere Frauen zugleich hat, ist gesetzlich erlaubt, denn die Malaien sind alle Mahomedaner. Nebst diesen schönen Eigenschaften besitzen sie eine unbeschreibliche Trägheit, Theilnahmslosigkeit und eine Unreinlichkeit sonder gleichen. Sie baden oder überschütten sich wohl zwei bis dreimal des Tages mit Wasser, wie es ihre Religion verlangt; allein sie waschen den Schmutz nicht vom Körper, trocknen sich nicht ab; sie lassen das Wasser über den Körper laufen und damit ist es abgethan. Ihre Nahrung ist schlecht, weil sie zu träge sind, mehr zu bauen oder zu pflanzen als Reis. In jeder Hütte, in der ich auf meinen Reisen einsprach, fand ich einen Schwarm von Männern und Weibern, die halbe, ja ganze Tage nichts thaten als: schwatzen, Siri kauen, schlafen, mit den Kindern spielen oder mich stundenlange sinnlos begaffen.

[S. 174]

Was die Chinesen betrifft, so sind diese schon von ihrem Vaterlande aus als falsch, grausam, hinterlistig und verschmitzt bekannt, und so wenig sie in fremden Ländern ihre Sitten, Gebräuche und Kleidung ablegen, eben so wenig legen sie ihren Charakter ab. Doch haben sie auch viele gute Eigenschaften: sie sind betriebsam, fleißig, ausdauernd und sparsam, lieben ihre Kinder und wechseln deßhalb auch viel seltener ihre Frauen.

Die Chinesen spielen in Borneo die Rolle der Juden in Polen oder Ungarn. Groß- und Klein-Handel, alle Handwerke sind in ihren Händen; sie sind Pächter oder Bearbeiter aller Minen und bauen das Land ungleich sorgfältiger als die Dayaker oder Malaien. Auch ihre Nahrung ist bei weitem besser: sie halten viel Schweine und Geflügel, pflanzen Gemüse und Früchte. Thee vertritt die Stelle des Wassers, und bei den Mahlzeiten trinken sie häufig eine Art sehr leichten Rums, aus Reis gezogen und mit Zucker versüßt.

Man könnte den Chinesen als Herrn und Bürger des Landes, den Malaien als Bauer, den abhängigen Dayaker als Sklaven betrachten.

Durchaus unwahr und übertrieben finde ich die Schilderungen, die man von dem harten Lose der Borneischen[S. 175] Weiber, besonders jenem der Dayakerinnen macht. Leute, die solches behaupten, haben nicht gesehen, was ein armes Weib in den meisten Europäischen Ländern zu leisten hat. Sie haben nicht gesehen, wie eine Europäische Bäuerin schwer beladen mit Lebensmitteln schon lange vor Sonnenaufgang nach einer fernen Stadt eilt, um dort ihren Kram zu veräußern, wie sie halb erschöpft nach Hause kommend, statt zu ruhen, die Küche, die Kinder beschickt, im Stall das Vieh besorgt, und oft noch auf die Felder geht und den Männern arbeiten hilft. Sie haben nicht gesehen, wie eine arme Taglöhnerin in den Städten von Morgens drei bis Abends sieben und acht Uhr am Waschtroge steht und wäscht, bis ihr die Haut von den Fingern geht — wie andere die größten Lasten Holz, Wasser in die vierten und fünften Stockwerke der Häuser hinaufschleppen. Sie haben an die Handarbeiterinnen nicht gedacht, die oft in dumpfen, düstern Löchern täglich zwölf bis vierzehn Stunden arbeiten, die kaum an einem Sonntage die liebe Sonne zu sehen bekommen. Wahrlich, es kann kein härteres Loos geben, als das eines armen Europäischen Weibes!

Was sind dagegen die Leistungen der Borneischen Weiber? Sie arbeiten höchst selten auf dem Felde, flechten Matten und Laubwände zur Erbauung der Hütten,[S. 176] besorgen die Kinder, den Haushalt. Sie gehen zur Zeit der Reisernte (und das nur die Dayakischen Weiber) für einige Stunden auf’s Feld, schneiden da ein Körbchen voll mit Reisähren[34] und tragen es heim. Was für Matten und Laubwände nöthig ist, schafft der Mann nach Hause; die Weiber sitzen im schattigen, luftigen Vorplatze und arbeiten nach Belieben; kein Mensch treibt sie an. Wird die Sache nicht heute fertig, so wird sie es morgen oder übermorgen. Die Kinder machen ihnen nichts zu schaffen: die laufen nackt umher, und thun was sie wollen; hat ein Weib einen Säugling, so bleibt es ganz zu Hause. Was die Küche betrifft, so wird sie bei den Chinesen von den Männern beschickt, und bei den Dayakern und Malaien sieht das Feuer selten etwas anderes als Reis. Um das Vieh brauchen sie sich nicht zu bekümmern: die Schweine und Hühner müssen sich ihr Futter größtentheils selbst suchen, und Kühe halten sie nicht. Sie haben ferner kein Hausgeräth zu scheuern, keine Stuben zu reinigen (aller Unrath wird durch den Bambusboden geworfen), und das Waschen und Flicken der Wäsche und Kleider raubt ihnen auch nur wenig Zeit, da sie nichts weiter tragen, als einen einfachen Sarong.

[S. 177]

Diesen angestrengten Arbeiten wollen die mitunter so gefühlvollen Europäer das frühe Altern der Weiber zuschreiben. Ich möchte es mehr als Folge des frühen Heirathens betrachten, das bei Mädchen oft schon im elften oder zwölften Jahre stattfindet.

[28] In den holländischen Besitzungen gibt es Papiergeld (Recepisse), Kupfer (Deut), Silber (Rupie). Ein Recepisse hat den Werth einer Rupie und enthält 120 Deut. Zwölf Recepisse machen ein Livre Sterling. — Man rechnet auch nach Kupfer-Gulden à 100 Deut; es ist dieß aber eine imaginäre Münze.

[29] Madura, eine Insel, gehört zur Regentschaft von Java.

[30] Pangerong ist gleich Panam-Baham mehr als Rajah und weniger als Sultan.

[31] Kühe findet man nur bei den Europäern, höchst selten bei den Eingebornen. Letztere halten mitunter Ziegen.

[32] Später bemerkte ich dasselbe im ganzen Archipel.

[33] Wer meine erste Reise um die Welt gelesen hat, wird sich vielleicht erinnern, daß ich zu Singapore auf einer Tigerjagd war, auf welcher, statt eines Tigers, eine Boa getödtet wurde. Wir brachten sie zu Chinesen auf eine Pfefferpflanzung. Die Leute zogen ihr die Haut ab, kochten und aßen sie. Ich kostete von diesem seltsamen Gerichte und fand es wirklich höchst schmackhaft.

[34] Auf Borneo werden die Aehren ganz oben an dem Ende der Stängel abgeschnitten, das Stroh wird auf dem Felde verbrannt.

[S. 178]

Sechstes Kapitel.

Batavia. — Sehenswürdigkeiten. — Chinesisches Schauspiel. — Buitenzorg. — Vorstellung bei dem General-Gouverneur Typanas. — Besteigung des Pangerangs. — Bandong. — Die Theepflanzung. — Die Kaffeemühle. — Der Schwefelkrater. — Rückkehr nach Batavia. — Ausflug nach Tangerang. — Volksbelustigungen.

Am 29. Mai, nach einer Reise von 7 Tagen traf ich glücklich zu Batavia ein (400 Meilen von Pontianak).

Von der Rhede aus sieht man wenig von der Stadt, nichts von den Wohnhäusern der Europäer; es zeigt sich blos eine ungemein große, fruchtbare Ebene, von schönen Gebirgen umgeben.

Die Fahrt von der Rhede nach der Stadt (drei Meilen) muß man in der Regierung gehörigen Booten machen und dafür 3 Rupien bezahlen. Ein Schiffskapitän kann zwar sein eigenes Boot gebrauchen, muß aber für dieses Recht dieselbe Taxe entrichten. Auch die Waaren können nur in Regierungsbooten befördert werden.

Für einen Wagen von dem Landungsplatze nach der Stadt hat man ebenfalls drei Rupien zu bezahlen,[S. 179] für jedes Stück Gepäck eine halbe Rupie, in allem, die Trinkgelder mitgerechnet, 9 bis 10 Rupien, — eine Summe, für welche man in dem theuern Calcutta viermal an’s Land gehen kann.

Ich stieg im Hôtel Neederland bei Herrn Hovesand ab. Doch schon am folgenden Morgen besuchte mich der Resident Herr van Rees, an welchen ich von Sambas einen Empfehlungsbrief mitgebracht hatte, lud mich auf die herzlichste Weise in sein Haus ein und ließ mich noch denselben Tag abholen. Seine Gemahlin, eine der gebildetsten und liebenswürdigsten Frauen, empfing mich nicht minder freundlich als ihr Gemahl, und somit ging mein Eintritt in Batavia auf die leichteste und angenehmste Art vor sich.

Herr Hovesand nahm durchaus keine Bezahlung von mir an, obwohl ich in seinen Wagen gefahren, seine Kully benützt hatte. Er bat mich, ihm die Freude, eine so große Reisende wie mich beherbergt zu haben, nicht durch eine Vergütung zu verderben.

Batavia hat eine Bevölkerung von ungefähr 100,000 Seelen, darunter 2000 Europäer und mehr als 20,000 Chinesen[35]. Die Stadt ist nicht hübsch, die Häuser sind klein und unansehnlich und besonders[S. 180] in dem Chinesischen Theile sehr nahe an einander gebaut. Die Europäer haben nur ihre Comptoirs in der Stadt; sie wohnen außerhalb derselben in Landhäusern. Die vornehmsten und nächstgelegenen der von den Europäern bewohnten Plätze heißen: Koningsplein, Waterlooplein, Cramat und Ryswick. Die beiden ersten besitzen große, schöne Wiesen von Baum-Alleen umgeben, unter welchen man Abends spazieren fährt und reitet. Die Waterloo-Wiese ist mit einer Säule geschmückt, „Waterloo-Säule“ genannt. Auf Waterlooplein wohnen die Offiziere. Es steht hier auch ein großes Regierungsgebäude, einen Sitzungssaal und Kanzleien enthaltend. Nahebei sind die öffentlichen Schulen und das Theater. Unter den übrigen öffentlichen Gebäuden sind noch bemerkenswerth: die protestantische und die katholische Kirche, die Polizei, das Museum, die Harmonie, das Militär- und das Chinesische Hospital. Das Posthaus war eben im Baue begriffen. Der Palast des Gouverneur-Generals ist unbedeutend. Der eigentliche Wohnsitz des Gouverneurs ist zu Buitenzorg (36 Meilen von der Stadt). Nach Batavia kommt letzterer jeden Monat nur auf einige Tage, um Audienzen zu ertheilen, Sitzungen zu halten, Diners und Bälle zu geben.

Die Häuser der Europäer haben meistens ein sehr bescheidenes Ansehen; die wenigsten besitzen ein Stockwerk.[S. 181] Die schönste Zierde der Häuser in tropischen Ländern, die terrassenförmige Bedachung, fehlt ihnen; sie haben im Gegenteile schwere Dächer mit großen Vorsprüngen, die Fenster und Thüren überschatten. Dagegen besteht das Innere aus großen, hohen Gemächern und Sälen. Die Böden sind mit Matten belegt. Das Freundlichste an diesen Häusern ist, daß sie beinahe alle in Wiesen oder niedlichen Blumengärten liegen, die nicht wie in Calcutta oder Bombay von dicken Mauern, sondern von lebendigen Hecken oder zierlichen Staketen umfaßt sind. Dies gibt einer Spazierfahrt einen unendlichen Reiz; man meint in einem großen wohlgeordneten Parke zu sein.

Ich hatte viel von dem außerordentlichen Luxus auf Batavia sprechen gehört. Ich würde ihn vielleicht auch groß gefunden haben, wäre ich nicht in Brittisch-Indien gewesen. Wer aber je den Luxus an Gebäuden, Equipagen, Dienerschaft u. s. w. in Calcutta gesehen hat, kann durch nichts ähnliches mehr überrascht werden.

Lächerlich fand ich in Batavia die Kleidung der Diener. Die Holländer scheinen die Europäische Tracht so überaus schön zu finden, daß sie ihre Dienerschaft (alles Malaien) damit beglücken. In einem der vornehmsten Häuser sah ich die Diener in reich betreßten Livrée-Röcken, in elegante Beinkleider gesteckt; dabei[S. 182] gingen sie aber mit bloßen Füßen und hatten um den Kopf das landesübliche Tuch gewickelt. Welch komisch-sonderbaren Anblick diese verkleideten Orangutangs gewährten, kann man sich kaum vorstellen, besonders wenn sie auf ihre dunkelbraunen, mit dem Tuche umwickelten Köpfe noch den geschmackvollen Europäischen Hut setzten.

Die Lebensweise der Europäer ist hier so ziemlich dieselbe, wie in Brittisch-Indien. Ueberall findet man einen Schwarm von Dienern, von welchen einer dem andern im Nichtsthun behilflich ist. Die Frauen tragen den Tag über den Sarong und die Cabay der Eingebornen. Abends erscheint alles in Europäischem Putze. In allen Häusern wird Nachmittags einige Stunden der Ruhe gepflegt.

Batavia soll in früheren Zeiten sehr ungesund gewesen sein; jetzt ist dies weniger der Fall, da viele der es umgebenden Sümpfe trocken gelegt wurden.

Die Holländer, besonders die Männer, vertragen das Indische Klima weit besser als die Engländer. Ich sah viele Herren, die 15 bis 20 Jahre unausgesetzt in Java lebten und so blühend aussahen, als hätten sie Europa nie verlassen. Weniger gut ertragen es die Frauen, was vermutlich auch von dem zu frühen Heirathen herrührt. Die Regierung sah sich deshalb veranlaßt das Gebot zu erlassen, daß Mädchen[S. 183] (natürlich nur die Europäischen) nicht unter 15 Jahren heirathen dürfen. — Die Kinder werden nicht so häufig nach Europa gesandt, als dies in Brittisch-Indien der Fall ist. Die Mädchen erzieht man häufig ganz im Lande; die Jungen ist man gezwungen nach Europa zu senden, wenn man sie zu Beamten oder Offizieren bestimmt, da kein in Indien erzogener Jüngling ein höherer Beamter oder Offizier werden kann, besäße er auch im höchsten Grade alle hiezu nöthigen Kenntnisse.

Ob Java gesünder ist als Brittisch-Indien, oder ob die minder schwere Kost, die minder starken Getränke Ursache der besseren Gesundheit der Holländer sind, wage ich nicht zu unterscheiden; ich würde jedoch für letzteres stimmen.

Das Leben ist in Batavia wenigstens um einen Fünftheil, wo nicht um ein Vierttheil theurer als in Calcutta.

Leider herrscht auf Java noch Sklaverei; doch ist sie nicht drückend. Der Eigenthümer darf keine Strafe über seinen Sklaven verhängen, und letzterer kann so gut wie ersterer seine Klage führen. Der Sklave erhält nebst vollkommenem Unterhalte zwei Kupfergulden per Monat für Siri. Es dürfen keine Sklaven eingeführt werden; allein die Abkömmlinge der Sklaven bleiben stets Sklaven. Dieses Gesetz gibt zu häufigen[S. 184] Betrügereien und Verfälschungen Anlaß, in welchen die Chinesen besonders raffinirt sind. Stirbt ihnen nämlich ein Sklavenkind, so suchen sie an dessen Stelle ein elternloses, freies Kind zu unterschieben, um auf diese Art den erlittenen Verlust zu ersetzen. Ein gesunder Sklave, der nichts anderes als Stärke besitzt, kostet 400 Rupien; ein Koch, eine Köchin 6 bis 800.

Zum Lobe der Holländer muß man sagen, daß sie nicht selten ihren Sklaven die Freiheit schenken, und zwar nicht nur wenn sie Indien auf immer verlassen, sondern oft auch ohne besondere Veranlassung, aus reiner Menschenliebe. So hatten z. B. Herr und Frau van Rees am ersten Januar dieses Jahres allen ihren Sklaven die Freiheit geschenkt; aber keiner verließ ihr Haus — sie baten alle, daß man sie behalten möchte. Dieselbe schöne Handlung vollführte Frau Overhand, Witwe des Residenten Overhand; auch ihre Sklaven baten, in ihren Dienste verbleiben zu dürfen.

Die meisten öffentlichen Gebäude und Anstalten besuchte ich in Gesellschaft des Herrn van Rees.

Wir machten den Anfang mit dem Chinesischen Hospital, das im Jahre 1799 mit chinesischem Gelde erbaut wurde. Die Holländische Regierung hatte die Chinesen zu diesem Zwecke zu einer jährlichen kleinen Abgabe verhalten, deren Betrag mit der Zeit eine so große Summe bildete, daß man dieses schöne Gebäude[S. 185] damit herstellen konnte. Es ist mit Europäischen Aerzten, mit eingebornen Aufsehern und Wärtern versehen und enthält, außer den großen Krankenzimmern, Abtheilungen für Irrsinnige. Als ich die Anstalt besuchte, gab es 147 Kranke und 68 Irrsinnige. Wir traten in jedes Krankenzimmer, und bei dieser Gelegenheit lernte ich die wahre Herzensgüte des Residenten kennen und bewundern. Er trat an die Krankenbetten, sogar an jene der Aussätzigen, die über alle Beschreibung ekelhaft aussahen, deren Athem und Ausdünstung verpestet war, frug sie nach ihrem Befinden und sprach ihnen Trost zu. Kindern voll Geschwüren und Ausschlägen klopfte er freundlich auf die Backen, lachte und scherzte mit ihnen so recht wie ein gemüthlicher Vater. Ich muß zu meiner Schande gestehen, daß ich mich stets einige Schritte entfernt hielt, und daß es mir schwer gefallen wäre, sein edles Beispiel nachzuahmen.

Das allgemeine Hospital ist das vollkommenste, das ich je sah. Ein Kranker kann in einem wohleingerichteten Privathause nicht besser aufgehoben sein. Die Säle sind luftig, hoch und außerordentlich rein gehalten, die Betten vortrefflich, die Kranken, so wie die Genesenden bis zu ihrem Austritte in blendend weiße Wäsche gekleidet. Sobald ein Kranker eintritt, wird seine Wäsche und Kleidung bewahrt bis zur Stunde des Austrittes; man sieht den Genesenden nicht in[S. 186] seinen schmutzigen, oft zerrissenen Kleidern umhergehen. Die Offiziere erhalten jeder ein eigenes schönes Zimmer in einer ganz abgesonderten Abtheilung. Wir kamen so zeitlich des Morgens, daß wir der Austheilung des Frühstückes beiwohnten. Die Europäischen Kranken erhielten sehr guten Kaffee mit Zucker, Milch und Weißbrode. Die Eingeborenen ziehen ihre Nahrung der Europäischen vor: sie bekommen Reis, Gemüse, Fische, Fleisch u. s. w. Man führte uns auch in die Badeanstalt und die Vorrathskammern. In letzteren waren Leib- und Bettwäsche im reichsten Maße aufgestapelt; auch gab es die größten Vorräthe an feinen und frischen Lebensmitteln und Getränken, an Bandagen, Arzneien und medizinischen Instrumenten aller Art. In einem Saale werden Theile des menschlichen Körpers, die von seltenen Krankheiten ergriffen waren, in Spiritus bewahrt. In einem Glaskasten lag das ganze Skelett eines Matrosen, der von der Spitze eines Mastes herabgestürzt war. Er hatte sich, außer 10 mehr oder minder gefährlichen Knochenbrüchen, das Rückgrad gänzlich gebrochen, und wurde trotzdem durch die Kunst und Sorgfalt des Doktor Enthoffer (den ich auf Sambas kennen gelernt hatte) sechs Wochen lang am Leben erhalten.

In diesem Hospitale werden auch eingeborne Jünglinge, Mädchen und Weiber in einigen Zweigen[S. 187] der medizinischen Wissenschaft unterrichtet. Erstere werden zu Gehilfen der Aerzte herangebildet. Man bringt ihnen Kenntnisse vom menschlichen Körper bei, lehrt ihnen zur Ader zu lassen, Beinbrüche einzurichten u. s. w. Sie werden dann im Innern des Landes angestellt an Plätzen, die von ärztlicher Hilfe weit entfernt sind. Die Mädchen und Weiber lernen den Hebammen-Dienst.

Man war so gefällig, in meiner Gegenwart einige Fragen an die jungen Leute zu stellen, die sie richtig und ohne lange nachzudenken, beantworteten. An dem menschlichen Skelette, das in ihrem Lehrsaale stand, wußten sie alle Theile zu benennen und zu erklären. Nicht minder unterrichtet fand ich die weibliche Jugend, was mich um so mehr in Erstaunen setzte, als das weibliche Geschlecht in diesen Ländern durchaus an kein Lernen und Schulgehen gewöhnt ist. Die Mädchen und Weiber sind während der Zeit der Lehre (zwei Jahre) halbe Gefangene; sie kommen nie aus dem Bereiche ihrer Lehrsäle und Wohnungen und dürfen nur weibliche Besuche empfangen. Die Jünglinge können einige Stunden des Tages ausgehen. Es soll sich selten ereignen, daß einer der Zöglinge vor der Zeit austritt. Sie lernen fleißig und begreifen leicht.

Das Museum bietet, außer einigen Mineralien und vielen Gottheiten von Bali, nichts Sehenswerthes.[S. 188] Die vierfüßigen Thiere, Insekten, Reptilien u. s. w. sind in diesem Klima dem Verderben zu sehr unterworfen, und werden nach Holland geschickt.

Das Regierungsgebäude auf dem Waterloo-Platze besitzt einen großen Sitzungssaal mit den Bildnissen aller Holländischen Gouverneur-Generale. Ich ging hauptsächlich in dieses Gebäude, um eine Sammlung Handzeichnungen zu besehen, die ein Landsmann von mir (ein Wiener, Herr Wilson) auf Befehl der Regierung von den alten, herrlichen Hindu-Tempeln im Innern Java’s aufgenommen hat. Der Anblick der Zeichnungen erweckte in mir die höchste Begierde, diese Kunstwerke in Wirklichkeit zu sehen; allein ich schmeichelte mir nicht, so weit zu kommen: die Kosten einer Reise auf Java waren meiner Börse zu sehr überlegen.

Auch die Gefängnisse besuchte ich und fand die Leute ungleich besser gehalten als bei uns in Europa. Sie bewohnen luftige, reine Gemächer und erfreuen sich des Anblickes der Sonne in kleinen Gärten, die zu den Gefängnissen gehören. Zweimal des Tages erhalten sie große Portionen Reis nebst Fischen oder Gemüsen, und zweimal in der Woche Fleisch. Sie sind nicht gefesselt und entbehren nicht einmal ihres geliebten Siri. Ich glaube kaum, daß irgend ein anderer Staat mit seinen Verbrechern so human umgeht.

[S. 189]

Das Theater besuchte ich nicht; meine Garderobe war auf Reisen selten so eingerichtet, um an Orten zu erscheinen, wo sich der Europäer im höchsten Putze und Glanze zeigt. Auch interessirte es mich wenig, ein oft gesehenes Europäisches Schauspiel, eine oft gehörte Oper in einem fremden Welttheil wieder zu sehen; ungleich größeren Reiz hatte für mich ein Chinesisches Schauspiel (Taping genannt, wenn ich mich recht entsinne), das der Chinesische Major[36] auf Veranlassung des unermüdet für mich besorgten Residenten mir zu Ehren gab.

Der Major hielt, wie es unter den reichen Chinesen sowohl hier als in China üblich ist, eigene Tänzerinnen, die zugleich Schauspielerinnen sind und die Rollen beider Geschlechter vorstellen. Die Bühne, eine kleine, erhöhte, hölzerne Bude, war dem Hause des Majors gegenüber auf der Straße aufgeschlagen, so daß jeder Vorübergehende an der Unterhaltung Theil nehmen konnte. Wir genossen nebst den übrigen Gästen den Anblick von dem Balkon und den Fenstern des Hauses.

Das Stück wurde von sechs Schauspielerinnen aufgeführt und schien eine Art Kriegs-Drama zu sein; man sah beständig ein Paar Soldaten, oder Offiziere, oder Feldherren auf den Brettern. Nebst diesen Helden[S. 190] erschienen auch zwei Damen, die häufig weinten und jammerten. Das schönste von der ganzen Vorstellung waren die Gefechte zweier Krieger mit Bogen und Stöckchen, und die Evolutionen, welche vier Krieger mit Lanzen machten. Den Text schrieen sie eintönig und gefühllos mit abscheulich quikender Stimme herunter. Ihre Bewegungen waren ohne Grazie; im Gegentheil, sie hoben beim Marschiren die Füße so hoch in die Höhe als sie konnten, und setzten sie dann mit sein sollender Kraft auf die Erde nieder, was höchst widerlich und unsittlich sich ausnahm, wenn man bedachte, daß diese Krieger von jungen Mädchen dargestellt wurden. Ihre Anzüge waren außerordentlich reich: schwere Seidenstoffe mit Gold- und bunten Seiden-Stickereien. Geschmacklos aber erschien die Form der Kleider: sie bestanden aus langen Röcken mit weiten Aermeln und aus kurzen Beinkleidern.

Das Stück hatte 4 Akte, von welchen jedoch einer dem andern so vollkommen glich, daß man die letzten drei für Wiederholungen des ersten halten konnte.

Nach dem Theater wurden wir zu einer reich besetzten Tafel geführt, bei welcher es weder an dem beliebten Trippang, noch an den theuern, von den Chinesen so hoch geschätzten Schwalbennestern fehlte. Trippang und Schwalbennester gleichen sehr sulzigen,[S. 191] stark gewürzten Speisen, die mein Europäischer Gaumen durchaus nicht nach seinem Geschmacke fand.

Kaum waren einige Tage seit meiner Ankunft in Batavia verflossen, so erhielt ich eine Einladung nach Buitenzorg von dem Gouverneur-General Herrn Deimar van Twist — eine Auszeichnung, die ich mit großer Dankbarkeit anerkenne und als Fremde doppelt zu schätzen weiß. Ich war wirklich überrascht, die Holländer so ganz anders zu finden, als man sie mir geschildert hatte.

Am 1. Juni fuhr ich in Gesellschaft des Herrn van Rees nach Buitenzorg. Der Weg war herrlich, die Pferde standen auf jeder Post bereit[37]; auf diese Weise machten wir die 35 Paal[38] in 3 Stunden. Je weiter wir uns von der Stadt entfernten, desto reizender ward die Gegend; das Gebirge rückte näher, Berge von 6- bis 10,000 Fuß Höhe stiegen majestätisch empor, unter letzteren der Pangerang (9600), der Gédé (9000). Buitenzorg selbst liegt 800 Fuß hoch.

Der Palast des Gouverneur-Generals ist schön, und besteht aus einem Mittel- und zwei Flügel-Gebäuden.[S. 192] Eine prachtvolle Wiese liegt davor mit Teichen und mit großen, mächtigen, Schatten gebenden Banian-Bäumen. Heerden von Hirschen und Rehen lagerten umher. Im Hintergrunde schloß sich ein ausgedehnter botanischer Garten an.

Da die Vorstellung beim Gouverneur-General erst Abends um 7 Uhr, kurze Zeit vor dem Speisen, stattfinden sollte, hatten wir Zeit, den Garten zu besehen. Er ist sehr groß und außerordentlich geschmackvoll angelegt. Schöne Blumenpartien wechseln mit kleinen Wäldchen, mit Wiesen und Bosketten; Teiche und Bäche schimmern durch das saftige Grün; herrliche Fahr- und Gehwege durchkreuzen sich, und zierliche Bänke laden den ermüdeten Wanderer zur Ruhe ein. Unter den Pflanzen und Bäumen gibt es viel Seltenes und Werthvolles. Herr Teismann, der die Aufsicht über den Garten führt, machte uns besonders auf eine Pflanzung von Vanille (Schlingpflanze) und auf zwei zarte Stämmchen des China-Strauches aufmerksam. Beide wurden erst in der neuesten Zeit von Amerika eingeführt. Der Vanille schien das Klima sehr wohl zu bekommen; ihre Stängel hingen voll großer, saftiger Schoten. Die Schoten werden im grünen Zustande abgenommen, anfänglich in der Sonne, dann in der Luft getrocknet, bis sie stark zusammen schrumpfen und eine ganz schwarze Farbe annehmen.[S. 193] Herr Teismann verehrte mir eine getrocknete Schote, welche der besten glich, die mir je aus Westindien zu Gesichte gekommen war. Minder gut kommt die China-Pflanze fort. Einige Pflanzen waren schon abgestorben, und die noch lebenden zeigten wenig Kraft.

Abends wurde ich dem Gouverneur-General und seiner Gemahlin vorgestellt. Der Gouverneur-General führte mich zu Tische.

Ich hatte von aller Welt diesen Herrn als höchst ernst und wortkarg schildern gehört. Ein tiefes, ernstes Nachdenken sprach allerdings aus seinen Zügen; aber wortkarg fand ich ihn nicht, und selbst der Ernst trat mit jedem Worte mehr in den Hintergrund und machte einer freundlichen, ruhigen Heiterkeit Platz. Sein und seiner Gemahlin Benehmen gegen mich war im höchsten Grade gütig und zuvorkommend.

In den Tagen, die ich in Buitenzorg zubrachte, veranstaltete man Partieen, um mir das Merkwürdigste der Umgegend zu zeigen. Darunter gehörte besonders die Cochenille-Pflanzung des Grafen van der Bosch und die Schwalbengrotte, aus welcher die Chinesen ihre kostbarsten Leckerbissen, die Schwalbennester, holen.

Die Besitzung des Grafen van der Bosch, Ponde Gédé, ist in jeder Hinsicht als eine Musterwirthschaft aufzustellen. Der Graf ist selbst ein verständiger[S. 194] und eifriger Landwirth und bemüht, jeden Zweig seiner Oekonomie zur Vollkommenheit zu bringen. Die Cochenille macht nur einen kleinen Theil seiner Pflanzungen aus; er baut Reis, Zucker, Kaffee, u. s. w.

Für mich hatte die Cochenille-Pflanzung das meiste Interesse; ich verweilte da am längsten, um so mehr, als mich Herr Direktor Meyer selbst herumführte und mir über alles die genaueste Auskunft ertheilte. Was ich hierüber schreibe, habe ich aus seinem Munde.

Der Nopal[39] und die Cochenille wurden schon vor 24 Jahren aus den Spanisch-Westindischen Besitzungen nach Java überbracht. Von den vielen Insekten, die man mit der Nopal-Pflanze mitgenommen hatte, kamen aber nur zwei lebend an. Der glückliche Zufall wollte, daß sie verschiedenen Geschlechtes waren.

Das höchste Erstaunen erregt die rasche Fortpflanzung dieses Insektes, denn schon seit Jahren liefert Java 150 bis 200,000 Pfund, und bei wiederholter Zählung hat es sich ergeben, daß 33,000 Cochenillen der größeren Sorte erst ein Pfund ausmachen.

Bei einer Anlage von Nopal werden gesunde Blätter oder Pflanzen mit dem untern Theile in die[S. 195] Erde gesteckt. Nach Verlauf eines Jahres hat sich schon ein kleiner Stamm mit mehreren Blättern gebildet; im dritten Jahre kann die Pflanze bereits bevölkert werden. Zur Bevölkerung bedient man sich kleiner Hütchen, die von den Blättern des Cactus gemacht sind. In diese Hütchen setzte man fünf bis sieben Insekten, bringt sie so auf das Blatt des Nopal und befestiget das Hütchen mit einem kleinen Dorne. Eine Nopal-Staude zählt an 300 Blätter; man setzt jedoch nicht mehr als 70 bis 80 Hütchen darauf und ist im westlichen Java schon sehr zufrieden, wenn durchschnittlich vier Pflanzen ein Pfund lebendiger Cochenille geben; im östlichen Java erzielt man dieselbe Menge gewöhnlich von drei Pflanzen.

Die Pflanzen werden nach der Bevölkerung entweder unbedeckt gelassen oder mit einem leichten Blätterdache überdeckt. Auf erstere Art gedeiht die Fortpflanzung nur bei anhaltend trockener Witterung, auf letztere kann sie beinahe das ganze Jahr hindurch statt haben. Nach der gewöhnlichen Regenzeit vertraut man der Witterung schon im Monat April. Allein in dem westlichen Theile von Java, wo es oft in der guten Jahreszeit regnet, kann man die Pflanzen, wenn man sie nicht bedeckt, zuweilen sechs- bis neunmal bevölkern, ohne eine gute Ernte zu erzielen.

Wenn das Insekt geboren hat, so stirbt es. Die[S. 196] Neugebornen kriechen auf den Blättern umher, setzen sich aber bald irgendwo fest und bleiben dann auf derselben Stelle, ohne mehr eine Bewegung zu machen. Ist die Cochenille abgenommen, so wird sie in sehr stark geheizten Zimmern (165 bis 175 Grad Fahrenheit) getrocknet. Die Trockenzimmer werden mittelst eiserner Röhren geheizt; die sich bildenden Dämpfe ziehen durch eine Oeffnung in der Wand ab. Hundert Pfund frischer Cochenille geben in getrocknetem Zustande 32 bis 33 Pfund, nebst zwei bis drei Pfund Staub. Dieser Staub, mit welchem das Insekt umgeben ist, scheint ein Beschützungsmittel gegen Kälte und Regen zu sein. Das Insekt hat eine weißgrauliche Farbe; befreit man es aber durch langsames Reiben von dem Staube, so ist es schwarz.

Seit einigen Jahren sind die Preise der Cochenille sehr gesunken. Die Niederländische Faktorei zahlt gegenwärtig (Packung und freie Sendung an den Einschiffungsplatz einbegriffen) pr. Pfund erster und zweiter Sorte zwei Rupien, für den Ausschuß per Pfund gar nur 85 Deut.

Die große Schwalbengrotte, in welcher Tausende dieser Thiere nisten, liegt ungefähr zwölf Paal von Buitenzorg. Sie ist nebst den umliegenden Ländereien an einen Chinesen verpachtet, der für Grotte und Land jährlich 100,000 Rupien bezahlt. Der Pächter[S. 197] führte uns selbst in die Grotte, die außerordentlich schwer zugänglich ist. Wir hatten Führer, Fackelträger, Leitern u. s. w. mit uns, konnten aber dessen ungeachtet nicht tief in das Innere dringen. Es wurde nach einigen Nestern gesucht, die man mir zum Geschenke machte. Sie waren von weißlicher Farbe mit einigen Federn untermengt und so klein, daß ich kaum begriff, wie der Vogel, der von der Größe einer gewöhnlichen Schwalbe ist, darin allein, viel weniger mit seinen Jungen Platz haben konnte. Man vermuthet, daß die Nester aus Seetang bestehen, denn gewöhnlich nistet diese Schwalbenart in Höhlen und Grotten unweit der See, d. h. wohl auch 30 und 40 Paal landeinwärts, jedoch nicht weiter.

Alle drei Monate werden die Nester geerntet, von den Federn sorgfältig gereinigt und an der Luft getrocknet. Es gibt verschiedene Sorten. Je weißer, je mehr von den Federn gereinigt sie sind, desto höher ist der Preis. Sie von den Federn gänzlich zu reinigen, ist nicht immer möglich, da diese mit dem Seetang oft so verschlungen sind, daß man sie nicht losbringen kann. Der Pikul dieser Nester kostet auf Java von vier- bis siebentausend Rupien. Man rechnet auf zwei Loth drei Nester; per Stück kosten sie an Ort und Stelle ein bis zwei Rupien. Der Pächter dieser Grotte erntet jährlich ungefähr zwölf Pikul.

[S. 198]

Der Gouverneur-General machte mir die freudige Ueberraschung, mir Postpferde bis Bandong (Residentschaft Preanger) zu gestatten. Es war dieß eine große Auszeichnung, denn der jetzige Gouverneur-General erlaubt die Postpferde so leicht nicht unentgeltlich[40].

Am 11. Juni verließ ich Buitenzorg, ging aber diesen Tag nur 10 Paal zur Familie Böck, bei welcher ich zwei Tage höchst angenehm verlebte. Man bot hier alles auf, mir gefällig zu sein, ja, als man meine Neigung für Insekten sah, half mir die ganze Familie suchen. Dank, herzlichen Dank ihnen, wie meinen übrigen Freunden auf Java, deren Theilnahme und Güte ich nie vergessen werde! —

Am 13. Juni ging ich ebenfalls nur wieder 11-12 Paal weiter nach Typanas, einem Sommerhause des Gouverneur-Generals. Der Weg führt über[S. 199] den 4710 Fuß hohen Berg Mega-Mendongo. Beinahe auf der Spitze des Berges, ¼ Paal seitwärts von der Straße, liegt ein kleiner See, der werth ist besucht zu werden. Er befindet sich mitten in schönen Waldungen und füllt einen eingesunkenen Krater aus. Sein Durchmesser mag kaum ¼ Paal betragen. Hoch um den See steigen die Wände des Kraters so steil empor, daß sie schwer zu erklimmen wären; von einer einzigen Seite kann man sich ihm nahen, wo die Wand von der Natur selbst gespalten wurde. Die Wände sind bis an die Spitzen mit herrlichem Grün und schönen Bäumen bewachsen. Das Wasser des Sees sieht ganz dunkel aus; dieß mag sowohl von der hohen Einfassung, als von den ihn beschattenden Bäumen herrühren.

Die Aussicht, die man von dem Mega-Mendongo genießt, gehört zu den schönsten von Java. Auf der einen Seite hat man die majestätischen Gebirge, im Hintergrund die großen, reichbebauten Ebenen von Buitenzorg und Batavia, vor sich die Residentschaft Preanger, die, von Hügelketten, Felspartieen und einzelnen Bergen unterbrochen, zu den fruchtbarsten und kultivirtesten Java’s gehört, was sehr viel sagen will, da auf der ganzen Insel die reichste Cultur mit der verschwenderischen Natur wetteifert.

Zu Typanas war in dem Sommerhause des[S. 200] Gouverneur-Generals Vorsorge für meinen Empfang getroffen. Dieser Ort liegt 3400 Fuß über der Meeresfläche und besitzt ein halb Europäisches Klima; ich fand in den Gemächern Kamine, ja sogar eiserne Oefen. In den großen Gartenanlagen werden Europäische Gemüse und Früchte gezogen.

Ich sollte von hier aus den 9600 Fuß hohen Pangerango besteigen, eine sehr geringe Mühe, da man bis auf die Spitze reiten kann. Auf dem Wege gibt es zwei Stationen, das heißt, zwei hölzerne Hütten, bei welchen man anhält, um die Pferde ruhen zu lassen oder gegen vorausgesandte zu wechseln. Eine dritte Hütte steht 150 Fuß unter der Spitze des Berges. Diese Hütten sind für die Gärtner von Buitenzorg und Typanas errichtet, welche von Zeit zu Zeit verschiedene auf dem Berge angelegte Pflanzungen zu besuchen haben.

Ich fand auf jeder Station frische Pferde und erreichte in 4 Stunden die Spitze des Berges, auf welcher ein Flaggenstock errichtet ist. Leider hat man hier selten eine freie Umsicht; die häufigen Nebelzüge verdecken alles rund umher. Ich mußte halb unverrichteter Sache wieder herabsteigen und quartirte mich in der nahegelegenen Hütte ein. Im Herabsteigen erquickte ich mich an Erdbeeren, mit welchen große Räume bepflanzt waren.

[S. 201]

Die Hütte, dem Verfalle ziemlich nahe, bestand aus einem großen Gemache und aus drei Kämmerchen. An Einrichtung war gerade kein Ueberfluß: zwei gebrechliche Tische nebst drei Stühlen zierten den Saal, eine mit Moos belegte Schlafstelle jedes der Kämmerchen. Das beste in der Hütte war ein eisernes Oefchen, das ich gleich in Anspruch nahm und das mir besonders Abends treffliche Dienste leistete, da der Thermometer bis auf 44 Grad (Fahrenheit) fiel. An Speisen, Getränken, Bettzeug u. s. w. fehlte es nicht, das war alles im Ueberflusse vorausgesandt worden, und so lebte ich in der Mitte dichter Urwälder, auf einer Höhe von beinahe 10,000 Fuß so luxuriös wie in Batavia selbst.

Der Berg ist durchaus dicht bewaldet, nur die höchste Spitze, ungefähr 100 Fuß nach abwärts, ist kahl. Er liefert schöne Exemplare von Föhren, von 20 Fuß Höhe. Alle Bäume sind mit einer auffallend dichten Moosdecke bekleidet. Anderes Nadelholz sah ich nirgends. Schön und herrlich war alles; aber die Hauptsache fehlte — der schöne, reine Himmel. Wohl sechsmal erstieg ich die Spitze des Berges, und jedesmal kam ich unverrichteter Sache zurück. Ich schlenderte in den Zwischenzeiten im Walde umher und entdeckte da eine bedeutende Spur, die, wie man mir[S. 202] sagte, von Rhinocerossen herrührte. Die Thiere selbst bekam ich nicht zu Gesichte: sie fliehen die Nähe des Menschen so sehr, daß es selbst für Jäger eine große Seltenheit ist, wenn sie eines erlauern.

Von der Spitze des Pangerango übersah man vollkommen den ganzen Krater des nachbarlichen Gédé. Diese beiden Berge sind so enge verbunden, daß man sie für einen einzigen Berg mit zwei Kuppeln halten könnte. Der Krater lag ungefähr 6 bis 700 Fuß unter uns. Wir konnten nicht zu ihm gehen, da erst vor wenig Tagen ein Ausbruch stattgefunden hatte. Noch jetzt stiegen starke Rauchsäulen mit glühender Asche empor, was besonders zur Nachtzeit eine unvergleichlich schöne Wirkung machte. Ein großer Theil der Waldungen des Pangerango war mit Asche bedeckt; wir brauchten, um eines Aschenregens ansichtig zu werden, bloß auf die Aeste der Bäume zu schlagen.

Am folgenden Morgen bestieg ich nochmals die Spitze, und siehe da — meine Unermüdlichkeit ward belohnt, der Horizont war rein und wolkenlos. Ich sah weit über die Gebirgswelt, über zahllose Spitzen und Kuppen, über eingestürzte Kegel und Krater, ich sah die fruchtbaren Ebenen von Buitenzorg und Batavia, das wellenförmige Land von Preanger, ich sah das Meer auf beiden Seiten. Kann solch’ ein Anblick zu theuer erkauft werden? Lebt man in ähnlichen[S. 203] Augenblicken nicht Ewigkeiten? Fühlt man sich da nicht von hohen, edlen Gefühlen durchdrungen — einer bessern, reinern Welt hingegeben?! —

Nach Typanas zurückgekehrt, verweilte ich in dieser schönen Gegend bis 17. Juni, an welchem Tage ich 12 Paal weiter nach Tijand-jur reiste. Die Fahrt dahin gehörte zu den reizendsten. Die Gegend ist zwar minder kultivirt; aber gerade dieser grelle Wechsel ist überraschend. Am folgenden Tage, den 18. Juni, fuhr ich bis Bandong (40 Paal).

Obwohl das Land reich an hohen Bergen ist, sah ich doch keinen einzigen schönen Fluß; ich kam nur über Bäche, die sich durch tiefe Schluchten, über Felsgestein den Weg bahnten und bloß bei hohem Wasserstande, zur Regenzeit, mit Bambusflößen befahren werden können. Die Ursache, daß es auf Java keine bedeutende Ströme gibt, liegt in der geringen Breite der Insel.

Auffallend war es mir, in diesem trefflich kultivirten Lande, wo man die Menschenhand schon so gut zu verwenden wußte, so häufig Menschen die Dienste der Lastthiere verrichten zu sehen. Alle Lasten z. B. werden durch Kulli getragen, mag die Entfernung auch über 100 Paal sein. Der Träger erhält per Paal 1½ Deut und trägt 80-90 Pfund mittelst einer Stange, die auf der Achsel ausruht. Es gibt für die[S. 204] Kulli Ablösestationen wie für die Pferde. In jeder Ortschaft muß täglich eine gewisse Anzahl bereit sein, um für diesen Preis zu gehen. Man kann ihnen unbedingt alles anvertrauen. Die Gouvernements-Güter, Kaffee, Zucker, Salz u. s. w. allein werden in Karren befördert und von Büffeln gezogen. Die Wege[41] sind aber so schlecht, besonders bei Regenwetter, daß der Karren bis über die Achse in Koth sinkt und man einem Paar Büffel höchstens acht Pikul aufladen kann.

Ich selbst hatte heute Gelegenheit zu sehen, wie die Menschen hier nicht nur die Stelle der Last-, sondern auch jene der Zugthiere vertreten. Ueber den ersten Fluß, den ich zu passiren hatte, führte eine Brücke, zu welcher der Weg sehr steil abwärts ging. Die Pferde wurden ausgespannt, und ein Paar Dutzend Männer traten an ihre Stelle, um den Wagen sicher an die Brücke zu geleiten. Ueber den zweiten Fluß führte keine Brücke: da mußten sie den Wagen gar durch das Wasser ziehen, während die Pferde und Vorspanns-Büffel leer daneben gingen. Welche Widersprüche in den verschiedenen Ländern! Auf Java, wo Futter für Pferde und Ochsen im Ueberflusse gedeiht,[S. 205] dient der Mensch als Lastthier — in Island, wo man das Gras beinahe mit der Loupe suchen muß, würde kein Mensch zu Fuße gehen, viel weniger die Dienste eines Thieres verrichten.

Das Reisen mit Post-Pferden geht auf Java sehr schnell von statten; die Pferde stehen auf jeder Station bereit und man fährt rasch. Ich hätte hier, wie in Rußland, das Trinkgeld oft lieber gegeben, wenn man etwas langsamer gefahren wäre, vorzüglich über die Berge und Hügel, wo die Wege häufig voll Löcher und großer Steine waren. Aber gerade wenn eine Anhöhe kam, wurden die Pferde durch Peitschenhiebe und das Geschrei der Führer so angespornt, daß es noch schneller ging, als in der schönen Ebene. Triefend von Schweiß, zitternd und athemlos kamen die armen Thiere auf jeder Station an. Mich dauerten sie so sehr, daß mir dadurch ein Theil des Genusses der Reise verloren ging. Ich wollte es nicht leiden; allein man versicherte mich, daß das so sein müsse, daß die Pferde sonst mitten auf der Anhöhe stehen blieben. Die Javanischen Pferde sind nämlich sehr stützig (vielleicht in Folge der schlechten Abrichtung); wenn sie eingespannt werden, wollen sie oft nicht vom Platze, und nur mit vieler Mühe, d. h. durch unzählige Peitschenhiebe und großes Geschrei der Stallknechte und des Kutschers bringt man sie[S. 206] zum Laufen. Zuweilen bleiben sie in der Mitte der Fahrt stehen, worauf ihnen natürlich dieselbe Behandlung zu Theil wird. Hier wäre ein Verein gegen Thierquälerei an seinem Platze.

In der Ebene fährt man mit vier, in den bergigen Gegenden mit sechs Pferden, ohne Unterschied ob eine Person allein, oder ob mehrere im Wagen sitzen. Außer dem Kutscher ist jedem Paar Pferde ein Läufer beigegeben, der zwar nicht die ganze Station durchläuft, doch bei jeder Wendung des Weges, bei Brücken, bei Bergauf- und abfahren an der Seite seiner Thiere sein muß. Ueber Berge oder größere Hügel werden den vier oder sechs Pferden noch zwei oder vier Ochsen vorgespannt.

In keinem Lande vielleicht ist das Reisen mit der Post so theuer wie hier. Eine Station von sechs bis acht Paal kommt, die Trinkgelder nicht gerechnet, auf acht bis zwölf Rupien. An Trinkgelder hat man jedem Laufer 10 Deut, jedem Ochsentreiber bei jedesmaligem Vorspann (was auf einer Station zwei- bis dreimal geschehen kann) ebenfalls fünf bis zehn Deut, dem Kutscher zwanzig Deut zu geben. Man muß die Hand immerwährend in der Tasche haben, um jeden Augenblick die Deute auszutheilen. Würde es nicht viel bequemer sein, alle diese kleinen Summen zugleich mit dem Postgelde entrichten zu können? — Freilich[S. 207] wissen die meisten Reisenden nichts von dieser Unbequemlichkeit; sie haben Diener mit sich, welchen das Geld zu derlei Sachen gegeben wird. Allein ich war stets Herr und Diener in einer Person.

In Bandong (2200 Fuß hoch gelegen) ward ich von dem Assistent-Residenten Herrn Vischer von Gasbeck auf das beste aufgenommen. Ich blieb hier einige Tage, um eine Theepflanzung, eine Kaffeemühle und andere Sehenswürdigkeiten zu besuchen.

Auf dem Wege zur Theepflanzung machten wir einen Abstecher nach dem Wasserfalle Tjurung-Tjeca-pundung. Wir kamen an einen eingestürzten Krater, der sich gleich jenem auf dem Berge Meda-Mendongo in einen See verwandelt hat. Letzterer ist jedoch viel kleiner: seine Länge mißt 134 Fuß, seine Breite etwas weniger. In diesen See stürzt sich von einer 70 Fuß hohen Wand ein leider gar zu bescheidenes Flüßchen, bahnt sich einen Durchgang und schlängelt sich friedlich in dem schönen Thale fort. Die Wände des Kessels sind ebenfalls mit Pisang- und Laub-Bäumen, mit Schlingpflanzen und hohem Grase bewachsen.

Die Theepflanzung ist sehr ausgebreitet und erstreckt sich über viele Hügel und Abhänge. Man sagte mir, daß der gegenwärtige Pächter, Herr Brumsteede, über eine Million Sträuche besäße. Thee und Kaffee gedeihen am besten auf hügligem Grunde. Die Theestauden[S. 208] sind hier niedriger gehalten, als ich sie in der Gegend von Canton gesehen habe; sie mochten zwischen zwei und drei Fuß haben. Man rechnet zehn Stauden auf ein Pfund Thee. Die Bereitung des Thee’s ist sehr vereinfacht und wird mit viel weniger Menschenhänden verrichtet, als in den Chinesischen Fabriken. Anstatt, wie dort, jedes Blatt des grünen Thee’s[42] einzeln zu rollen, nimmt man eine ganze Menge Blätter zusammen, knetet sie leicht durcheinander und läßt sie auf Kupferplatten durch gelinde Feuerhitze trocknen, wodurch sie von selbst auseinanderfallen, aber freilich nicht so schön und gleichmäßig werden wie die gerollten.

Die Theepflanzungen sind auf Java, gleich den Zucker- und Kaffeepflanzungen, Eigenthum der Regierung und werden gewöhnlich auf fünfzehn bis zwanzig Jahre verpachtet. Die Regierung gibt den Pächtern Grund und Boden oder bereits angelegte Pflanzungen (eine Pflanzung erhält sich gegen achtzig Jahre) und sichert ihnen die gehörige Anzahl Arbeiter zu festgesetzten Preisen zu. Der Arbeitslohn ist in dieser, wie in allen von Batavia entfernter gelegenen Residentschaften außerordentlich billig: ein Taglöhner bekommt per Tag zehn Deut, nebst einem Pfund Reis. Letzteres hat[S. 209] hier den Werth von zwei Deut. Zum Pflücken des Thee’s, was die meiste Arbeit macht, werden gewöhnlich Weiber und Kinder verwendet, die natürlich noch billiger sind. Der Pächter erhält von der Regierung per Pfund 75 Deut; man rechnet seinen Gewinn auf hundert Prozent.

Der Javanische Thee soll seine Güte erst durch die Seereise nach Holland erhalten; die Theekenner geben aber jedenfalls dem Chinesischen Thee den Vorzug.

Sonderbar ist auf Java die Weise den Reis zu ernten. Man bedient sich hierzu kleiner Messer, mit welchen jeder Halm einzeln, ungefähr in der Mitte des Stängels, abgeschnitten wird. Die Halmen werden in kleine Büschelchen gebunden und von den Leuten mittelst Stangen auf der Achsel heimgetragen. Jeder, der Lust hat, an der Ernte Theil zu nehmen, kann helfen; sein Lohn besteht in dem fünften Theile von dem was er schneidet.

Mit dem Besuche der Kaffeemühle zu Lembang (8 Paal von Bandong) verband ich einen Ausflug nach dem Schwefelkrater Tangkerbon-prauh, der vier Paal weiter liegt. Da ich mit Regenwetter zu Lembang ankam, und die Parthie nach dem Krater nothwendiger Weise verschoben werden mußte, nahm ich mit großem[S. 210] Danke die Einladung des Herrn Phlippeau, des Inhabers der Kaffeemühle an, einen oder auch mehrere Tage in seinem Hause zu verweilen. Um den düstern Nachmittag nicht ganz unbenützt dahin gehen zu lassen, zeigte mir Herr Phlippeau die Behandlung des Kaffee’s von Anfang bis zu Ende. Ich fand, daß man hier damit bei weitem umständlicher zu Werke ging als in Brasilien. Der Kaffee wird, wie er vom Baume kommt, in Wasserbehältnisse geschüttet und so lange darinnen gelassen, bis die Schale oder Kapsel, in welcher die Bohnen sitzen, so weich ist, daß man sie leicht mit den Händen zerdrücken kann. In diesem Zustande schafft man ihn auf lange Bretterkisten, deren obere Theile mit kleinen Löchern versehen sind, durch welche die Bohnen gerade durchfallen können. Hier wird er so lange mit den Händen gedrückt, gewendet und verarbeitet, bis sich die Bohnen gänzlich aus den Kapseln gelöst haben. Die Bohnen kommen hierauf auf die Trockenplätze und von da in eine große Maschine (die Mühle), wo sie von den sie umgebenden feinen Häutchen befreit werden. Nun erst sondert man die guten Bohnen von den minder guten ab und verpackt sie endlich.

In Brasilien wird der Kaffee nicht in Wasser erweicht, sondern gleich wie er von den Bäumen kömmt,[S. 211] an der Sonne getrocknet, dann leicht gestampft, wodurch sich die Kapsel zu gleicher Zeit mit dem Häutchen von der Bohne löst, hierauf ausgesucht, auf Kupferplatten über leichter Feuerhitze getrocknet und verpackt.

Auf Lembang macht das Kaffeetrocknen große Schwierigkeiten, da die Witterung das ganze Jahr hindurch mehr feucht als trocken ist. Und welch’ ununterbrochener, starker Hitze bedarf nicht der durch und durch geweichte Kaffee, um wieder trocken zu werden!

Die Kaffeemühle zu Lembang ist die größte auf Java; sie soll jährlich gegen 25,000 Pikul reinen Kaffee liefern.

Der Kaffee ist, wie bereits bemerkt, gleich dem Thee, Zucker u. s. w. Monopol der Regierung; nur die Residentschaft Batavia ist hievon ausgenommen: da kann jedermann nicht nur Kaffee, sondern alles bauen, was ihm beliebt, und verkaufen, an wen er will. In den übrigen Residentschaften bebaut die Regierung die ihr angehörigen Ländereien entweder selbst mit Zucker, Kaffee, Thee; oder sie verpachtet sie mit der Bedingung, diese Artikel zu kultiviren und zu festgesetzten Preisen an sie abzuliefern. Den Kaffeebaum bearbeitet sie jedoch vorzugsweise selbst. In Gegenden, die zum Kaffeebaue geeignet sind, muß von den im Umkreise wohnenden Hüttenbesitzern oder Bauern jeder[S. 212] 300 Bäume pflanzen und stets in voller Zahl erhalten. In den ersten drei Jahren bringt der Baum nichts, und der Bauer erhält auch keine Entschädigung für seine Arbeit. In den folgenden Jahren bekommt er per Pikul, wie er den Kaffee in der Kapsel nach der Mühle liefert, achtzig bis hundert Deut. Der Inhaber der Kaffeemühle wird für die Bearbeitung ebenfalls von der Regierung bezahlt; er erhält für jeden Pikul reinen Kaffee zwei Kupfergulden, wobei er, gleich dem Theepflanzer, hundert Prozent gewinnen soll. Man rechnet auf einem Pikul reinen Kaffee’s sechs Pikul in Kapseln. In Gegenden, wo es keine Kaffeemühlen gibt und der Bauer selbst den Kaffee reinigen muß, bezahlt ihm die Regierung per Pikul gereinigten Kaffee’s sechs bis sieben Kupfergulden. Drückend für die Bauern ist es, daß sie mitunter fünfzehn bis zwanzig Paal von den Kaffeegärten entfernt wohnen, und des Jahres hindurch drei- auch viermal auf einen Monat dahin zur Arbeit zu gehen haben. Sie finden wohl Hütten, wo sie schlafen können; aber verpflegen müssen sie sich selbst.

Die Residentschaft Preanger, überhaupt eine der fruchtbarsten Java’s, ist die reichste an Kaffee. Ihr hügeliger, hochgelegener Boden (sie besteht aus einer ausgedehnten Hochebene, 2,200 Fuß über der Meeresfläche) ist dieser Cultur besonders günstig. Man rechnet[S. 213] auf sie sechzig Millionen Kaffeebäume, von welchen fünfunddreißig Millionen unter der Aufsicht des Assistent-Residenten von Bandong stehen. Drei Bäume geben zwei Pfund reinen Kaffee. Nirgends sah ich die Kaffeegärten so rein, schön gehalten und geordnet wie hier.

Am folgenden Morgen ritt ich nach dem Schwefelkrater. Herr Phlippeau war so gütig, mich mit Pferden und Führern zu versehen. Mein Zug vergrößerte sich auf jedem Paal mit Reitern und Fußgängern so, daß ich am Ende gewiß über dreißig Leute in meinem Gefolge hatte. Es herrscht nämlich in vielen Gegenden Java’s die Sitte, daß, wenn eine Person, die man auszeichnen will, durch ein Dorf kommt, der Richter nebst mehreren Inwohnern sie eine große Strecke weit begleiten. Mir erzeigte man diese Ehre aus Rücksicht für Herrn Phlippeau und für den Assistent-Residenten.

Komisch ist auch die Art, auf welche die Eingebornen im Gebiete Preanger den Vorgesetzten und den Europäern ihre Hochachtung bezeigen. Sie hocken sich auf die Erde und zwar in derselben Richtung, in der sie gerade sind, so daß man von dem Einen den Rücken, von einem Andern die Seite, von einem Dritten das Gesicht zu sehen bekommt. Sind sie zu Pferde, so steigen sie ab, führen das Pferd zur Seite[S. 214] und hocken sich daneben nieder. Auch in anderen Theilen Java’s bemerkte ich diese Sitte.

Ein ziemlich guter Weg führt zu dem Krater, und man kann bis an seinen Rand reiten. Er mag zweihundert bis zweihundertfünfzig Fuß tief sein, und ist unten beinah nicht schmaler als oben, drei- bis vierhundert Fuß im Durchmesser. Die Wände fallen sehr steil ab und nur auf einer Seite ist es möglich, über loses Steingerölle und lockeres Erdreich mit ziemlicher Gefahr hinab zu steigen. In der Tiefe wirbeln an mehreren Stellen kleine Rauchsäulen auf, reiner Schwefel liegt daneben. Ich kletterte mit vieler Mühe hinunter. Bei den aufgeworfenen Schwefelhügelchen vernahm ich ein starkes Brausen; die Rauchsäule stieg mit Gewalt empor und machte dasselbe Geräusch, wie der Dampf, wenn er aus einem Locomotive gelassen wird. Man kann sich diesen Rauch- oder besser gesagt Dampfsäulen mit einiger Vorsicht gänzlich nahen, man muß nur mit dem Winde dahin gehen und nicht gegen denselben, damit der erstickende Schwefeldampf nicht in das Gesicht schlägt.

Nicht nur die Eingebornen, sondern auch die Europäer hatten mir gesagt, der Boden in dem Krater sei so heiß, daß man stets mit verbrannten Schuhsohlen zurückkäme. Ich befühlte den Boden wohl an[S. 215] mehr als fünfzig Stellen, und ganz besonders in der Nähe der Rauchsäulen — konnte indeß meine Hand eine Zeit lang darauf ruhen lassen, und brachte meine Schuhe unbeschädigt zurück.

Daß doch die Menschen bei jeder Gelegenheit übertreiben, und einer dem andern die Lügen nachsprechen muß! Oder sollte ich so unglücklich sein, alles anders zu sehen, zu beobachten, zu fühlen, als die übrigen Reisenden? —

Vor einigen Jahren hat dieser Krater eine solche Menge schwefeliger Asche ausgeworfen, daß die Waldungen ein Viertel Paal rings um den Kessel gänzlich abstarben. Die nackten, schwarzen, wie von einem Waldbrande verkohlten Stämme bildeten einen grellen Widerspruch zu der reichen, blühenden Natur, die sich ohne den geringsten Uebergang, gleich einem Kranze, um sie schloß.

Ich hatte nun schon einige Krater, lebende und verloschene, auf Java gesehen; aber in keinem kam mir die rein poröse Lava vor, die ich auf dem Vesuv, dem Aetna, und auf den zahllosen Kratern Islands gefunden habe. Es scheint, daß sich die Javanesischen Feuerspeier mit Asche, Sand, Wasser oder Steinen begnügen.

Nach Bandong zurückgekehrt, verschaffte mir Herr[S. 216] von Vischer eine recht hübsche Unterhaltung bei dem Regenten[43], der uns zu Ehren von seinen Tänzerinnen den Nationaltanz Bedogo aufführen ließ.

Die sechs Tänzerinnen waren reizend gekleidet. Sie trugen knapp anliegende Leibchen ohne Aermel, Gold-durchwirkte, seidene Sarongs, die kaum an die Knöchel reichten, darunter enge Beinkleider, die bis an den Fuß gingen; der Fuß selbst war unbekleidet. Um die Mitte des Leibes wand sich eine purpurne Schärpe, deren Enden bis an die Kniee fielen. Brust, Leibchen, Handgelenke und Oberarm waren mit breiten Goldblechen geziert. Auf dem Kopfe hatten sie Helme, die auf den Seiten durchbrochen waren und den Reichthum der üppig schwarzen Haare sehen ließen. Man konnte sich einbilden, Amazonen vor Augen zu haben. Schade, daß die Mädchen selbst nicht so reizend waren, als ihr Anzug; der Malaische Typus sprach zu sehr aus ihren Gesichtern.

Der Tanz bestand aus drei Abtheilungen. In der ersten ging es ziemlich ruhig her: da ward ganz[S. 217] einfach getanzt; in der zweiten brachten die Tänzerinnen Sträuße von Pfauenfedern, die sie gleich Schwertern wie im Kampfe schwenkten; in der dritten Abtheilung kamen sie mit Bogen und Pfeil bewaffnet und stellten ein ordentliches Gefecht dar, das mit der Niederlage der Hälfte der Kämpfenden endete. Die Getödteten blieben eine Zeit lang auf dem Wahlplatze liegen. Mit ihrer Niederlage zugleich ertönte in der Ferne eine klagende, sanfte Melodie. Die Musik dagegen, die den Tanz begleitete, war sehr lärmend und unharmonisch. Ich fand diese Vorstellung sehr zierlich und ausdrucksvoll und das Auge nicht beleidigend, eine Eigenschaft, die man nicht immer an unsern Balleten rühmen kann. Das Einzige was mir nicht gefiel war, daß die Tänzerinnen die Augen beständig zu Boden geschlagen hatten, eine Sitte, die ich bei den Tänzerinnen der meisten außereuropäischen Völker bemerkt habe, und welche Hochachtung für die Zuseher auszudrücken scheint.

Von Bandong kehrte ich direkt nach Buitenzorg zurück, wo ich der gütigen Einladung des Gouverneur-Generals zu Folge abermals in seinem Palaste einige Tage verweilte. Ich schulde diesem Herrn wirklich den größten Dank, nicht nur für die mehr als gewöhnlich freundliche Aufnahme, die ich in seinem Hause fand, sondern auch weil eben diese mir bewiesene Theilnahme[S. 218] hauptsächlich dazu beitrug, daß man mich in allen Holländischen Besitzungen so ausgezeichnet gut aufnahm und meine Reisepläne überall so viel wie möglich unterstützte[44].

In Batavia stieg ich wieder in dem Hause meiner liebenswürdigen Freunde, Herrn und Frau van Rees ab. Hier ward ich durch einen mir sehr werthen Besuch überrascht. Ich wurde in den Salon gerufen, und als ich kam, stand Herr Steuerwald (Oberst in Holländischen Diensten) vor mir. Ich hatte diesen Herrn im Jahre 1845 auf der Reise von Gothenburg nach Stockholm kennen gelernt. Seine gediegenen Kenntnisse, ganz besonders aber sein freier, offener, rechtlicher Charakter flößten mir die höchste Achtung ein; ich war stolz von diesem Biedermanne schon damals mit mehr Auszeichnung behandelt worden zu sein, als dies gewöhnlich bei vorübergehenden Reisebekanntschaften der Fall ist. Er war im Dienste nach Indien gekommen, und diesem glücklichen Zufall verdankte ich es, eine Bekanntschaft fortsetzen zu können,[S. 219] die im hohen Norden Europa’s ihren Anfang genommen hatte.

Wenige Tage nach meiner Rückkehr von Bandong fuhr ich nach Tangerang, fünfzehn Meilen von Batavia. Herrn van Rees rief ein kleines Geschäft dahin, das er besonders bis zu meiner Rückkehr verschoben hatte, um mich mitzunehmen. Er benützte diese Gelegenheit, mir verschiedene Volksbelustigungen vorstellen zu lassen: ich sah ein Hahnengefecht, einen Volkstanz, ein burleskes Lustspiel, und ein großes Kunststück eines sogenannten Herkules.

Der Hahnenkampf ist zu grausam, um unterhaltend zu sein. Dem armen Thiere werden an jeden Fuß kleine, spitzige, sehr scharfe Messerklingen gebunden. Die Eigenthümer nehmen hierauf ihre Thiere unter den Arm, stoßen sie mehrmals gegen einander und reizen sie durch Ziehen an dem Kamme und an den Federn zum Zorne. Wenn sie recht aufgeregt sind, läßt man sie los, und der Kampf beginnt sogleich, dauert aber nicht lange, denn die Hähne hauen sich so schnell und stark mit den Krallen und den daran gebundenen Messerklingen, daß nach kaum einer halben Minute einer, oft auch beide auf dem Kampfplatze bleiben.

Die Holländische Regierung hat die Hahnenkämpfe[S. 220] strenge verboten; sie waren das größte Vergnügen und zugleich Verderben des Volkes. Die Leute beschäftigten sich beinahe mit nichts anderem, und ruinirten sich mit Wetten. Ein leidenschaftlicher Spieler setzte nicht nur Haus und Gut auf’s Spiel, sondern sein Weib, sein Kind, ja am Ende sich selbst.

Der Tanz war das wenigst Anziehende. Sechs Mädchen tappten auf einem engen Raume sehr plump umher und kreischten aus voller Kehle sogenannte Lieder herunter. Dagegen unterhielt mich das Lustspiel, obwohl ich vom Texte nichts verstand (wozu mir Herr van Rees Glück wünschte); ich bewunderte das natürliche Spiel, die Grimassen, die Beredsamkeit der Schauspieler, besonders des Hauptkomikers. Man muß wissen, daß die Leute keine einstudirten Stücke haben, sondern stets aus dem Stegreife spielen. Die Frauenrollen waren hier von Jünglingen dargestellt, wobei die Zuseher nichts verloren, da beide Geschlechter in diesem Lande gleich häßlich sind; ich wäre gar nie auf den Gedanken gekommen, daß verkleidete Männer vor mir sich produzirten, wenn man es mir nicht gesagt hätte.

Den Schluß der Unterhaltungen machte ein wirklich bewunderungswürdiges Kunststück des Herkules. Bloß mit einer kurzen Hose bekleidet, ließ er sich um[S. 221] den Hals einen Strick binden, und mit demselben auch die Arme und Hände auf dem Rücken so fest zusammenschnüren, daß er damit nicht die geringste Bewegung machen konnte. Er kam zu uns, um die Knoten und Verschlingungen des Strickes untersuchen zu lassen. Hierauf kroch er unter einen hohen Korb, der von allen Seiten überdeckt war, und in welchen man ein Hemd und einen Sarong gelegt hatte. Nach ungefähr sechs Minuten ward der Korb aufgehoben; der Herkules hatte den Strick wie zuvor um Hals, Arme und Hände gebunden, aber das Hemd angezogen, den Sarong um die Mitte geschlagen. Er kroch nochmals unter den Korb und erschien nach sechs Minuten wieder, ohne Hemd und Sarong, und den Strick mit allen seinen Knoten und Verschlingungen in der Hand haltend.

Auf einem Theater würde dieses Kunststück nichts bedeutet haben, da man dem Künstler unter dem Korbe zu Hilfe hätte kommen können; aber hier, mitten auf einem Wiesenplatze, war doch kein Beistand möglich.

Ein Herr aus unserer Gesellschaft bot ihm für das Geheimniß seines Kunststückes 25 Rupien; der Mann nahm aber diesen Vorschlag nicht an.

Am folgenden Morgen den 7. Juli sollten wir, vor der Rückkehr nach Batavia, noch eine Zuckermühle besuchen; sie war jedoch leider noch nicht im Gange,[S. 222] obwohl das Zuckerrohr rings umher schon in voller Reife stand. Nirgends sah ich größere und üppigere Zuckerfelder als in dieser Ebene.

Die Zuckermühlen tragen auf Java einen Gewinn von zwei- bis dreihundert Procent.

Gegen Mittag trafen wir wieder in Batavia ein.

[35] Java hat, sammt der dazu gehörigen kleinen Insel Madura 2444 Quadratmeilen mit einer Bevölkerung von 9½ Millionen Seelen.

[36] Chef der Chinesen auf Batavia.

[37] Wenn man auf Java mit Postpferden reist, müssen Laufzettel vorausgesandt werden.

[38] Ich werde von nun an immer nach Paal rechnen. Ein Paal ist gleich einer Englischen Meile.

[39] Der Nopal gehört zum Cactus-Geschlechte.

[40] Folgende Anekdote habe ich aus dem Munde eines sehr glaubwürdigen Mannes. „Ein hoher Beamter kam zur Audienz und bat um freie Postpferde zu einer Reise auf Java. Der Gouverneur-General frug ihn „wie groß ist ihr Gehalt?“ — So und so viel war die Antwort. „Oh, da ist er groß genug, daß sie die Postgebühren bezahlen können.“ Zur selben Audienz kam ein geringer Beamter mit derselben Bitte; er brachte ein ärztliches Zeugniß bei, daß er eine Luftveränderung nöthig habe. Der Gouverneur-General frug ebenfalls nach dem Gehalte, und da er noch klein war, sagte er: „Damit können sie freilich keine Gebühren bezahlen,“ — und bewilligte die Bitte.“

[41] Neben der Post-Straße, die durch ganz Java geht, läuft eine zweite Straße, die für diese Karren bestimmt ist.

[42] Bekanntlich wird nur der schwarze Thee der Sonnenhitze ausgesetzt, jener, der grün bleiben soll, muß durch künstliche Wärme getrocknet werden.

[43] Auf Java ist jedem Residenten ein Rajah oder sonstiger Vornehmer des Landes als Beamter beigegeben, der den Titel „Regent“ führt und denselben Gehalt bezieht, wie der Resident, nebst Procenten vom Kaffee, Zucker u. s. w. Ohne seinen Beisitz wird nichts Bedeutendes unternommen. Seine Meinung ist jedoch höchst selten von der des Residenten verschieden.

[44] Der Gouverneur-General der Holländisch-Indischen Besitzungen hat 150,000 Rupien jährlichen Gehalt, nebst dem Genusse mehrerer Paläste, Sommerhäuser, Gärten und Ländereien. Er bleibt vier, höchstens fünf Jahre auf diesem Posten. An Macht und Ansehen übertrifft seine Stellung bei weitem jene eines konstitutionellen Königs in Europa.

*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75638 ***